Piwik Webtracking Image

Personalisierte Debatte

AKTUELLE STUNDE Streit um die Besetzung des Stiftungsrates der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«

30.11.2009
2023-08-30T11:24:14.7200Z
3 Min

Wolfgang Thierse (SPD) sah nur einen Ausweg: "Diese Hängepartie schadet dem Anliegen der Erinnerung. Mit dieser peinigenden Vorstellung, die ohne Not seit einem Jahr gespielt wird, muss Schluss sein." Dieser Wunsch, geäußert in der Aktuellen Stunde des Bundestages am 25. November, wird sich wohl nicht so schnell erfüllen. Auf Verlangen der SPD-Fraktion hatten sich die Abgeordneten versammelt, um über das deutsch-polnische Verhältnis zu debattieren. Doch eigentlich ging es um eine Personalie: Erika Steinbach, ihreszeiches nicht nur CDU-Abgeordnete sondern auch Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV). Ausgelöst hatte den aktuellen Streit Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) während seines Antrittsbesuches in Polen Ende Oktober. Dort stellte er klar, dass Steinbach seiner Ansicht nach nicht in den Stiftungsrat der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" gehöre.

Zentrum

Der zähe und in der Öffentlichkeit zuweilen heftig geführte Streit hat auch nicht erst vor einem Jahr begonnen. Damals, im Dezember 2008, hatte der Bundestag das Gesetz zur "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" verabschiedet und damit den Weg frei gemacht für ein Zentrum des Gedenkens an Flucht und Vertreibung in Berlin. Das Gesetz sollte zum einen der seit über zehn Jahren vom BdV erhobenen und viel diskutierten Forderung nach einem Erinnerungsort und zum anderen Bedenken Polens hinsichtlich einer Umdeutung der Geschichte berücksichtigen. Nach jahrelangem Streit überwog die Zufriedenheit, doch sie währte nicht lange. Denn im Februar 2009 hatte der BdV seine Vorsitzende und Initiatorin des Zentrums für einen der drei ihm zustehenden Sitze im 13-köpfigen Stiftungsrat vorgeschlagen. Eine aufgeregte Debatte folgte, denn für Polen ist die CDU-Abgeordnete Steinbach ein rotes Tuch, seit sie Anfang der 1990er Jahre gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt und außerdem die Aufnahme Polens in die EU an Bedingungen geknüpft hatte. Steinbach, als Tochter eines Wehrmachtssoldaten im besetzten Polen geboren, verzichtete schließlich vorläufig auf ihren Sitz. Klaus Brähmig, Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen der Unionsfraktion, mahnte in der Aktuellen Stunde eine Versachlichung der Debatte an und forderte, die Leistungen von Erika Steinbach für das deutsch-polnische Verhältnis zur Kenntnis zu nehmen.

An die Unionsfraktion gerichtet, fragte jedoch Wolfgang Thierse: "Was ist Ihnen wichtiger, das Versöhnungsprojekt der Stiftung oder die Person der BdV-Präsidentin?" Doch für die CDU/CSU stellt sich die Frage so nicht. "Dieses Zentrum ist letztendlich das geistige Kind von Erika Steinbach. Ich halte es deshalb für das Selbstverständlichste von der Welt, dass sie in dem Stiftungsrat mitarbeiten darf", sagte deren Abgeordneter Stephan Mayer (CSU). Auch er verwies auf die historische Schuld Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Unrecht werde jedoch nicht getilgt, indem man neues Unrecht schaffe, ergänzte Mayer und mahnte, die Rechte des BdV zu respektieren.

Die Konsequenzen

Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck appellierte an die Regierung, bei der Ernennung der Mitglieder des Stiftungsrates in außenpolitischer Verantwortung zu entscheiden: "Ziehen Sie die Debatte nicht länger hin, sondern sagen Sie deutlich: Eine Bestellung Frau Steinbachs in den Stiftungsrat wird es nicht geben."

Rainer Stinner (FDP) forderte dazu auf, die Debatte vom Ende her zu denken. Zwar verurteile er entschieden die Verunglimpfungen, denen Erika Steinbach in der Vergangenheit ausgesetzt war. Doch der Wert der deutsch-polnischen Beziehungen sei höher. "Deshalb müssen wir gemeinsam überlegen, welche Konsequenzen eine umstrittene Benennung hätte", sagte Stinner.

Für die Fraktion Die Linke bekräftigte Lukrezia Jochimsen die grundsätzliche Kritik ihrer Fraktion an der Stiftung. Seit Jahren sei dieses Projekt eine schwere Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis. Jochimsen schlug statt dessen vor, in Berlin ein Zentrum gegen Krieg einzurichten, "das nicht nur bei den Folgen von Kriegen verharrt, sondern auf deren Ursachen zielt".