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Zu enttäuscht, zu apathisch oder zu krank für den Urnengang

WAHLBETEILIGUNG Weniger Menschen als jemals zuvor haben bei der Bundestagswahl 2009 mitgestimmt. Die Gründe dafür sind vielfältig und schwer zu ergründen

26.10.2009
2023-08-30T11:24:11.7200Z
4 Min

Werner Peters ist auch in diesem Jahr nicht wählen gegangen. Für den Kölner Autor und Hotelier gab es keinen Grund, sein Kreuzchen zu machen: "Die Probleme werden aufgeschoben und das demokratische System funktioniert nicht mehr." Peters wünscht sich mehr Mitbestimmung für die Bürger und eine Abkehr von dem, was er "Parteienherrschaft" nennt. Vor elf Jahren gründete er deshalb die "Partei der Nichtwähler" - und ist seitdem ein beliebter Ansprechpartner der Medien, wenn es darum geht, die Motive derjenigen Wahlberechtigten zu erklären, die am Wahltag lieber zu Hause bleiben.

Seit dem Wahlabend ist klar: Peters befindet sich in großer Gesellschaft. Die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl am 27. September lag mit 70,8 Prozent so niedrig wie nie. Da stellt sich in erster Linie die Frage nach den Gründen.

Unterschiedliche Motive

Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap hat vor und nach der Bundestagswahl im Auftrag der Initiative ProDialog genau diese Motive in einer Studie untersucht. Dafür wurden 392 Bundesbürger zu ihrem Interesse an der Wahl befragt - mit eindeutigen Ergebnissen, so die Meinungsforscher: Die Befragten wünschen sich vor allem, dass Politiker glaubwürdiger werden und Probleme besser lösen.

Sieben von zehn Befragten interessierten sich wenig bis gar nicht für die Bundestagswahl 2009, heißt es in der Auswertung. Die Autoren der Studie kommen aber ebenfalls zu dem Schluss, dass die Nichtwähler "keineswegs verdrossen von der Demokratie" seien. Denn, so ein weiteres Ergebnis, nur 16 Prozent der Befragten halten Wahlen für überflüssig und nur ein Drittel interessiert sich nach eigenen Angaben nicht für Politik.

Nach einer Umfrage im Juni dieses Jahres war das Meinungsforschungsinstitut außerdem zu dem Schluss gekommen, dass die Gruppe derjenigen, die wahrscheinlich oder sicher nicht wählen will, differenzierter wird. "Diese Verunsicherung ist mittlerweile auch in der Altergruppe 45plus sowie bei den Befragten mit mittlerem bis hohem Bildungsabschluss und Einkommen angekommen", heißt es.

Andere Wissenschaftler sehen die Entwicklung gelassener. "Der dümmste Spruch, den ich immer wieder höre, ist der, dass die ,Partei der Nichtwähler' immer größer wird", sagt Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler der Universität Passau. Es gebe keine einheitliche Gruppe von Menschen, die der Wahlurne fernblieben. "Ein erheblicher Teil ist politikabstinent oder -verdrossen", erklärt Oberreuter. Dann gebe es "Apatische", die mit der Entwicklung des Landes durchaus zufrieden seien und keinen Anlass sehen, sich einzumischen. "Außerdem gibt es noch eine Gruppe, die mit der Politik der Partei, der sie grundsätzlich zugeneigt sind, nicht einverstanden sind, aber nichts anderes wählen wollen", führt er aus.

Diesen Thesen stimmt auch Oskar Niedermayer, Politologe der Freien Universität Berlin, zu. Neben den "Desinteressierten" und Unzufriedenen gebe es die "abwägenden Nichtwähler", die nur zu Wahlen gingen, die ihnen wichtig seien. Europa- und Kommunalwahlen stünden für sie am unteren Ende der Werteskala, Bundestagswahlen eher oben. Nicht vergessen dürfe man diejenigen, deren Stimme etwa wegen zu spät eingereichter Briefwahlunterlagen nicht gezählt werden könne. "Das sind ungefähr vier Prozent der Nichtwähler, bei denen man gar nicht weiß, wie sie wählen würden, wenn sie könnten", sagt Niedermayer. Umfragen, die vor allem einen Anstieg der "Protest-Nichtwähler" ergeben, sieht er skeptisch. "Die Leute wollen oft nicht zugeben, dass sie kein Interesse an Politik haben und tun so, als ob sie protestieren. Sie können es aber nicht politisch begründen, warum sie nicht hingehen."

Ein Phänomen kann allerdings auch Niedermayer nicht abschließend erklären: warum Ostdeutsche seltener zur Wahl gehen als Westdeutsche. In den ostdeutschen Ländern lag die Wahlbeteiligung bei 64,7 Prozent, in Westdeutschland dagegen bei 72,2 Prozent. Das Bundesland mit der niedrigsten Beteiligung war - zum fünften Mal in Folge - Sachsen-Anhalt mit 60,5 Prozent, der Wahlkreis mit der niedrigsten Beteiligung war Anhalt mit 57,6 Prozent. Das ist nicht verwunderlich, denn Ostdeutsche beteiligen sich schon seit der Wiedervereinigung in geringerem Umfang an den Wahlen. "Das kann immer noch eine Reaktion auf die Zwangspolitisierung in der DDR sein", vermutet der Niedermayer. Auch gebe es hier vielleicht mehr Protestwähler.

Geringe Parteibindung

Die geringe Anbindung an Parteien ist für den Politikwissenschaftler Kai Arzheimer von der Universität Mainz ein wichtiges Kriterium. Menschen, die sich nicht fest zu einer bestimmten Partei zugehörig fühlten, sähen sich auch nicht verpflichtet, eine Partei zu stützen, wenn diese sich einmal schlecht präsentiere. Dieser Faktor spiele in Ostdeutschland eine wichtige Rolle. Außerdem seien die Ostdeutschen in der Tat mit der Politik unzufriedener als im Westen. "Aus Unzufriedenheit resultiert - manchmal - Nichtwahl", sagt Arzheimer.

Derweil überlegt Werner Peters, ob er seine "Partei der Nichtwähler" wieder beleben soll oder nicht. Er habe sie schließlich gegründet, "weil auf andere Weise politisch kein Erfolg zu holen ist". Würde er seine Ziele wie mehr direkte Bürgerbeteiligung und Einschränkung der Macht der Parteien, erreichen, würde er sie auflösen.