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Mission mit vielen Fragezeichen

AUSLANDSEINSÄTZE Deutsche Soldaten sind in einer Reihe von Krisengebieten stationiert. Aufwand und Nutzen sind umstritten

30.11.2009
2023-08-30T11:24:15.7200Z
6 Min

Nachdenklich rührt der afghanische Oberstleutnant Hajatullah in seiner Teetasse. "Ich kämpfe seit 15 Jahren gegen die Taliban. Noch nie habe ich einen gefunden, mit dem man reden könnte", sagt Hajatullah in seinem provisorischen Bataillonsstab in Feyzabad auf die Frage, ob Gespräche mit "moderaten Taliban" eine Lösung für die immer angespanntere Sicherheitslage am Hindukusch sein können. Seit mehr als 25 Jahren trägt er eine Uniform und war schon als Mudschaheddin-Kommandeur im Kampf. Heute muss er seine Soldaten nach Kundus in blutige Gefechte mit den Taliban schicken. Daher weiß Hajatullah um den Wert der Bundeswehrunterstützung bei der Ausbildung seiner jungen Rekruten. "Das ist gute Hilfe, Hilfe zum Überleben", sagt Hajatullah. Er wünscht sich, dass dieser Isaf-Einsatz nicht zu schnell beendet wird und betont: "Wir haben gemeinsame Ziele und gemeinsame Feinde."

Der Einsatz in Afghanistan ist einer der drei wichtigsten Auslandseinsätze der Bundeswehr. Im Dezember entscheidet der Bundestag darüber, ob sie verlängert werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf). 5.000 Kilometer von Deutschland entfernt sind derzeit nach Angaben des Verteidigungsministeriums rund 4.400 Soldaten im Isaf-Einsatz. "Brennpunkt" ist zweifellos Kundus im Norden des Landes, wo im Jahr 2003 das erste Regionale Wiederaufbauteam (PRT) entstand. In den vergangenen Monaten sind die Soldaten hier immer stärker unter Beschuss geraten. Von den seit Jahresbeginn "eindeutig" registrierten 73 Angriffen auf deutsche Isaf-Kräfte fanden allein 67 dort statt. "Kundus ist eine sehr heiße Kiste", erzählen Bundeswehrangehörige, die auf jeder Patrouillenfahrt täglich mit Anschlägen rechnen müssen. "Da stellt sich schon zuweilen die Frage nach dem Sinn des Einsatzes", sagen Soldaten. Doch spätestens bei gemeinsamen Operationen mit afghanischen Streitkräften rücken diese Gedanken - zumindest zeitweilig - in den Hintergrund: "Der Kampf schweißt zusammen."

Nicht nur graue Theorie

250 Kilometer und zwölf Fahrstunden weiter in Feyzabad leben momentan 481 deutsche Soldaten in einem Feldlager auf 1.200 Metern Höhe. Direkt neben dem deutschen Camp ist das Feldlager der afghanischen Armee und das Stabszelt von Hajatullah. Täglich besuchen ihn die Bundeswehrsoldaten des OMLT (Operational Mentoring and Liaison Teams), die als operative Berater- und Verbindungsgruppen der afghanische Armee im Aufbau eng zur Seite stehen. Die jeweils vierköpfigen OMLTs begleiten "ihre" Einheiten bis hin in die Einsätze. Dass diese "Begleitung" mehr als nur graue Theorie umfasst, mussten die deutschen OMLT-Berater gerade erst erfahren, als Teile des 1. Kandaks - wie die afghanischen Militärbatallione genannt werden - in die benachbarte Provinz Kundus verlegt wurden. "Wir waren noch keine halbe Stunde da, schon standen wir im Gefecht." Da wird die deutsche Ausbildungsunterstützung überlebenswichtig. Bundeswehrsoldaten betonen: "Wir wissen, warum wir hier sind."

