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För en gode Sprakenpolitik

MINDERHEITEN Der Bundestag übte sich zum 10. Jahrestag der europäischen Charta der Regionalsprachen in »fein Snack«

02.02.2009
2023-08-30T11:23:45.7200Z
4 Min

Die Hilfe ist für Besucher nicht sichtbar. Sie wird auch in keinem Grußwort erwähnt. Die meisten Menschen, Abgeordnete eingeschlossen, werden nie wissen, dass sie da war. Und doch leistet sie an diesem Tag unverzichtbare Arbeit: Sie unterstützt die Stenografen beim fehlerfreien Verfassen des Redeprotokolls zu Tagesordnungspunkt Nummer 10. Wäre sie nicht da, würden die Stenografen vermutlich verzweifeln und das Protokoll vor Rechtschreibfehlern strotzen. Denn die Abgeordneten geben an diesem 29. Januar ganz merkwürdige Laute von sich. Von "jonge Lü" ist da die Rede und vom "gode Patt". Mit Ausdrücken wie diesen kennt sich die Verstärkung des Tages aus: Reinhard Goltz ist Geschäftsführer des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen und Fachmann für Plattdeutsch.

Goltz hat es sich in dem Konferenzraum in der zweiten Etage des Jakob-Kaiser-Hauses, einem der Verwaltungsgebäude des Bundestages, bequem gemacht. Vor ihm steht ein Laptop. Darüber hört er die Reden ab. Manchmal muss er selber überlegen, was die Abgeordneten meinen, sagt er. Die Aussprache sei nicht immer eindeutig. Auch die Manuskripte, die einige Redner dem stenografischen Dienst übermittelt haben, sind fehlerhaft.

Kultureller Reichtum

Seit 1994 halten die Abgeordneten des Bundestages einmal pro Legislaturperiode eine Debatte in Plattdeutsch und Sorbisch. Der Hintergrund ist ernst: Die Regional- und Minderheitensprachen, zu denen in Deutschland die verschiedenen Ausprägungen von Plattdeutsch sowie Sorbisch, Dänisch und Romanes gezählt werden, verschwinden zunehmend. Eine Untersuchung des Instituts für niederdeutsche Sprache ergab im Jahr 2007, dass die Zahl der Plattdeutsch-Sprecher innerhalb einer Generation von 5 auf 2,7 Millionen Menschen gesunken ist. Um diesem Trend, den auch Minderheitensprachen in anderen EU-Ländern verzeichnen, entgegenzuwirken, hat der Europarat 1992 eine Charta der Regional- und Minderheitensprachen auf den Weg gebracht. In Deutschland gilt sie seit 1999. Die Bundesrepublik hat sich damit verpflichtet, die Sprachen als "Ausdruck kulturellen Reichtums" anzuerkennen. Wichtig ist unter anderem der Unterricht der Kinder. Die Sprachen sollen auch in den weiterführenden Schulen angeboten werden. Dabei kann von Fall zu Fall entschieden werden, ob nur eine bestimmte Gruppe von Schülern darin unterrichtet oder ob gar ein Großteil des Unterrichts in der entsprechenden Sprache abgehalten wird.

Einheitliche Regeln

Zehn Jahre sind seit Inkrafttreten der Charta in Deutschland vergangen. Dieses Jubiläum ist Anlass der diesjährigen Debatte. Dazu haben CDU/CSU und SPD einen Antrag (16/11773) eingebracht, der im Anschluss an die Debatte mit den Stimmen der Fraktionen der Koalition, der FDP und Bündnis 90/Die Grünen angenommen wird. Die Linksfraktion enthält sich. In ihrem Antrag fordern die Abgeordneten unter anderem ein bundeseinheitliches Konzept zum Lernen der Sprachen. "70 lütte Spraken alleen in Europa sünd ehrn Bestand bedroht", mahnt Wolfgang Börnsen (CDU). "Bund un Länner hebbt en Bült Pflichten övernahmen", betont Karin Evers-Meyer (SPD). In den vergangenen Jahren seien bei der Umsetzung der Pflichten Fortschritte erzielt worden. Trotzdem bleibe noch viel zu tun. "Gode Sprakenpolitik op internatschonaal Niveau heet ok, dat wi us hier in Berlin darum kümmern mööt." Es sei daher ein gutes Zeichen, dass im "Bundes-Huushollt siet 2008 en extra Posten för de Förderung vun de nedderdüütsche Spraak binnen", lobt Evers-Meyer. Rainder Steenblock (Bündnis 90/Die Grünen) forderte in seiner zu Protokoll gegebenen Rede die Medien zur Mithilfe auf. "In de Volkssproken kamm man ok sülvstbewusst un frech en Programm för jünge Lüdd moken", so Steenblock. Maria Michalk (CDU) hob in ihrer weitgehend auf Sorbisch gehaltenen Rede hervor, "nur über die Sprache kommt man zur Seele eines Volkes".

Doch auch wenn der Hintergrund ernst ist, so merkt man den Abgeordneten an, dass sie bei der Debatte ihren Spaß haben. Einen dicken Applaus erntet der Liberale Hans-Michael Goldmann, der hörbare Schwierigkeiten beim Verlesen seiner Rede in Plattdeutsch hat. "Fein Snack!", lobt Börnsen, der vor Goldmann geredet hat. "Bei Dir war es flüssiger", ruft Hartmut Koschyk (CSU) Börnsen zu. "Das ist meine erste Rede in Platt. Ich habe sechs Stunden geübt", verteidigt sich Goldmann lachend. Nur Ilja Seifert (Die Linke) teilt die lockere Haltung seiner Kollegen nicht. Angesichts der Minderheitenpolitik der Großen Koalition sei diese Debatte "Feigenblattfolklore", wirft er den anderen Fraktionen vor. Wer Minderheitenpolitik ernst nehme, schlage nicht "mal eben über den Tisch hinweg" die Schließung des Sorbischen Nationalensembles vor. Daran könne die Debatte in Plattdeutsch und Sorbisch nichts ändern.

Fehlendes Konzept

Plattdeutsch-Experte Goltz ist mit der Debatte zufrieden. "Für die Außenwirkung die Sprache fast wichtiger als der Inhalt", sagt Goltz. Über die Regionalsprachen fühlten sich die Betroffenen angesprochen. Inhaltlich habe die Debatte im Vergleich zu den vorherigen aber Fortschritte gemacht. "Früher haben die Abgeordneten vornehmlich aus ihrer eigenen Biografie berichtet, heute geht es um die Sache", lobt Goltz. Er unterstützt die Forderung nach einem Gesamtkonzept für den Einsatz der Sprachen im Schulunterricht. Bisher sei der Erhalt der Sprachen fast nur durch ehrenamtliche Initiativen gesichert. Während auf diese Weise zwar viele zweisprachige Kindergärten entstanden seien, fehlten Pläne für Schulen und Universitäten. Es bleibt also noch viel zu tun, um den "fein Snack" zu erhalten.