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Schuldenlawine rollt auf neue Regierung zu

FINANZEN Haushaltssanierung und Reduzierung der Neuverschuldung stehen an erster Stelle der Aufgabenliste. Schwarz-gelbes Bündnis will Steuern senken

05.10.2009
2023-08-30T11:24:09.7200Z
5 Min

Noch ist die neue Regierung nicht im Amt, da rollt die Schuldenlawine schon. Drei Tage nach der Bundestagswahl gab das Statistische Bundesamt alarmierende Zahlen bekannt. Danach haben die öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr zusammen 64,4 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Der Gesamtschuldenstand des Staates liegt bei 1,602 Billionen Euro. Vertreter von Union und FDP zeigten sich aber bereits vor Beginn der Koalitionsverhandlungen fest entschlossen, den Haushalt zu konsolidieren, keine Steuern zu erhöhen und Spielraum für eine Steuerreform zu schaffen.

Der scheidende Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat in seinem Etat für 2009 eine Nettokreditaufnahme von 49,1 Milliarden Euro vorgesehen. Den Fehlbetrag zwischen Einnahmen und Ausgaben im Bereich des Bundes bezifferten die Statistiker bisher auf 28,7 Milliarden Euro. Dabei dürfte es aber nicht bleiben, da Sondervermögen wie der Investitions- und Tilgungsfonds und der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung ebenfalls zur Kreditaufnahme berechtigt sind und davon in diesem und in den nächsten Jahren auch reichlich Gebrauch manchen müssen.

Staatsausgaben steigen

Der haushalterische Schwur für die neue Koalition kommt ohnehin erst im nächsten Jahr. Steinbrück hatte wenige Monate vor der Bundestagswahl einen Etatentwurf für 2010 vorgelegt, in dem er plante, die Ausgaben von 303,3 (2009) auf 327,7 Milliarden Euro zu erhöhen. Die Nettokreditaufnahme sollte von 49,1 auf 86,1 Milliarden Euro steigen. Zu einem echten Horrorgemälde wird die mittelfristige Finanzplanung des Finanzministers, wenn die Neuverschuldung bis 2013 zusammengerechnet wird. Dann müssten in den kommenden vier Jahren 262,4 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen werden. Noch nicht in der Zahl enthalten sind sogenannte "Globale Minderausgaben" in Höhe von rund 37 Milliarden Euro. Dieser Betrag muss von den einzelnen Ministerien durch Kürzungen in ihren Einzelplänen erwirtschaftet werden.

Den Kurs der hohen Nettokreditaufnahme will die neue Koalition, wie in den Wahlprogrammen von Union und FDP nachzulesen ist, auf keinen Fall unverändert fortsetzen. So heißt es zum Thema Bundeshaushalt im Programm der Union: "Wir wollen die Neuverschuldung senken, indem wir die zur Krisenbekämpfung notwendigen neuen Ausgaben so schnell wie möglich wieder abtragen. Wir halten am Ziel eines ausgeglichenen Haushalts fest." Die FDP fordert sogar ein "prinzipielles Neuverschuldungsverbot", da ihr die im Zusammenhang mit der Föderalismusreform beschlossene Schuldenbremse nicht weit genug geht. Welche Maßnahmen die neue Koalition ergreifen will, um Ausgaben zu reduzieren, geht aus den Wahlprogrammen nicht klar hervor.

Verzögerte Etatplanung

Die Bürger werden sich möglicherweise bis zum Sommer nächsten Jahres gedulden müssen, ehe endgültige Klarheit über den weiteren Weg in der Haushaltspolitik besteht. Der von Steinbrück vorgelegte Entwurf verfällt ohnehin der Diskontinuität. Sein Nachfolger muss einen neuen Entwurf erarbeiten. Dass Haushaltspläne nach Bundestagswahlen erheblich verspätet vorgelegt werden, ist nicht neu. Schon 2005 hatte die große Koalition erst ein halbes Jahr nach der Wahl einen neuen Etat vorgelegt. Praktische Auswirkungen haben Etatverzögerungen nicht. Solange kein neuer Haushalt da ist, gilt eine "vorläufige Haushaltsführung" auf Grundlage der Vorjahreszahlen.

