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»Freiheit ist meine Mission«

ahmed saif hashed Der Abgeordnete aus dem Jemen riskiert für seine Überzeugungen sogar sein Leben

06.04.2009
2023-08-30T11:23:52.7200Z
5 Min

Herr Hashed, Sie sind gewählter Abgeordneter im Jemen, einer Präsidialrepublik, wie ist das parlamentarische System dort theoretisch strukturiert?

Das jemenitische Parlament hat zwei Kammern, das Repräsentantenhaus, das von der Bevölkerung gewählt wird, und die Shura, die vom Präsidenten ernannt wird. Theoretisch hat das Parlament das Recht, von der Regierung Auskunft zu erhalten und ihr das Vertrauen zu entziehen. Doch die Realität sieht ganz anders aus: Die überwältigende Mehrheit im Parlament wird vom Allgemeinen Volkskongress, der Regierungspartei, gestellt, so dass das Parlament die Regierung nicht mehr kontrolliert, sondern ihr untergeordnet ist. Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, er kann das Parlament auflösen und den Ausnahmezustand ausrufen. Das Parlament kann dies nicht kontrollieren und ihn nicht dafür zur Verantwortung ziehen - außer im Fall des Hochverrats, aber das ist reine Theorie.

Inwiefern hält sich die Regierung an die Vorgaben der Verfassung?

In der Realität verletzt die Regierung die Verfassung quasi täglich. Die Schwäche und Abhängigkeit der Justiz hilft ihr dabei, genauso wie die geringen Möglichkeiten zur Überwachung durch das Parlament. Gewaltenteilung gibt es im Jemen nicht. Der Präsident konzentriert in seinen Händen alle drei Gewalten. Richter stehen unter der Aufsicht des Justizministeriums. Daher finden wir dort am meisten Korruption.

Was heißt das konkret?

Nach einem Bericht der Organisation "Idea" standen der Regierungspartei, dem Allgemeinen Volkskongress, bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2003 zwischen 40 und 60 Milliarden Rial (rund 150 bis 230 Millionen Euro, die Red.) zur Verfügung, um Stimmen zu kaufen. Nach einem Bericht von Transparency International ist Jemen eines der korruptesten Länder der Welt. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Korruption findet unter dem Dach des Parlaments statt.

Sie sagen, dass im Jemen keinerlei Menschenrechte geachtet werden. Wie begründen Sie diese Aussage?

In unseren Gesetzen finden sich nach wie vor Artikel, die Menschen wegen ihres Geschlechts und Gewissens diskriminieren. Es gibt zwar offizielle Mechanismen für den Schutz der Menschenrechte, die sind allerdings inhaltsleer. Die Menschenrechtsorganisationen des Landes leiden unter Unterdrückung und Gängelung durch die Behörden. Der Organisation "Veränderung - für die Verteidigung der Menschrechte und der Freiheiten", deren Vorsitzender ich bin, wurde mehr als ein Jahr lang die Lizenz verweigert - ohne jegliche Begründung. Es gibt spezielle Gefängnisse, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens operieren - mehr als man zählen kann. Tausende von Verdächtigen und Unschuldigen sitzen dort jahrelang ohne Prozess oder gesetzliche Grundlage. All dies ist nur die Spitze des Eisbergs.

Sie sind seit dem Jahr 2003 als unabhängiger Abgeordneter im jemenitischen Repräsentantenhaus vertreten. Welche Vor- und Nachteile hat es, nicht Mitglied einer Partei zu sein?

Durch die Unabhängigkeit genieße ich größere Freiheit, als wenn ich einer Partei angehören würde, auch wenn ich geringere Unterstützung als die Parteien erhalte. Manchmal verbünden sich die Parteien gegen mich. 2003 war ich nominiert als Berichterstatter des Ausschusses für Freiheiten und Menschenrechte. Außer mir gab es keinen anderen unabhängigen Kandidaten, so dass sich alle Parteien des Ausschusses gegen mich gestellt haben, nur damit mein Konkurrent gewählt wird, der Sohn des Innenministers.

Wie finanzieren Sie ihre Arbeit?

Von meiner letzten Wahlkampagne bleiben mir immer noch Schulden. Vierzehn unabhängigen Kandidaten war es gelungen, ins Parlament einzuziehen. Zehn von ihnen sind jetzt bei der Regierungspartei. Die Parteiführung hat finanzielle Anreize geschaffen... Nur vier sind unabhängig geblieben und haben die Unterstützung verweigert, ich war einer von ihnen. Dafür habe ich einen hohen Preis bezahlt. Meine Rechte und Freiheiten wurden durch die Herrschenden verletzt, die Machthaber ruinieren die Sicherheit ihrer politischen Gegner und Meinungsmacher.

