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In den Klauen der Seuche

AIDS Südafrika, Botsuana und Swasiland halten Rekorde bei HIV-Infektionen. Es bedarf neuer Ideen

23.11.2009
2023-08-30T11:24:14.7200Z
5 Min

Er ist entschlossen, trotz der Frustration nicht aufzugeben. "Ich kann niemanden leiden sehen", sagt Sello Mokhalipi und grinst. Aber der Schmerz nagt an ihm. Der Umgang mit der HIV/Aids-Krise im Freistaat, einer Provinz im Herzen Südafrikas, ist sein Alltag. Sello trägt seit 14 Jahren den tödlichen Virus im Körper. Seine Lebensgefährtin verlor er im vergangenen Jahr durch Aids. Mokhalipi kennt die Isolation, das Stigma der Krankheit, die Sorgen der Menschen, die mit dem Virus leben. Der 31-Jährige ist Sprecher der HIV/Aids-Koalition, die mehr Hilfe für Betroffene fordert. "Wenn Du Gutes tust, wird es vielleicht bald vergessen sein", sagt Mokhalipi. Er macht es trotzdem: "I have to." - "Ich muss."

Die medizinische Versorgung im Freistaat ist katastrophal. Statt lebensverlängernder Aids-Medikamente erhalten Kranke lediglich einen Eintrag auf einer Warteliste. Und die ist lang. Medizin ist nicht mehr auf Lager, und bei der Provinzregierung gibt es unzumutbare Verzögerungen. Keine guten Voraussetzungen, um die Gratwanderung zwischen Leben und Tod in den Griff zu bekommen. Mokhalipi arbeitet mit der Poliklinik "Pelonomi" zusammen. Dort ist nur noch einer von ursprünglich drei Ärzte im Einsatz, auf ihn warten häufig 200 Patienten. "Viele gehen ohne Behandlung nach Hause", sagt er.

Wenig Vertrauen

Neulich starb ein Patient auf dem Autorücksitz seiner Kollegin auf dem Weg ins Krankenhaus. "Meine Hilfe kam zu spät. Er wartete mehrere Monate auf Anti-Aidsmedikamente", sagt Trudie Harrison, Direktorin der Mosamaria Aids-Hilfsstelle der Anglikanischen Kirche, die sich mit 21 Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und anderen Kirchengruppen der HIV/Aids-Koalition angeschlossen hat. Harrisons Vertrauen in die Fähigkeiten der Provinzregierung, dem Problem Herr zu werden, ist gering. "Ich glaube, es wird schlechter, bevor es besser wird, es sei denn, der Gesundheitsminister schreitet persönlich massiv ein."

Genau das versprach Aaron Motsoaledi, Südafrikas neuer Gesundheitsminister in der seit April bestehenden Regierung von Präsident Jacob Zuma. Er warnte, dass sich die Situation im Freistaat in keiner anderen Provinz wiederholen dürfe. Überhöhte Ausgaben der Provinzregierung hatten im November vergangenen Jahres bis Februar 2009 zu einem Aufschub der Behandlung von Aids-Kranken geführt. Laut Schätzungen der südafrikanischen "HIV Clinicans Society" starben daraufhin 30 Menschen pro Tag. Doch die Notlage hält an, nicht nur im Freistaat. Was Aids-Aktivisten lange befürchtet hatten, bestätigte jetzt die südafrikanische Regierung: Das Land wird sein Ziel nicht erreichen, 80 Prozent der HIV/Aids-Kranken bis 2011 zu versorgen. "Zur Zeit erhalten 700.000 Menschen Medikamente, leider sind das nur 50 Prozent derjenigen, die sie brauchen", erklärte Motsoaledi bei einer Konferenz des nationalen Aidsrates.

Die Hindernisse: logistische Probleme und Personalmangel. Laut Mark Heywood, dem stellvertretenden Vorsitzenden des nationalen Aids-Rates, holt Südafrika jetzt ein, was unter Ex-Präsident Thabo Mbekis Regierung und der umstrittenen Ex-Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang versäumt worden ist. Fünf Jahre seien verloren gegangen durch Mbekis Zweifel, ob der HI-Virus allein Aids verursachen kann, und das Beharren der Ministerin auf "Behandlungsalternativen" wie Roter Beete.

Mit 5,7 Millionen HIV-infizierten Menschen - elf Prozent der Bevölkerung - und etwa 1.000 Toten pro Tag leidet Südafrika unter der größten Aids-Epidemie weltweit, besitzt aber zugleich den umfassendsten Behandlungsplan. Der Fünfjahresplan wurde 2007 verabschiedet.

Doch nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist er um mehr als 90 Millionen Euro unterfinanziert. Nicht nur dem Freistaat ging das Geld aus, andere Provinzen könnten in den nächsten Monaten folgen, fürchtet Motsoaledi. Der drohende Verfall von Krankenhäusern und akutem "brain drain" - dem Abzug von Fachpersonal, das besser bezahlte Jobs im Ausland annimmt - verschlimmert die Lage.

