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Leicht aufwärts

WIRTSCHAFT Experten sehen keinen Raum für Steuersenkungen

23.11.2009
2023-08-30T11:24:14.7200Z
3 Min

Selten waren sich die Wirtschaftsexperten so einig: Deutschland soll im nächsten Jahr wieder auf den Wachstumspfad kommen. Statt Minus ist Plus angesagt. Die Produktion könnte wieder steigen. Die Fraktionen ziehen allerdings unterschiedliche Konsequenzen aus den Vorhersagen.

Die Erholung der Konjunktur gewinne an Breite, schreiben noch recht vorsichtig die Experten der Deutschen Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht. Das Münchener Ifo-Institut erklärte, die Lage habe sich deutlich aufgehellt. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet für Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent im kommenden Jahr. Im Juni war die OECD von 0,2 Prozent ausgegangen, was faktisch ein Stillstand der Wirtschaft gewesen wäre.

Die OECD-Prognose deckt sich mit der Einschätzung des Sachverständigenrates, der der Bundesregierung sein Jahresgutachten mit dem allerdings warnenden Titel "Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen" vorlegte. Darin stellen die Experten fest, dass sich die deutsche Wirtschaft nach dem dramatischen Einbruch zur Jahresmitte wieder stabilisiert habe. Sie erwarten ebenfalls ein Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent. Der Wert liegt damit etwas höher als die von der Bundesregierung vorgenommene Einschätzung von 1,2 Prozent.

Kein Anlass zu Euphorie

Die Schlote rauchen zwar wieder leicht, aber zur Euphorie besteht für die Sachverständigen kein Anlass: "So erfreulich das Ende der Abwärtsdynamik ist, die deutsche Volkswirtschaft befindet sich konjunkturell nach wie vor in einem tiefen Tal. Die leicht positiven Signale für das Jahr 2010 geben keinen Anlass zu euphorischen Einschätzungen etwa im Hinblick auf ausgabenpolitische Spielräume in den öffentlichen Haushalten. Dazu ist die Aufwärtsentwicklung zu schwach und zu fragil", heißt es in dem Gutachten.

Außerdem lassen die Sachverständigen kein gutes Haar an der Absicht der Koalition, Steuersenkungen mit einem Volumen von 24 Milliarden Euro vorzunehmen. "Die Ausführungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte stellen Allgemeinplätze dar und können in keiner Weise überzeugen. Statt einer konsequenten Konsolidierungsstrategie finden sich lediglich Ankündigungen - konkrete Angaben fehlen völlig. Schlimmer noch, ohne auf die Finanzierung einzugehen, werden zusätzliche steuerliche Entlastungen in einem Gesamtvolumen von 24 Milliarden Euro versprochen", kritisieren die Sachverständigen.

Sie befinden sich damit in guter Gesellschaft mit der Bundesbank, die die Regierung ebenfalls vor Steuersenkungen und auch vor Abgabenerhöhungen warnt. Das wäre ein "problematisches Signal". Die Lage der Staatsfinanzen verschlechtere sich ohnehin drastisch.

Verzicht auf Steuerreform

Für die Oppositionsfraktionen ist klar, welche Konsequenz aus dem Gutachten der Sachverständigen zu ziehen ist: der Verzicht auf die Steuerreform, die laut Koalitionsvertrag 2011 kommen soll. "Der Koalitionsvertrag hat nicht nur die Opposition nicht überzeugt, sondern auch den Sachverständigenrat nicht", erklärte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Hubertus Heil. "Die Bundesregierung setzt die Zukunft unseres Landes aufs Spiel, wenn sie die finanziellen Spielräume für Investitionen in Bildung und Innovationen durch Steuergeschenke an Klientelgruppen verbaut", kritisierte Heil.

Auch Bündnis 90/Die Grünen fordern Investitionen in Bildung und Innovationsfähigkeit statt eine Steuerreform. "Doch nicht einmal der geballte wissenschaftliche Sachverstand reicht offenbar aus, um die wirtschaftspolitische Geisterfahrt von Union und FDP zu stoppen", erklärten der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn und die wirtschaftspolitische Sprecherin Kerstin Andreae.

Zwar stimmt auch die Linksfraktion der Annahme zu, eine Steuerreform sei nicht machbar, doch lehnt Sahra Wagenknecht, die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, auch die Vorschläge der Sachverständigen strikt ab. Man habe es bei den Gutachtern "mit neoliberalen Betonköpfen zu tun, die knallharte Interessenpolitik für die Konzerne und die oberen Zehntausend machen". Es handele sich um einen Frontalangriff auf den Sozialstaat mit einer drastischen Kürzung der Staatsausgaben sowie einer Kürzung von Renten und Löhnen.

Allerdings bekräftigte die Bundesregierung auf ihrer Kabinettsklausur in Meseberg die Ziele der Koalition einschließlich der Steuersenkung. Zu den Zielen gehört auch eine Konsolidierung des Bundeshaushalts, dessen Neuverschuldung 2010 auf keinen Fall über die noch von der Vorgängerregierung angesetzten 86,1 Milliarden Euro steigen dürfe, forderte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle. Für die FDP erinnert Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms an die Notwendigkeit der Steuerreform, ist aber wie Barthle sicher, dass die Koalition nach Überwindung der Krise die Konsolidierung der Haushalte in Angriff nehmen wird.

Das wird aber teuer: Der Sachverständigenrat rechnete vor, dass im Jahr 2011 ein dauerhafter Konsolidierungsbetrag von etwa sechs Milliarden Euro erzielt werden müsse, "der dann allerdings jedes Jahr bis 2016 durchschnittlich um weitere sechs Milliarden Euro aufzustocken ist." Im Jahr 2015 müssten danach 30 Milliarden Euro im Haushalt eingespart werden. Aber als Belohnung winkt, wie die Sachverständigen schreiben: "Im Jahr 2016 ist dann die grundgesetzlich vorgeschriebene Schuldenbegrenzung erreicht."