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Die Jagd ist nicht abgeblasen

ROHSTOFFMÄRKTE Die Spekulanten haben sich vorerst zurückgezogen. Experten rechnen aber schon bald wieder mit wachsender Nachfrage und steigenden Preisen

20.04.2009
2023-08-30T11:23:54.7200Z
4 Min

Rohstoffe sind für Industrienationen von enormer Bedeutung. Deutschland etwa wird seine Position als führendes Exportland nur dann behaupten können, wenn das Problem der starken Abhängigkeit von Importen wichtiger metallischer, energetischer und auch agrarischer Rohstoffe erkannt und gelöst wird. Im härter werdenden globalen Wettbewerb weisen jene Länder Vorteile auf, die über eine solide und stabile Rohstoffbasis verfügen.

Furcht vor Rohstoff- und Energieengpässen machte sich während der jüngsten Preisrallye indessen nicht nur in den Industrieländern, sondern auch im Boomland China breit. In die Schlagzeilen gerieten agrarische Rohstoffe wegen der von der UN beschriebenen Gefahr von Hungersnöten. An den Energiemärkten wurde die Peak-Oil-Theory als Erklärungsversuch für haussierende Preise herangezogen. Diese Theorie beschreibt den rascher als erwartet nahenden Förderhöhepunkt der weltweit verfügbaren Rohölreserven. Auf der Suche nach den Gründen für das Hochschnellen des Ölpreises von 30 auf rund 150 Dollar je Barrel geriet jedoch bald das Großkapital ins Visier.

Durch einen starken Zufluss spekulativer Gelder seien Angebot und Nachfrage als fundamentale Faktoren zur Bestimmung des Preises außer Kraft gesetzt worden, so die Kritik. Glaubt man den Verantwortlichen der Börsen, dann lag die Schuld für den Preisauftrieb aber nicht auf Seiten der Spekulation.

Die größten Energie-Terminbörsen der Welt, die Chicago Mercantile Exchange (CME) und der Intercontinental Exchange (ICE), stützen sich dabei auf eine beim Research-Institut Informa Economics in Auftrag gegebene Studie. Sie sieht keinen Grund zu der Annahme, dass die Handelsaktivitäten institutioneller Rohstoffmarkt-Investoren wie Commodity-Händlern, Indexfonds und die über Derivate operierenden Finanzhäuser für die starken Preisfluktuationen von Öl, Gas und agrarischen Rohstoffen verantwortlich waren.

Enormer Kapitalzufluss

Die Studie berücksichtigt aber Aktivitäten großer institutioneller Investoren zu wenig. Staatsfonds, Pensionskassen, Versicherungen, Banken, Hedge Fonds, Stiftungen, Private-Equity-Unternehmen und Family Offices hatten die Rohstoffe spät entdeckt, dann aber massiv über Investmentformen (wie Zertifikate, Swaps, Indexfonds und strukturierte Produkte) in diese Anlageklasse investiert. Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigen die enormen Kapitalzuflüsse. Das Volumen von im Freiverkehr gehandelten Rohstoff-Derivaten schoss nach einer BIZ-Untersuchung von 2001 bis 2008 von 0,25 auf 13 Billionen Dollar in die Höhe. Vor dem Hintergrund der weltweit destabilisierten Währungen flossen darüber hinaus zuletzt immer mehr Anlage- und Spekulationsgelder in sogenannte Exchange Traded Products (ETP). Hierbei handelt es sich um passiv gemanagte Investmentfonds.

Das in ETP investierte Anlagekapital ist von 40 Milliarden Dollar zu Beginn des Jahres 2007 auf 50 Milliarden Dollar gestiegen. Dies ist bemerkenswert, weil die Rohstoffpreise im vergangenen Jahr um mehr als 50 Prozent gefallen sind. Das in Gold investierte ETC-Volumen wird auf rund 35 Milliarden Dollar geschätzt; im börsennotierten ETC "US Oil Fund" sind fast 4 Milliarden Dollar angelegt. Zu berücksichtigen ist, dass solche Anlagevehikel zu Beginn der Rohstoffhause im Jahr 2000 noch nicht existierten. "Der starke Anstieg von Rohstoffindex-Fonds hat zur Entwicklung einer Spekulationsblase beigetragen", stellt die US-Aufsichtsbehörde Commodity Futures Trading Commission (CFTC) fest.

