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Die Konkurrenz kommt aus dem Netz

ONLINEPORTALE Produzenten und Verlage dringen in die Domäne der Sender ein

23.02.2009
2023-08-30T11:23:47.7200Z
6 Min

Wer kennt sie nicht die Kids mit den weißen Stöpseln in den Ohren? Bei laufendem Fernseher sitzen sie vor dem PC, auf dem gerade eine verpasste Folge der RTL-Seifenoper "Alles, was zählt" gezeigt wird. Wie will man sonst mitreden können beim neuesten TV-Talk auf twitter.com. Und während ein Daumen über die Tastatur des Handys fliegt, werden noch schnell ein paar Songs auf den iPod gezogen.

Es ist die Generation YouTube: jung und unabhängig und doch weltweit vernetzt, die nicht nur den eigenen Eltern, sondern auch den Verantwortlichen der großen Fernsehstationen den Schlaf raubt. Ihre Sender heißen iTunes, Sevenload und MySpace, ihre Spielekonsolen nennen sich Xbox oder Playstation 3. Und neben realen Freunden tauchen in ihren Profilen beim sozialen Netzwerk Facebook auch ein paar virtuelle auf: zum Beispiel Lucy, die Hauptdarstellerin der Web-Seifenoper Deer Lucy, die seit Ende Januar bei bild.de läuft. Noch lässt sich kaum Geld mit den Teens und Twens verdienen, für die das Fernsehen nicht mehr aus dem Fernseher kommt. Die großen Vollprogramme erzielen fast 90 Prozent ihrer Umsätze mit den Werbespots, die allabendlich über die Mattscheibe im Wohnzimmer flimmern. Wer massenhaft verkaufen will, muss diese Massen auch erreichen. Für Persil, Maggi und Opel wird dort geworben, wo die meisten Menschen zuschauen - also bei RTL, Sat.1 und Co. Fast die Hälfte aller Kontakte, die Werbung in Deutschland erzielt, entfallen auf das Fernsehen. "Alles, was zählt" erreicht beim Sender RTL pro Folge rund 3 Millionen Zuschauer, im Internet kommen 3,5 Millionen Abrufe in einem ganzen Monat zusammen.

Große Reichweite

Eigentlich könnten sich die Senderchefs also zurücklehnen. "Lean back TV", wie das Fernsehen, bei dem man nicht mitmachen muss, in Fachkreisen heißt, wird es noch lange geben. "Die wenigsten wollen ihr eigener Programmdirektor sein", sagt Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin der Mediengruppe RTL Deutschland in Köln.

Und dennoch können die betroffenen Sender diese Entwicklung nicht ignorieren. "Das Medien-Nutzungsverhalten der jungen Generation verändert sich dramatisch", sagt Frank Mackenroth, Leiter Entertainment & Media der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers in Hamburg. "Langfristig wird das Internet das Fernsehen als Leitmedium ablösen", prognostiziert er.

Die Jungen bevorzugen schon jetzt das Netz. Nach den Ergebnissen der jährlichen ARD/ZDF-Onlinestudie haben die 14- bis 19-Jährigen im vergangenen Jahr mehr Zeit mit dem Internet (120 Minuten täglich) als mit dem Fernsehen (100 Minuten täglich) verbracht. Zwar steigt der Medienkonsum in dieser Generation insgesamt an, doch der Nachwuchs würde lieber auf Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften verzichten als auf das Web. "TV entwickelt sich wie Radio zum Hintergrundmedium", sagt Niko Waesche, Medienexperte der Unternehmensberatung IBM Global Technology Services.

Mehrheit der Jungen im Netz

Dabei gilt die Online-Video-Nutzung als wesentlicher Treiber der Entwicklung: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger schaut sich gelegentlich Videoinhalte im Internet an, bei den 14- bis 29-Jährigen sind es bereits 84 Prozent. Neben den Videoportalen gewinnt das zeitversetzte Fernsehen über das Internet an Bedeutung. "Die jüngeren Zielgruppen emanzipieren sich vom Programmschema der Sender. Sie sehen fern, wann und wo es ihnen passt", sagt Medienspezialist Mackenroth. ProSiebenSat.1 arbeite "intensiv daran, dem Massenmedium Fernsehen zusätzliche Dimensionen zu geben", sagt Marcus Englert, Vorstand New Media und Diversifikation. Für RTL-Managerin Schäferkordt steht fest: "Wir müssen auf jeder Plattform präsent sein." Natürlich wollen auch die Öffentlich-Rechtlichen nicht an einem wichtigen Teil der Zielgruppe vorbei senden. ARD und ZDF bieten in ihren Mediatheken Nachrichten, Filme und Serien kostenlos zum Abruf an. Das kann sich allerdings bald ändern: Der neue Rundfunkänderungsstaatsvertrag erlaubt den Anstalten, bestimmte Beiträge gegen Bezahlung (Video on Demand) im Internet anzubieten. Beide arbeiten bereits an Konzepten für die Vermarktung ihrer Abrufangebote. Die Refinanzierung der Internetauftritte durch Werbung bleibt den Privaten vorbehalten. Pro SiebenSat.1 bietet neben dem Video-on-Demand-Portal Maxdome auch Werbefinanziertes wie "Germany's Next Top Model" auf den Sendersites an. Bei RTL now sind rund 80 Prozent der Inhalte kostenlos. Allerdings beschränken die Sender den freien Zugriff auf ein schmales Zeitfenster von sieben Tagen nach der Ausstrahlung im Fernsehen. Für Vorab-Videos sowie für Archive bitten sie zur Kasse. Die Angst vor einer Kannibalisierung der Hauptumsatzquelle ist groß: Zuschauer und Werbekunden bekommen Aktuelles deshalb zuerst auf dem TV-Bildschirm serviert.

