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Umkämpfter Wiederaufbau

AFGHANISTAN Angriffe auf die Bundeswehr machen Erfolgsmeldungen über zivile Hilfe zur Mangelware

06.07.2009
2023-08-30T11:24:01.7200Z
4 Min

Gute Nachrichten aus Afghanistan sind selten geworden. "Schuld ist in gewisser Weise auch der Sensationsjournalismus", beklagt Kornelius Schiffer von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Kundus. Denn Fortschritte der zivilen Aufbauhilfe sind - wenn überhaupt - in Deutschland nur "Randnotizen": Beste Weizenernte am Hindukusch seit 32 Jahren, parallel dazu ein deutlich sinkender Mohnanbau in vielen Regionen. So sind mittlerweile 18 von 34 Provinzen Afghanistans "anbaufrei". In diesem Jahr könnte die Zahl auf 23 steigen. Im Fokus der Öffentlichkeit stehen indes die Angriffe auf die Bundeswehr.

Richtig ist: Seit Jahresbeginn gab es mehr als 30 Attacken auf die deutschen Soldaten im nordafghanischen Kundus. Wurde anfangs vor allem das Feldlager mit Raketen beschossen, so gerieten die Bundeswehrsoldaten auf ihren Patrouillen zunehmend in militärisch organisierte Hinterhalte. "Wir haben eine neue Qualität", sagt der Kommandeur der Schnellen Eingreiftruppe (QRF), Oberstleutnant Hans-Christoph Grohmann. Soldaten vor Ort sprechen von einem "hasserfüllten Feind", das Wort "Kampfeinsatz" ist bei ihnen dem Begriff "Krieg" gewichen - auch wenn die Politik immer noch von "militärischen Auseinandersetzungen" spricht.

Nach Einschätzung von Militär und Geheimdiensten setzen die zunehmend aus dem Süden Afghanistans verdrängten Taliban jetzt auf eine "Schlacht um Kundus". "Der Gegner weiß, dass Deutschland wegen der bevorstehenden Bundestagswahl ein geeignetes Angriffsobjekt ist. Das macht uns zum Ziel erster Klasse", sagt ein ranghoher Offizier. Denn bei einem Großangriff in Kundus mit einer hohen Zahl toter und verletzter Soldaten, lautet das Kalkül, könnte der Bundestagswahlkampf eine ganz andere Wendung nehmen.

Als am 23. Juni die Nachricht von drei getöteten Kameraden kam, herrschte Trauer und Fassungslosigkeit im Feldlager Kundus. "Das trifft ins Herz", sagen Soldaten erschüttert. Zwei Tage zuvor war noch in der gleichen Region nahe Kundus eine Einheit unterwegs - ohne Vorkommnisse. Ihr Auftrag, durch das Aufspüren und Unschädlichmachen von verdeckten Sprengfallen oder Minen die "Freiheit der Bewegung" wieder herzustellen, hilft auch der Bevölkerung. So sind die Soldaten auch einen Tag nach der Trauerfeier in Kundus wieder unterwegs.

Menschliche Schutzschilde

Derweil wird in Deutschland darüber diskutiert, ob genug Schutz für die Einheiten vorhanden ist und ausreichend Angriffsmittel zur Verfügung stehen. "Was nutzt uns die Feuerkraft, wenn wir zivile Opfer nicht ausschließen können", sagen Artillerieoffiziere in Kundus und verweisen auf jüngste Aufklärungsvideos. Darin ist zu sehen, wie Frauen und Kinder als "menschliche Schutzschilde" missbraucht werden.