Helfen könnte Steinbrücks Nachfolger ein Wirtschaftsaufschwung. Im laufenden Jahr hat der Staat ein zweifaches Problem: Die Ausgaben steigen, und die Einnahmen sinken. Das Ergebnis sind noch höhere Schulden. So kletterten die Ausgaben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr um 8,1 Prozent, die Steuereinnahmen gingen dagegen um 1,7 Prozent zurück. Ob sich die Lage bald wieder aufhellt, wird die Steuerschätzung im November zeigen. Experten sehen die Situation in Deutschland bereits etwas positiver. So hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) für Deutschland im kommenden Jahr ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent vorhergesagt. Nach einer in der letzten Woche veröffentlichten neuen Schätzung des IWF wird jetzt ein leichter Aufschwung mit 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum erwartet. Steinbrück war aber noch optimistischer gewesen und hatte bereits für 2010 ein Wachstum von 0,5 Prozent eingeplant, in den folgenden Jahren sogar 1,9 Prozent.

Zum Problem könnte eine "Kreditklemme" werden. Der Begriff wird in der politischen Debatte gemieden, aber die staatlichen Millionen-Bürgschaften selbst für kerngesunde mittelständische Betriebe wie den Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen AG zeigen, dass die Banken nicht bereit sind, Geld an Unternehmen herauszurücken und damit den Aufschwung zu finanzieren. Das Vertrauen auf dem Kapitalmarkt ist auch ein Jahr nach Beginn der Krise noch nicht wieder hergestellt. Wie misstrauisch Banken sind, zeigt sich an der Verwendung der Kapitalspritzen der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB pumpte erst in der letzten Woche wieder 75 Milliarden Euro mit einem Zinssatz von einem Prozent in den Markt. Die Banken griffen nach dem Geld und legten es gleich bei der EZB oder in Staatspapieren an, aber nicht in Unternehmensinvestitionen. Das mit den Kapitalspritzen einhergehende Wachstum der Geldmenge könnte sich außerdem in späteren Zeiten zu einem Inflationsproblem ausweiten und einen Aufschwung abwürgen.

Vor diesem Hintergrund ist es auch unwahrscheinlich, dass eine schwarz-gelbe Koalition den Banken-Rettungsschirm von 480 Milliarden Euro schnell wieder schließen könnte. Das Risiko, dass in den Bilanzen doch noch jede Mange "toxische" Wertpapiere stecken, ist weiter groß. Und eine Reprivatisierung der verstaatlichen Hypo Real Estate (HRE), die auf der FDP-Wunschliste weit oben steht, dürfte aus genau diesen Gründen auf sich warten lassen.

Wie schnell eine Reform der Lohn- und Einkommensteuer kommen wird, ist noch ungewiss. Zum Handeln zeigten sich jedoch sowohl Union als auch FDP sofort nach der Wahl entschlossen. Das "zarte Pflänzchen" Aufschwung müsse gestärkt werden, "und da können Entlastungen ein Beitrag sein", kündigte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im ZDF an. Sie sei der Meinung, "dass Sparen und Kürzen jetzt die vollkommen falsche Botschaft wären". FDP-Generalsekretär Dirk Niebel versicherte, es werde eine echte Entlastung in mehreren Schritten geben: "Wir beginnen mit den Familien, dann kommen die Geringverdiener. Und die sogenannte kalte Progression muss gedämpft werden, damit die Mittelschicht mehr vom selbst verdienten Geld übrig hat." Er sei guter Dinge, dass es mit der Union schnell eine Vereinbarung über den ersten Schritt geben werde. Einen Verbündeten hat die FDP in der CSU, die bereits 2011 die Bürger entasten will.

Schnell kommen werden Änderungen in anderen Bereichen. So besteht bei Union und FDP der Wunsch, die Erbschaftsteuerreform der Großen Koalition erneut zu ändern. Dabei sollen vor allem mittelständische Betriebe beim Generationenübergang besser geschützt werden. Auch in Teilbereichen der Unternehmensteuerreform besteht akuter Handlungsbedarf. Dabei geht es vor allem um die sogenannte Zinsschranke, mit der die Absetzbarkeit von Zinszahlungen bei der Steuer reduziert wird. Eine zur Schonung kleinerer Unternehmen eingeführte Freigrenze bei der Schranke wurde bereits nach Ausbruch der Krise erhöht, gilt aber nur befristet. Die Wirtschaft fordert die völlige Abschaffung.

Eine neue Steuer wird das Licht der Welt noch nicht erblicken: Die von Steinbrück in den letzten Amtsmonaten favorisierte Börsenumsatzsteuer, mit der sich sogar die CDU anzufreunden begann, stößt bei der FDP auf Ablehnung.