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Kriegsherren und Korruption

AFGHANISTAN Präsident Karsai steht verstärkt unter Beobachtung. Kann er seine Versprechen halten?

30.11.2009
2023-08-30T11:24:14.7200Z
4 Min

Hamid Karsai kann sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen. Als der afghanische Präsident am 19. November den Amtseid für seine zweite Amtszeit ablegte, waren 500 ausländische Gäste nach Kabul gekommen. Hillary Clinton, Guido Westerwelle, David Miliband und Bernard Kouchner - viele westliche Führungsmächte hatten ihre Außenminister geschickt. Trotzdem wollte keine Feierstimmung aufkommen, denn die Anwesenheit dieser politischen Schwergewichte war weniger den Feierlichkeiten als der Sorge um Afghanistan gewidmet. Die Außenminister waren gekommen, um klar zu machen, dass sie Karsai in Zukunft sehr genau auf die Finger schauen wollten. Hillary Clinton gab bei einer Pressekonferenz in Kabul den Ton vor: "Afghanistan ist an einem kritischen Punkt angelangt. Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen."

Karsai verstand die Botschaft. Er tat, was er am besten kann: Er fand schöne Worte für den Anlass. "Es tut mir leid, dass ich nicht alle meine Versprechen wahr machen konnte. Doch ist dies ein Staat, der nicht einfach zu regieren ist." Dann folgte eine Reihe von Versprechen, die genau auf die Erwartungen des Westens abgestimmt waren. Er kündigte an, in fünf Jahren die Sicherheit des Landes in die Hände der afghanischen Armee legen zu wollen und eine große Ratsversammlung (Loya Dschirga) einzuberufen, um einen nationalen Versöhnungsprozess einzuleiten. Schließlich redete er auch über Korruption: "Sie ist ein sehr gefährlicher Feind des Staates!" Er versprach einen unnachgiebigen Kampf gegen diesen Feind.

Doch kann Karsai die Korruption wirksam bekämpfen? Will er das überhaupt?

Wadir Safi, Professor für politische Wissenschaften an der Universität Kabul, ist da sehr skeptisch: "Man kann diese Versprechen nicht umsetzen, wenn man Kriegsverbrecher auf seiner Seite hat."

Safi sagt dies mit Blick auf die beiden Vizepräsidenten Karsais, Mohammed Fahim und Karim Khalili. Fahim ist ein tadschikischer Kriegsherr, der angeblich in Drogen- und Entführungsgeschäften eine führende Rolle spielt. Khalili gehört der Volksgruppe der Hazara an und führte eine der stärksten Milizen gegen die Taliban an. Er soll eine Reihe von Kriegsverbrechen begangen haben. "Mit Schlächtern," sagt Safi, "kann man keine Demokratie bauen und keinen Frieden bringen." Doch es gibt auch Leute, die Karsais Personalpolitik Positives abgewinnen können. "Er kann Frieden schließen, das ist seine Stärke," sagt Ali Ahmed Jalali, ein ehemaliger Innenminister. "Er kann die verschiedenen Machtzentren Afghanistans einbinden." Karsai sprach davon, dass seine Regierung ein Spiegel für die Afghanen sein werde: "Wenn sie hineinblicken, werden sie sich wiedererkennen."

Regionale Machthaber stärken

Doch es ist fraglich, ob die Afghanen sich wirklich in Kriegsherren wieder erkennen möchten. Eine Umfrage der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission ergab, dass eine große Mehrheit der Afghanen glaubt, Sicherheit gebe es nur, wenn die Kriegsherren zur Rechenschaft gezogen würden. Die Nato sieht das anders. Diesen Schluss lässt der Bericht zu, den Nato-Befehlshaber, Stanley McChrystal, US-Präsident Barack Obama vor wenigen Wochen zukommen ließ. McChrystal sagt mit keinem Wort, dass man diese Männer loswerden solle, im Gegenteil. Die Nato ist dazu übergegangen, die "regionalen Machthaber" zu stärken, damit sie gegen die Taliban kämpften - so wie sie früher gegen die sowjetischen Besatzer gekämpft hatten.

Kriegsherren und Korruption - beides ist nicht zu trennen. Das geben selbst Karsai-Sympathisanten wie Jalali gerne zu: "In Sachen Korruption ist er gescheitert." Daoud Sultanzoy, Abgeordneter des afghanischen Parlaments, ist in seinem Urteil noch härter: "Wir haben es mit einer Gang zu tun, die beste Kontakte zu den höchsten Stellen des Staates hat. Das viele Geld, das seit acht Jahren in das Land fließt, ist unter sehr wenigen Afghanen verteilt worden. Die Mehrheit des Volkes hat nichts davon."

Die Zahlen sind eindeutig: Eine von der EU finanzierte und von afghanischen Nichtregierungsorganisationen 2008 durchgeführte Untersuchung über den Lebensstandard der Afghanen ergab, dass neun Millionen von ihnen von knapp 50 Cent am Tag leben müssen, dass nur 30 Prozent Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, 20 Prozent Strom in ihren Häusern besitzen und 90 Prozent über keinerlei sanitäre Infrastruktur wie etwa eine Kanalisation verfügen. Ein vor wenigen Wochen veröffentlichter Bericht der Unicef ergab zudem, dass knapp 60 Prozent der Kinder unter fünf Jahren unterernährt sind. Außerdem hat Afghanistan die höchster Kindersterblichkeit der Welt. Von 1.000 lebend geborenen Kindern sterben 257. Gleichzeitig ist Afghanistan auf dem Korruptionsindex von Transparency International an weltweit zweiter Stelle. In Kürze: Afghanistan ist einer der ärmsten und korruptesten Staaten der Welt.

Präsident Karsai soll das nun ändern, und es soll alles schnell geschehen: Die westlichen Geldgeber haben keine Geduld mehr. Ehsanullah Aryanzai vom Privatsender Ariana sagt aber: "Ich kann nicht glauben, dass die systematische Plünderung, die nach 2001 begann, plötzlich aufhören wird."

Ganz so als wollte sie Karsais Versprechen testen, gab die Staatsanwaltschaft kurz nach der Vereidigung des Präsidenten bekannt, dass sie gegen drei Minister der amtierenden Regierung und zwölf ehemalige Minister wegen Korruption ermittelt. Damit ist noch nicht sicher, dass es zu einer Untersuchung kommen wird. Denn laut Verfassung genießen die Minister Immunität. Sie muss vom Präsidenten aufgehoben werden.

Karsai hat schnell eine Chance bekommen, sich zu bewähren. Schneller als ihm vermutlich lieb ist.