Schwierige Refinanzierung

Dazu kommt ein weiteres Problem: Die Kosten für das Streaming, also den Datentransport zum Zuschauer, schlagen heftig ins Kontor. Derzeit lassen sich nur kurze Episoden im Netz über Werbung refinanzieren. Die Werbekunden meiden die von Nutzern eingestellten Inhalt, user generated Content (UGC) genannt. "Unprofessionell und unkontrollierbar", lautet das Urteil der Industrie, die ihre Produkte nicht neben Videos von Pups-Wettbewerben anbieten will. Deshalb rüsten auch die Sender ihre Videoportale Clipfish (RTL) und MyVideo (ProSiebenSat.1) zunehmend mit professionellen TV-Inhalten auf. "Die Kommerzialisierung hinkt den Abrufzahlen noch dramatisch hinterher", räumt Florian Ruckert, Geschäftsleiter Marketing beim RTL-Vermarkter IP Deutschland in Köln ein. Die Zukunft sieht er rosiger: "Bewegtbild ist der treibende Faktor der Werbeinvestitionen in den kommenden Jahren." Mit wachsenden Ausgaben für Videowerbung sei künftig auch die Ausstrahlung längerer Episoden refinanzierbar, glaubt ProSiebenSat.1-Vorstand Englert. Die Prognosen sprechen dafür: Das US-Marktforschungsinstitut ABI Research geht davon aus, dass der europäische Markt für Online-Video-Werbung bis 2012 von derzeit 200 Millionen Dollar auf 2,4 Milliarden Dollar wachsen wird.

Dass sich TV-Inhalte besser vermarkten lassen, hat auch das US-Videoportal YouTube erkannt. Die Google-Tochter verhandelt mit Hollywood über die Zulieferung professioneller TV-Inhalte, um ihre rund 80 Millionen Besucher pro Monat besser zu ermarkten. Ein neuer Wettbewerber hat YouTube kräftig eingeheizt: Hulu.com, das Joint Venture von NBC und News Corporation, stellt TV-Serien und Filme von rund 50 namhaften Anbietern kostenlos und in hoher Qualität ins Netz.

Wegfallende Leitplanke

Einen ähnliches Angebot wie Hulu gibt es hierzulande nicht. Die Zahl der Konkurrenten um Zuschauer und Werbekunden explodiert trotzdem. "Die traditionellen Leitplanken des Wettbewerbs entfallen", erklärt Jan Lingemann, Leiter Forschung bei der Unternehmensberatung HMR International in Köln. "Im Internet kann jeder zum Konkurrenten der TV-Sender werden."

Seit ein paar Monaten bietet zum Beispiel MSN Movies von Microsoft nicht mehr ganz taufrische Blockbuster wie "Blade" gebührenfrei im Internet an. Die Video-Community Sevenload, eine Beteiligung von Hubert Burda Media, zeigt neben Benutzervideos und den Angeboten verlagseigener Titel auch TV-Markenware wie die RTL-2-Reality-Show "Big Brother" und die beliebte ARD-Seifenoper "Verbotene Liebe".

Hinzu kommen sogenannte Anbieter wie Zattoo, in der Fachsprache Rebroadcaster, die TV-Sender übers Internet ausstrahlen. Und die Produzenten - ursprünglich der Ausgangspunkt der Verwertungskette - setzen auf spezielle Websoaps für junge Fangemeinden. Die Minutenserien sind bei deutschen wie amerikanischen sozialen Netzwerken ebenso zu finden wie bei Videoportalen. Die wohl bekannteste "They Call us Candy Girls" lief 2008 bei MySpace und wurde dort insgesamt rund 1,5 Millionen Mal abgerufen.

Mediale Weiterentwicklung

Bei Axel Springer ist man mit der ersten Resonanz auf die Bild.de-Soap "Deer Lucy" zufrieden. Die Online-Produktion sei ein zusätzliches Unterhaltungsangebot und mache das Portal attraktiver, sagt Erik Peper, Geschäftsführer von Bild Digital. Bild.de setze konsequent auf Bewegtbild, denn dies sei "ganz klar der nächste Schritt in der Weiterentwicklung des Mediennutzungsverhaltens".

Während die deutschen Verlage anfangs vor allem in ihre Nachrichten im Netz Bewegung brachten, gehören Entertainment und spezielle Themenkanäle heute zum Standard - zum Beispiel Kicker TV bei Spiegel Online oder Starstyle TV auf Bunte.de.

Die Stuttgarter Verlagsgruppe Holtzbrinck hat mit StudiVZ für satte 85 Millionen Euro ein soziales Netzwerk zugekauft, auf dem jede Menge Videos laufen - und mit der "Pietshow" von Grundy Ufa auch eine eigene Websoap.

Die TV-Manager geben sich angesichts der Vielzahl neuer Wettbewerber weiterhin gelassen. Schließlich kennen sie sich bei Einkauf und Vermarktung von Inhalten am allerbesten aus. Das Internet sei keine Bedrohung, sondern eine Chance für das Fernsehen, resümiert RTL-Managerin Anke Schäferkordt: "Wer kann mehr professionelle Bewegtbild-Inhalte anbieten als die TV-Sender selbst?"

Die Autorin ist

Medienjournalistin in München.