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Gute Zeiten für die Königsmacher

LANDTAGSWAHLEN Althaus-Rücktritt in Thüringen, ein angeschlagener Peter Müller im Saarland - im Koalitionspoker gewinnen die kleineren Fraktionen an Einfluss

14.09.2009
2023-08-30T11:24:06.7200Z
5 Min

Der Wähler hat die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. In Thüringen und im Saarland keine Mehrheit für Schwarz-Gelb, der Rücktritt von CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus in Erfurt samt surrealistischem Bühnenspektakel, Machtkämpfe um Jamaika oder Rot-Rot-Grün am Saarufer sowie um eine große Koalition oder ein Bündnis von Linkspartei, SPD und Grünen in Thüringen: Die Bürger staunen über Aufgeregtheiten und Ungewissheiten.

Eines wird in dem Hin und Her indes bereits klar: In Fünf-Parteien-Parlamenten haben kleine und kleinste Fraktionen als "Königsmacher" plötzlich einen Einfluss, der über ihren Stimmenanteil weit hinausreicht. In Erfurt genießt diese Rolle besonders Christoph Matschie: "Dass Thüringen nicht ohne die SPD regiert werden kann, eröffnet uns politische Gestaltungsmöglichkeiten." In Saarbrücken trumpft Hubert Ulrich auf, dessen Grüne sowohl von CDU und FDP wie von SPD und Linken umworben werden: Man habe "echte Verhandlungsfreiheit", um die Ziele der Partei "durchzusetzen".

Mysteriöser Satz

Die Schlagzeilen beherrscht momentan Thüringen, wo Althaus seinen Rücktritt auf fast gespenstisch anmutende Weise inszenierte. Zunächst schien es klug zu sein, wegen der Wahlniederlage als Kabinettschef wie CDU-Vorsitzender aufzugeben und den Weg für Verhandlungen mit der SPD freizumachen: Nur in einer Großen Koalition kann die Union an der Macht bleiben. Doch dann tauchte Althaus wieder auf, trat partiell vom Rücktritt zurück und ließ sich bis zur Wahl eines Nachfolgers wieder in der Staatskanzlei nieder: "Ich regiere nicht, ich führe mein Amt weiter!" - ein mysteriöser Satz.

Realitätsverlust? Ein Versuch, in den Kampf um seinen Erben einzugreifen? Das Manöver ging jedenfalls schief. Althaus wurde kurzerhand von Birgit Diezel, Finanzministerin und amtierende CDU-Vorsitzende, und Sozialministerin Christine Lieberknecht entmachtet: Letztere soll an die Spitze einer Großen Koalition rücken. "Die Ära Althaus ist beendet", so Lieberknecht resolut. Der Coup gelang. Da Mike Mohring vom konservativen Parteiflügel wieder Fraktionschef wird, hat sich die CDU personell sortiert - wobei ein ausgebooteter Amtsverweser in der Staatskanzlei während der Koalitionsgespräche natürlich seltsam wirkt.

Freilich ist offen, ob die Rechnung aufgeht, mit Lieberknecht die Macht zu verteidigen. Zwar steht sie im Ruf, es mit der SPD und Matschie zu können. Und bei ersten Kontakten zwischen beiden Parteien herrschte, wie es hieß, eine freundliche Atmosphäre. Lieberknecht erschien demonstrativ in schwarz-rotem Outfit. Diezel spricht von Annäherungen. Matschie: "Wir ringen um Lösungen."

Doch der SPD-Vormann dürfte den Preis nach oben treiben - gegenüber der CDU wie gegenüber den Linken. Im Falle von Rot-Rot-Grün pokert Matschie allerdings hoch: Obwohl die SPD deutlich hinter der Linken liegt, will sie deren Chef Bodo Ramelow partout nicht zum Ministerpräsidenten küren. Wie soll dieser gordische Knoten durchgehauen werden? Ramelow äußert sich zuweilen sibyllinisch: Natürlich lade die Linke als stärkere Partei ein und schlage vor, doch er spiele mit einer "Überlegung, die auch außerhalb aller bisher denkbaren Varianten liegt".

Eine originelle Idee kam Daniel Cohn-Bendit in den Sinn: Der EU-Abgeordnete der Grünen schlug Parteifreundin Kathrin Göring-Eckardt als Regierungschefin vor, um die Blockade zwischen Linken und SPD aufzulösen. Ob die Öko-Partei aber über Rot-Rot-Grün überhaupt verhandeln will, steht keineswegs fest, das soll ein kleiner Parteitag am 18. September entscheiden. Rot-Rot allein hat nämlich mit 45 Sitzen bereits eine knappe Mehrheit, doch möchten Linke und SPD, offenbar aus Furcht vor unsicheren Kantonisten in den eigenen Reihen, die Grünen mit ins Boot holen. Deren Vorsitzende Astrid Rothe-Beinlich sagt, man wolle "kein Lückenbüßer" und "keine Garantie für Wackelkandidaten" sein. Andererseits lockt der Eintritt in eine Regierung.