Wie ist es um die Meinungsfreiheit bestellt? Haben Sie es als Abgeordneter und Journalist in dieser Hinsicht leichter, im Vergleich zur einfachen Bevölkerung?

Die Regierung verschweigt Informationen. Bis heute ist im Jemen die Eröffnung privater Radio- und Fernseh-Sender und Satelitenkanäle verboten. Ich habe vor mehr als einem Jahr eine Lizenz beantragt, um einen Nachrichtendienst per SMS einzurichten, die habe ich bis heute nicht. Im Internet betreibe ich die Seite Yemnet. Das Informationsministerium hat sie mehr als ein Jahr lang gesperrt. Dann haben sie die Sperrung für kurze Zeit aufgehoben. Jüngst wurde sie wieder gesperrt. Für meine Zeitung "Al Mustaqilla" (Die Unabhängige) habe ich mehr als ein Jahr auf eine Lizenz gewartet. Das alles passiert einem Parlamentsabgeordneten - der Zustand für einen normalen Bürger ist weit schlimmer.

Sie wurden mehrmals auch physisch bedroht, Ihre Familie lebt in ständiger Gefahr. Wieso halten Sie trotzdem an ihrem Amt fest?

Den Preis, den man zahlen muss für den Widerstand gegen die Unterdrückung und für den Sieg der Rechte und Freiheiten, ist in einem Land wie dem Jemen sehr hoch. Die Freiheit ist für mich eine Mission, die ich erfüllen muss, egal, ob ich Bürger oder Abgeordneter bin - unabhängig von den Kosten und Gefahren.

Saudi-Arabien und der Iran haben einen gewissen Einfluss auf die Situation im Jemen und seine Politik. Wie sieht der Einfluss konkret aus?

Saudi-Arabien ist in der Lage, Druck auszuüben. Sein Einfluss auf der Ebene der politischen Entscheidungen ist erstaunlich offensichtlich. Auch auf einige Stämme hat es durch finanzielle Unterstützung der Stammesführer Einfluss.

Wir beobachten im Jemen eine starke Präsenz der Salafisten (eine traditionsorientierte, fundamentalistische Strömung des Islam, die Red.). Diese genießen saudisch-jemenitische Unterstützung. Teile der gebildeten Gelehrten sind der Ansicht, dass die Salafisten eine größere Gefahr für die Moderne und die Entwicklung darstellen als andere religiöse Gruppierungen und dass ihre Kultur die Basis für einen kampfbereiten Extremismus bildet, der für den Jemen zu gefährlich werden kann.

Gibt es noch weitere Bedrohungen?

Der Unterstützung der Herrschenden für die Salafisten steht die Verfolgung der Zayidia gegenüber, jener Glaubensgemeinschaft, die den Schiiten nahesteht. Sie werden sehr eingeschränkt, ihre Anhänger werden unterdrückt und verfolgt und sie dürfen ihre religiösen Feste nicht feiern. Dies führte dazu, dass daraus eine religiös fundierte, starke und einflussreiche politischen Bewegung geworden ist. Sie steht dem Iran nahe und droht, eine zunehmende Macht im Jemen zu werden.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Veränderungen, die im Jemen stattfinden müssen?

Der Jemen wird heute auf allen Ebenen von Korruption aufgefressen, Wirtschaft und Politik verfallen zunehmend, wir erleben eine schwere Krise. Es fehlt die Aussicht auf einen friedlichen und demokratischen Wandel. Kurz gesagt: Der Jemen steht am Scheideweg und es gibt zwei mögliche Richtungen, in die es gehen kann. Die eine ist der sogenannte "Große Wandel", der aber bedeutet: mehr Repression. Der andere Weg wäre, sich mit der Bedrohung von Sicherheit - durch die Salafisten und andere - ernsthaft auseinanderzusetzen. Der erste Weg ist ohne Zweifel der der regierenden Macht.

Wie realistisch ist es, dass sich in nächster Zeit etwas ändert?

Ich hoffe, dass alle zusammen arbeiten, ohne dass Frieden und Sicherheit bedroht werden. Das ist aber nicht realistisch: Denn die aktuelle Regierung ist im Untergang begriffen und will alle mit sich reißen.

Das Interview führte Sarah Mersch.

Ahmed Saif Hashed, geboren 1962, Jurist, Herausgeber einer Zeitung, ist seit 2003 gewählter Abgeordneter im Repräsentantenhaus des jemenitischen Parlaments. Er gehört keiner Partei an. In den vergangenen Jahren wurde Hashed wegen seiner politischen Arbeit mehrfach attackiert. 2003 überlebte er knapp einen Anschlag, bei dem sein Fahrer starb.