Vorbeugung statt Ansteckung ist daher für alle betroffenen Länder in der Region vorrangiges Ziel. Aber eine nationale HIV-Studie von 2008 zeigt, dass es hierbei in Südafrika nur begrenzte Fortschritte gibt. Infektionsraten sind bei Kindern und Jugendlichen zwar gefallen, doch bei Erwachsenen ab 25 Jahren leicht gestiegen. "Wir erreichen kaum die Risikogruppen, es gibt wenig konkrete Programme für Sexarbeiterinnen, Flüchtlinge und Homosexuelle", kritisiert Heywood. In der Hoffnung auf einen Durchbruch beim Verhalten in Sachen Sex hat nun Südafrikas Nachbar, das Königreich Swasiland, zu einer neuen Kampagne aufgerufen. Der "Liebestest" soll Paare motivieren, gemeinsam einen HIV-Test machen zu lassen. "Wenn beide Partner über HIV und Aids gleichzeitig informiert werden, bemühen sie sich eher, ihr Verhalten zu ändern, zum Beispiel durch Benutzung von Kondomen", meint Sam Vilakati, HIV/Aids-Berater in der Hauptstadt Mbabane. Vilakati hat allerdings bereits viele Initiativen zur Prävention kommen und gehen sehen. Die Erfolge blieben bescheiden. Es sei schwer, sozial geprägte Verhaltensmuster in einer patriarchalischen Gesellschaft zu ändern, sagt er resigniert.

Das Königreich gehört zu kleinsten Ländern Afrikas und besitzt die höchste HIV-Infektionsrate der Welt: 26,1 Prozent der Swasi zwischen 15 und 49 Jahren leben mit dem Virus - mit Auswirkung auf Prognosen. Eine Statistik des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen von 2007 zählte etwa eine Million Swasi, nur knapp 100.000 Menschen mehr als 1997. Dabei sollten laut Prognosen aus dieser Zeit im Jahr 2007 1,2 Millionen Menschen in Swasiland leben.

Mehrheit sind Waisen

"Wir befinden uns in einer abnormalen Situation mit einer hohen Sterbezahl, die nicht akzeptiert werden darf", sagt Derek von Wissell, Direktor des "National Emergency Response Council for HIV/Aids" der Regierung Swasiland. So leben nur 22 Prozent aller Kinder entweder mit Vater oder Mutter, die Mehrheit sind Waisen. "HIV/Aids ist eine Langzeitkrise und wir stecken gerade in einem tiefen Tal. Es wird ein bis zwei Jahrzehnte dauern, die Wirtschaft und Lebensstrukturen zu ändern", konstatiert Wissell. Die Aufklärung um die Immunschwächekrankheit sei groß, Anti-Aids-Medikamente werden landesweit umsonst verteilt. Aber wie in den anderen Ländern steigen die Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Ein Viertel der Arbeitskräfte in Swasiland bleibt zu Hause, weil sie an Aids erkrankt sind oder Angehörige pflegen, berichtet der Internationale Währungsfonds. Ein Abschreckungsfaktor für Investoren, die das arme Land dringend braucht.

Mangelnde Finanzen waren für den nördlichen Nachbarn Botsuana nie ein Problem. Der Staat erwirtschaftete Reichtum durch ungeheure Mineralienexporte, aber die globale Krise wirkt sich jetzt negativ aus: Das kleine Land ist von Diamantenverkäufen abhängig, die drastisch zurückgegangen sind. Finanzminister Baledzi Gaolathe sagt Verkaufseinbußen von bis zu 50 Prozent voraus. Das bedeutet letztendlich einen drohenden Behandlungsstopp für Kranke.

Die Ansteckungsrate liegt bei 23,9 Prozent. Regierungsgelder finanzieren 80 Prozent der Anti-Aids-Programme, der Rest sind Spenden. Vorbildlich in der Region, versorgt Botsuana 91.000 Kranke mit Medikamenten. Dazu kommen etwa 22.000 Menschen, die privat behandelt werden. Doch das sinkende Einkommen lässt eine düstere Zukunft erwarten, da es laut Regierung nicht ausreichen wird, um Aids-Projekte über 2016 hinaus zu erhalten.

Politiker und Gesundheitsexperten diskutieren Alternativen. Eine "Aids-Abgabe" könnte aus Steuergeldern in Hilfsprogramme fließen. Eine Partnerschaft mit anderen Ländern könnte helfen, um Anti-Aids-Medikamente billiger herzustellen, wie es bereits in Südafrika geschieht, heißt es in Botsuana. Dort wird über Werbung im Radio und Fernsehen auch zur Beschneidung aufgerufen. Laut Berechnungen sollten sich in den kommenden fünf Jahren eine halbe Million Männer dieser gesundheitlichen Maßnahme gefolgt sein. Allen voran hat Swasiland 2008 ein solches Pilotprojekt gestartet, nachdem die Weltgesundheitsorganisation bestätigte, dass Beschneidung das Infektionsrisiko bei Männern um 50 Prozent verringern könne.

Die Autorin ist Korrespondentin der "taz" für das südliche Afrika und lebt in Johannesburg.