Brautwerben um die Grünen

An der Saar geht es derzeit etwas weniger turbulent zu. Dort stehen Jamaika oder Rot-Rot-Grün zur Debatte, nachdem Lafontaines Truppe spektakulär die Landespolitik aufgemischt hat. Eine Große Koalition will ernsthaft niemand. CDU und FDP rollen Ulrich den Teppich aus, auch SPD-Mann Heiko Maas buhlt um die Grünen. Lafontaine, der fürs erste den Vorsitz der Linksfraktion übernahm, dringt ebenfalls auf Rot-Rot-Grün.

Ministerpräsident Peter Müller denkt nicht daran, dem Beispiel von Althaus zu folgen: Die Lage an der Saar sei "eine ganz andere". Immer wieder kehrt er seinen Machtanspruch heraus: Die Union sei mit großem Abstand "stärkste Partei". Fraktionschef Jürgen Schreier tritt Spekulationen entgegen, man werde um Jamaika willen Müller vielleicht opfern: "Müller ist die Nummer eins der CDU Saar."

Mit Schwarz-Gelb-Grün könne die Saar bundesweit "Vorreiter" werden, lockt Schreier Ulrich. Zwar sagt Müller, die CDU werde "nicht ihre Seele verkaufen", um an der Regierung zu bleiben. Freilich werden zügig bisherige Positionen geräumt, um den Grünen entgegenzukommen. So stellen Müller und FDP-Chef Christoph Hartmann plötzlich die Studiengebühren in Frage. Die Liberalen erinnern die Grünen an innenpolitische Gemeinsamkeiten und versprechen Kompromisse in der Energiepolitik. Das Brautwerben hat der FDP bereits Krach beschert: Der Kreisverband Homburg fordert den Rücktritt von Partei-Generalsekretär Jorgo Chatzimarkakis wegen "erwiesener Unfähigkeit", weil der den Grünen schon ein "Mega-Ministerium" für Umwelt, Energie, Gesundheit und Verbraucherschutz angeboten habe.

Die Öko-Partei und deren Wähler sind laut Umfragen gespalten zwischen Jamaika und Rot-Rot-Grün. Man führe "Gespräche nach allen Seiten", betont Ulrich, erst am 10. Oktober soll ein Parteitag eine Entscheidung treffen. Der Homburger Stadtverband tritt für Jamaika ein. Andererseits wollen SPD, Linke und Grüne im Saarbrücker Stadtrat zügig ein Bündnis schmieden, um ein Signal für die Landesebene zu setzen.

Bei den meisten Themen liegt Rot-Rot-Grün nahe. Nach einem ersten Treffen stellten Maas und Ulrich weitgehende Übereinstimmung fest. Der Sozialdemokrat sieht das Ministerpräsidentenamt zum Greifen nahe und zieht hinter den Kulissen mit Lafontaine, Linken-Landeschef Rolf Linsler und Ulrich eifrig an den Strippen.

Die Knackpunkte liegen zwischen Linken und Grünen. Als "Problemfall" stuft Lafontaine den Bergbau ein: Die Linke will über das bislang für 2012 avisierte Ende des Kohleabbaus hinaus unter unbewohntem Gebiet weiter fördern lassen, was die Grünen strikt ablehnen. Linsler signalisiert indes Entgegenkommen. Zudem plädiert die Linke für die Kohleverstromung. Man strebe Rot-Rot-Grün "nicht um jeden Preis" an.

Und dann der Personalstreit. Es dürfte knistern, wenn sich Lafontaine und Ulrich bei Gesprächen gegenüber sitzen: Lafontaine wollte die Grünen aus dem Landtag "kegeln", die ihrerseits im Wahlkampf "Oskar" hart attackiert haben. Vor allem aber ist da die Bildungspolitikerin Barbara Spaniol: Als Ministerin wäre sie für die Grünen ein rotes Tuch, weil sie 2007 im Landtag von den Grünen zu den Linken gewechselt ist. Spaniol kontert: "Soll ich mein Mandat zurückgeben, damit es den Grünen besser geht? Nee, das können Sie vergessen!"

Ob Jamaika oder Rot-Rot-Grün: Ausgerechnet das Saarland mit seiner lockeren Lebensart dürfte die republikweit repressivsten Rauchverbote bekommen. Müller schwenkte als erster auf den rigiden Kurs der Grünen ein, ebenso die FDP, die beim Rauchen bislang auf Liberalität gepocht hat. SPD und Linke signalisieren Ulrich ebenfalls Zustimmung. Im Wahlkampf war bei allen vier Parteien von einer Verschärfung der Rauchverbote keine Rede.