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Parlamentarisches Porträt : Die Provozierende: Heike Hänsel

13.07.2009
2023-08-30T11:24:02.7200Z
3 Min

Es gibt Themen, bei denen kann Heike Hänsel schon einmal aus der Haut fahren. Der Freihandel ist so eins. Als der Bundestag im Mai 2007 über den G8-Gipfel in Heiligendamm debattierte, empörte sich die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in einer Kurzintervention über den Umgang mit den kritischen Stimmen zum Gipfel: "Es ist ein Unding, dass sich die G8-Staaten abschotten und den Protest nicht hören", der gegen den Freihandel geäußert werde. Und so solidarisierte sich Hänsel während ihrer Rede kurzerhand mit den Demonstranten und ließ deren Transparente von ihren Fraktionsmitgliedern im Plenum hochhalten. "Sofort kamen die Saaldiener und wollten sie uns entreißen", erinnert sich Hänsel: Eine ähnliche Szene spielte sich im März 2009 ab. Die Fraktionskollegen entrollen während der Debatte über den Nato-Gipfel Transparente und Fahnen. "Ein Zeichen des Friedens", betont Heike Hänsel. "Mätzchen, die mit Parlamentarismus überhaupt nichts zu tun haben", stellte Bundestagspräsident Norbert Lammert fest und erteilte einen Ordnungsruf. Wenige Wochen später beschloß der Bundestag, künftig "gröbliche Verletzungen der Ordnung" stärker zu ahnden. Heike Hänsel ist es jedoch wichtig, mediale Aufmerksamkeit für ihre Themen zu bekommen.

Angefangen hat alles in Tübingen. Dort wurde Hänsel 1966 geboren und begann Mitte der 1980er Jahre Katholische Theologie zu studieren. Die Triebfeder war weniger religiöses als soziales und kulturelles Interesse. Von jeher war Hänsel von Lateinamerika fasziniert; im Studium befasste sie sich mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Sie ist begeistert von der Idee, alle Armen aus Entrechtung, Unterdrückung und Ausbedeutung zu befreien. Und zwar: "Nicht erst im Jenseits", wie sie betont, "sondern hier auf Erden." Im Sommer 1988 reiste sie nach Santiago de Chile, in die Diktatur Pinochets, um dort an einem internationalen Kulturtreffen teilzunehmen. "Es sollte die demokratischen Oppositionsgruppen des Landes unterstützen und weltweite Aufmerksamkeit erregen", so Hänsel. Was es bedeutet, sich in einer Diktatur zu widersetzen, erfuhr sie so hautnah: "Um das Kulturfestival herum stand Militär. Das Regime beäugte uns argwöhnisch, denn was wir taten, war hochpolitisch." Kultur sei in Lateinamerika auch immer eine Form des politischen Widerstandes gewesen.

Die Erfahrung in Chile war prägend für Hänsel und markiert den Auftakt ihres weltweiten Engagements. Zunehmend setzte sie sich seitdem in internationalen Aktionen gegen Unterdrückung und Gewalt ein: so 1989 in dem von Guerilla- und Drogenkriegen geschüttelten Kolumbien und bei Friedensmärschen zu Beginn der 1990er Jahre auf dem Balkan. Was einst sozialer Protest war, wurde immer mehr zu einer politischen Stoßrichtung: 1993 wurde Hänsel Mitglied bei der Menschenrechtsorganisation "Amnesty International", 2001 bei den Globalisierungskritikern "Attac". Krieg und Unterdrückung beschäftigten sie nach wie vor, nur die Perspektive änderte sich: Nun stand die Ernährung in Entwicklungsländern im Vordergrund: "Entwicklungspolitik ist eben ein Teil von Friedenspolitik." Nach dem Studium arbeitete Hänsel ab 1993 für die von ihr mitbegründete "Gesellschaft Kultur des Friedens". In dieser Zeit rückte die Globalisierung und immer deutlicher auch ihre Folgen ins Blickfeld: Wieder sind es die Armen, die Verlierer der Globalisierung, für die sich Hänsel einsetzt.

2005 wurde die Politik dann zum Beruf: Auf der Landesliste Baden-Württemberg der damaligen PDS kandidiert sie für den Bundestag und wird gewählt. "Es ist schon ein Riesenschritt von einer sozialen Bewegung ins Parlament", erklärt Hänsel ihre anfängliche Skepsis, "denn die Art der politischen Arbeit ist hier grundlegend verschieden." Nach vier Jahren im Parlament sieht sie das nicht anders, zufrieden scheint Hänsel dennoch: "Ich habe das, was in der globalisierungskritischen Bewegung gedacht wird, ins Parlament getragen." Zugleich mache sie sich keine Illusionen über die Erreichbarkeit dessen, was sie für richtig hält: "Derzeit ist es unmöglich, politische Mehrheiten im Parlament für eine wirklich soziale Politik zu organisieren."