Sorge bereitet zudem, dass bei Angriffen auf ausländische Soldaten die Bevölkerung in einigen Regionen zunehmend wegschaut. "Der Schutz der eigenen Truppen heißt eben auch, die Herzen der Menschen zu gewinnen", erläutern deutsche Kommandeure in Nordafghanistan. Und das gelinge nur mit Projekten, die die Lebenssituation der Menschen gerade in den drei Risikobereichen des Großraumes Kundus verbessern. Problematisch ist zum einen die sogenannte Flussschleife im Nordwesten der Stadt, aus der sich die afghanische Polizei fast völlig zurückgezogen hat. "Im ehemaligen Hauptkampfgebiet der Taliban gibt es derzeit ganze Regionen ohne eine ständige Polizeipräsenz", beschreibt der Leiter der EUPOL-Mission Kundus, Andreas Büschkens, die Lage. 537 afghanische Polizeidienstposten sind nach seinen Worten in den vergangenen Jahren gestrichen worden. Der zweite Bereich sind die "Raketendörfer" im Osten. Aus dieser Region waren seit März mehrfach Geschosse auf das Feldlager in Kundus gefeuert worden.

Schwerpunkt aber ist aktuell die Region Chahar Darreh südwestlich der Provinzhauptstadt. "Hier gibt es ganze Ortschaften, die offen mit den Taliban sympathisieren", heißt es in Kundus. Da fällt es den zivilen Helfern schwer, selbst teilweise begonnene Projekte fortzusetzen. Mit dem Tod der drei Bundeswehrsoldaten ist die Lage noch komplizierter geworden. "Es wäre aber ein total verzerrtes Bild, nur auf Kampf und Gefecht zu sehen und die Leistungen im Wiederaufbau und der Hilfe vor Ort zu vergessen", sagt Markus Beck, Presseoffizier in Kundus. Denn allein seit Jahresbeginn seien 32 Projekte mit Hilfe von Spenden umgesetzt worden. Hinzu kämen 73 Projekte mit Geldern des Regionalen Wiederaufbauteams, die von Brunnenbau über Straßeninstandsetzung bis zur Ausstattung von Gebetsräumen reichen. Gut ein Dutzend Moscheen im Raum Kundus hätten Gebetsteppiche und Korane erhalten. "Wir zeigen, dass wir die Kultur und die Religion hier respektieren", erläutert Beck.

Fehlendes Lagebild

"Gut ausgestatte zivile Programme sind genauso erforderlich wie zusätzliches militärisches Personal und Ausbilder", weiß auch der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei. Und sagt im gleichen Atemzug: "Haben wir aber überhaupt ein Lagebild vom Aufbau? Nein!" Bis heute könne nicht eingeschätzt werden, ob die Hilfe "nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein" sei. Auch das Parlament sei daran mit Schuld, denn es habe bis heute keine "nüchterne Wirksamkeitsprüfung" durchgesetzt. Daher will Nachtwei, der im Herbst nach vier Legislaturperioden den Bundestag verlässt, seinen Nachfolgern unbedingt einen Rat mit auf den Weg geben: Jedes Jahr sollte mit der Verlängerung des Isaf-Mandats eine "Outputbilanz" eingefordert werden. Nur so könne man "zu ‚better news' statt ‚bad news' aus Afghanistan" kommen.

Fliegende Augen

Können da Nato-Maschinen zur Luftraumüberwachung helfen? Ja, sagen Militärs und verweisen darauf, dass es 2007 rund 50 "kritische zivile Annäherungen" im afghanischen Luftraum gegeben habe. 2008 waren es schon 80. Daher könnten die "fliegenden Augen" der Nato, die Awacs-Flugzeuge, nicht nur für mehr Sicherheit der militärischen Flugbewegungen sorgen, sondern auch der wieder aufkommenden Zivilluftfahrt helfen. So beschloss der Bundestag am 2. Juli den Einsatz deutscher Soldaten an Bord dieser Maschinen (siehe Text unten rechts). Kurz zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Parlament betont, Ziel und Strategie des Nato-Einsatzes und des deutschen zivilen Engagements seien "ohne vernünftige Alternative". Und ohne die Taliban-Strategie zu erwähnen, fügte sie hinzu: "Wir werden vor dieser Aufgabe nicht weglaufen."