Piwik Webtracking Image

Ausgang der Europawahl : Umfragen sehen demokratische Parteien vorne

Knapp drei Wochen vor der Europawahl prognostizieren Demoskopen: Die Rechten legen europaweit zu, aber die Mitte hält. Doch es gibt zwei Unwägbarkeiten.

17.05.2024
True 2024-05-17T14:24:13.7200Z
4 Min

Für den Ausgang der Europawahl sagen die Demoskopen zwei große Trends voraus: Es wird im Europäischen Parlament einen deutlichen Zugewinn für Rechtsaußen-Parteien geben. Aber die Parteien der politischen Mitte werden aller Voraussicht nach wieder eine - allerdings geschrumpfte - Mehrheit haben, die Führungsrolle gehört weiter den Christdemokraten und Konservativen der Europäischen Volkspartei (EVP). Doch mindestens zwei Unwägbarkeiten gibt es: Reicht es unter den veränderten Bedingungen noch für die Wiederwahl von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU)? Und wie wird das vereinte Europa auf den Durchmarsch rechter Parteien in wichtigen EU-Staaten reagieren?

Prognosen sehen Le Pen bei 30 Prozent

Es dürfte die Debatten nach der Wahl prägen, dass in bedeutenden Mitgliedstaaten Rechtspopulisten nicht nur zulegen, sondern sehr wahrscheinlich Wahlsieger werden. Allen voran Frankreich, wo Marine Le Pens Rassemblement National (RN) mit prognostizierten rund 30 Prozent der Stimmen die mit Abstand stärkste Kraft im Land werden dürfte, weit vor der liberalen Renaissance von Präsident Emmanuel Macron. In Österreich sagen die Demoskopen einen Wahlsieg der rechtspopulistischen FPÖ voraus, die mit 26 Prozent (neun Prozent mehr als 2019) deutlich vor der konservativen ÖVP und den Sozialdemokraten liegen könnte. In den Niederlanden dürfte die Partei der Freiheit (PVV) des Islamgegners Geert Wilders als Sieger ins Ziel gehen, in Belgien sehen Umfragen den rechtsextremen Vlaams Belang auf dem ersten Platz und in Ungarn die Fidesz von Viktor Orban.

Foto: European Union 2023

Zwischen dem 6. und 9. Juni wählen die EU-Bürger ihr neues Parlament.

Die rechtsnationale Fratelli d'Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wird in Italien stark zulegen und den Sieg einfahren - allerdings wird die nationalistische Lega von Matteo Salvini etwa in gleichem Maß verlieren. In mehreren EU-Staaten sehen die Umfrageinstitute Rechtsaußen-Parteien immerhin auf Platz zwei. So werde die AfD in Deutschland ihr Ergebnis von 2019 (elf Prozent) deutlich verbessern, letzte Prognosen sagen ihr rund 16 Prozent voraus, mit kleinem Vorsprung vor SPD und Grünen - Wahlsieger wird hierzulande wohl die Union mit etwa 30 Prozent.

Zusammenschluss zu einer einzigen Rechtsaußen-Fraktion unwahrscheinlich

Unterm Strich könnten im EU-Parlament die beiden Rechtsaußen-Fraktionen, die gemäßigteren Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) sowie die radikalere Identität und Demokratie (ID), mindestens 30 Abgeordnete mehr als bisher stellen - rechnet man die derzeit fraktionslosen ungarischen Fidesz-Abgeordneten mit ein, würden die Rechtspopulisten nach aktuellen Umfragen ihren Anteil von heute etwa 20 auf rund 25 Prozent der 720 Sitze steigern, vielleicht noch etwas mehr. Möglicherweise wird sich dieses Lager neu sortieren, ein Zusammenschluss zu einer einzigen Rechtsaußen-Fraktion mit größerer Schlagkraft gilt aber wegen inhaltlicher Differenzen als ausgeschlossen. So wird zwar im nächsten Parlament eine Rechtsverschiebung erwartet, die nach dem Rechtsruck bei nationalen Wahlen etwa in Italien, Schweden, Finnland oder den Niederlanden auch wenig überraschen kann - wahrscheinlich bleibt das Machtzentrum aber unverändert: Die EVP dürfte Nummer eins etwa in Deutschland, Polen, Spanien, Griechenland, Portugal, Finnland und Bulgarien werden und als erneut größte Fraktion ihre gestärkte Rolle als Königsmacher ausspielen. Den zweiten Platz werden die Sozialdemokraten (S&D) mit ebenfalls stabilem Ergebnis verteidigen, die Nase vorn werden sie aber nur in Dänemark, Schweden und Lettland haben.

Von der Leyen hält sich Optionen offen

Der Parteienforscher Frank Decker sagt voraus: "Wahrscheinlich wird sich wieder eine Art große Koalition mit Unterstützung der Liberalen bilden". EVP, S&D und die Liberalen kooperieren bisher informell und eher lose, doch weil den Liberalen, ähnlich wie den Grünen erhebliche Verluste vorausgesagt werden, wird das Trio nur noch knapp 400 von 720 Sitzen zusammenbringen. Alternativen informellen Bündnissen - Koalitionen gibt es im EU-Parlament nicht - fehlt wahrscheinlich schon rechnerisch eine Mehrheit. Das gilt für Überlegungen in der EVP, eine Mitte-Rechts-Kooperation mit Liberalen und dem EKR zu vereinbaren. Und ebenso für ein Mitte-Links-Bündnis aus S&D, Liberalen, Grünen und Linken.

Mehr zum Wahlkampf

Mehr zum Thema Gewalt überschattet den Europa-Wahlkampf
Angriffe und Einschüchterung: Gewalt überschattet den Europa-Wahlkampf

Allerdings wird im Parlament, anders als im Bundestag, nicht streng nach Fraktionen abgestimmt. Das wird für von der Leyen, die eine zweite Amtszeit anstrebt, zum Problem. Schon 2019 erhielt sie nur neun Stimmen über der erforderlichen absoluten Mehrheit, nun wird es abermals knapp. Von der Leyen hofft auf die Hilfe der Grünen, hält sich aber offen, ihr Amt auch mit Stimmen der gemäßigten Rechtsaußen-Parteien zu verteidigen, etwa von Melonis parlamentarischem Arm in Brüssel. Dagegen protestieren schon vorab die Sozialdemokraten, auf welche die Präsidentin aber angewiesen ist. Der Abstimmung dürften intensive Verhandlungen vorausgehen. Für Ursula von der Leyen geht der Wahlkampf also nach dem 9. Juni weiter, dann aber hinter den Kulissen.

Der Autor ist Brüsseler Korrespondent der Funke-Mediengruppe.