Einbrechende Preise

So kam es, wie es kommen musste - die Rohstoffpreise brachen ein. Das Platzen der Spekulationsblase wirft die Frage auf, ob es ein natürliches Limit geben kann für spekulative Gelder, die aus dem Finanzsektor stammen. Wie viel können die Rohstoffmärkte verkraften, ohne dass fundamentale Preisfindungsmechanismen außer Kraft gesetzt werden? Erinnert sei daran, dass der amerikanische Hedge Fonds Amaranth Advisors im Jahr 2006 Insolvenz anmelden musste, weil er an einer massiven Fehlspekulation auf den Erdgaspreis in den USA scheiterte.

Seinerzeit hatte Amaranth Advisors mehr als die Hälfte der an der New York Mercantile Exchange (Nymex) offenstehenden Erdgas-Terminkontrakte gehalten. Terminbörsen wie die Nymex haben zuletzt im Rohöl-Terminhandel Limits für ihre Mitglieder eingeführt. Danach darf ein einzelner Marktakteur nicht mehr als 10.000 Kontrakte in einem Liefermonat oder mehr als 20.000 Kontrakte in allen Liefermonaten aufbauen. Für einige der großen Marktteilnehmer wurden hier jedoch bereits wieder Ausnahmen ermöglicht. Der Preisauftrieb an den Märkten und die damit verbundene Aussicht auf steigende Erträge veranlasste die Bergbaukonzerne zur Ausweitung ihrer Investitionen, um ihre Vorkommen besser auszubeuten oder neue Reserven zu erschließen. Das daraus dann resultierende neue Angebot an Rohstoffen war eine Ursache für wieder fallende Preise. Kurz gesagt: Die freien Kräfte des Marktes haben in diesem Zyklus funktioniert.

Veränderter Zyklus

Der massive Preiseinbruch ist neben dem wieder zunehmenden Rohstoffangebot indessen auch auf die Finanzkrise zurückzuführen. Anleger waren wegen massiver Verluste in anderen Anlageklassen gezwungen, sich über den Verkauf ihrer Rohstoffpositionen Liquidität zu beschaffen, um finanzielle Löcher in anderen Bereichen zu stopfen. Dennoch scheint dieses Mal etwas anders zu sein als in vorherigen Zyklen.

Da der jüngste Verfall der Rohstoffpreise zeitlich mit dem größten Chaos zusammenfiel, das die Finanzmärkte seit rund 80 Jahren erlebt haben, stellt sich die Frage, ob die These vom "Rohstoff-Superzyklus" nicht doch ihre Berechtigung hat. Dies wiederum führt zurück zum Ausgangspunkt der Überlegungen, in der die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen in den Mittelpunkt gerückt wurde.

Wer die Aktivitäten der chinesischen Regierung als Orientierungsgröße nimmt, wird letztlich zu der Überzeugung gelangen müssen, dass der Auftrieb der Rohstoffpreise noch nicht zu Ende ist, sondern durch die Finanzkrise lediglich unterbrochen wurde. China hat jüngst einen Teil seiner Währungsreserven in die Hand genommen und weltweit direkt in Rohstoffprojekte investiert. Dabei ging Peking Direktbeteiligungen an Rohstoffgesellschaften ein. China hat in den vergangenen Monaten Vereinbarungen über Direktinvestments zur Erkundung und Erforschung von Rohstoffvorkommen getroffen. Darüber hinaus wurden von chinesischer Seite Milliardenbeträge in Farmland-Investitionen in Lateinamerika - vor allem in Brasilien - gesteckt.

Allein der Wert des bilateralen Handels zwischen der Volksrepublik China und Brasilien hat sich in den vergangenen zehn Jahren von rund 1,5 Milliarden auf fast 37 Milliarden Dollar vervielfacht. Die Volksrepublik sichert sich auf diese Weise gegen einen weiteren kräftigen Anstieg der Rohstoffpreise während der nächsten Jahre ab. Diese Politik lässt den Schluss zu, dass in den kommenden Jahrzehnten wieder zur Jagd auf Rohstoffe geblasen wird.

Der Autor ist Finanz- und Rohstoffkorrespondent beim "Handelsblatt".