Mangelnde Ausbildung

Im zentralen Feldlager der Bundeswehr in Mazar-e Sharif, dem mit 2.282 Soldaten größten Standort in Afghanistan, sagen deutsche Offiziere, die afghanischen Soldaten seien ohne Zweifel furchtlos, aber oft fehle es an umfassender Ausbildung, der richtigen Ausrüstung und logistischem Denken. Ähnlich der Guerilla-Taktik im Feldzug gegen die russische Armee plane die Afghanische Nationale Armee (ANA) oft nur kurzfristige Operationen - zu schnell und mit zu wenigen Kräften. Zudem würden die Operation zu früh abgebrochen. "Langfristige Planung gehört nicht zu ihrem Überlebensprogramm", fasst ein Bundeswehroffizier die Ausgangslage zusammen. Ein Umdenken werde "sicher Jahre" in Anspruch nehmen.

In der afghanischen Hauptstadt Kabul sind nur noch 361 Bundeswehrsoldaten präsent. Hier ist inzwischen mit deutscher Hilfe eine Logistikschule entstanden. Der Kommandeur der Schule, Oberst Fazal Mohammed, weiß um die Bedeutung der Hilfen für seine Lehranstalt, an der Fahrlehrer ausgebildet werden. Schließlich sind vor wenigen Jahren noch "mehr Soldaten bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen als bei Gefechten", erzählt er. Daher freut er sich über die Fahrschulausbildung, die auf dem deutschen Fahrlehrergesetz von 1968 basiert. Gelehrt wird auch der Umgang mit Feldküchen, sagt der Oberst stolz. Denn mangelnde Versorgung hat schon zum Abbruch von Offensiven der afghanischen Armee geführt. "Unser Beitrag in Afghanistan darf sich nicht allein über die Bundeswehr definieren", warnt unterdessen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

Zunächst muss Guttenberg erstmal Löcher stopfen wie in Kunduz, wo er 120 Soldaten mehr versprochen hat. Doch hindert ihn das gegenwärtige und wohl auch künftige Mandat daran, diese Truppen auch wirklich zusätzlich zu schicken. Sie müssen bei der oft ausgeschöpften Obergrenze von 4.500 Mann anderswo "eingespart" werden. "Dabei ist der Einsatz schon auf Kante genäht", sagen Offiziere vor Ort. In Berlin heißt es aus Koalitionskreisen, die Zahl sei "hochpolitisch". Man wolle der größten Oppositionsfraktion SPD nicht die Zustimmung zu einem ohnehin als problematisch erkannten Mandat erschweren. "Wir wollen keine Fahnenflucht der Sozialdemokraten organisieren."

Diese Rechnung scheint zumindest bei einem anderen Mandat nicht aufzugehen. Die Sozialdemokraten im Bundestag wollen eine weitere deutsche Beteiligung am US-geführten Anti-Terroreinsatz "Operation Enduring Freedom" (OEF) ablehnen, wo aktuell 260 Soldaten ihren Dienst versehen. "Wir haben auf meinen Vorschlag hin noch in der großen Koalition unsere OEF-Beteiligung in Afghanistan eingestellt", erläutert Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (SPD). Heute sei unter diesem Mandat nur noch ein Schiff am Horn von Afrika unterwegs. Das reiche als Begründung für eine einjährige Verlängerung nicht aus. Von der Koalition wird dies mit den Worten quittiert: "Die SPD wird zu einer autonomen Oppositionsstruktur."

Guttenberg wird nicht müde, breite Mehrheiten auch für diesen Einsatz zu fordern. Die Beteiligung an OEF sei "der sichtbare militärische Anteil am Kampf gegen den internationalen Terrorismus", argumentiert er. Was gelte die Zusage der uneingeschränkten Solidarität an die Vereinigten Staaten, sollte sich Deutschland aus der gemeinsamen Verantwortung stehlen, fragen Unions-Politiker besorgt. Guttenberg hat darauf nur eine Antwort: "Wir werden in diesen Anstrengungen nicht nachlassen - im Interesse unserer eigenen Sicherheit", sagt der neue Minister. Allerdings solle schon im kommenden Jahr das Mandat "überprüft" werden.

Nach Auffassung der Grünen und der Linken könnte die OEF-Mission am Horn von Afrika "eigentlich eingestellt" werden. Die Hauptsorge der internationalen Schifffahrt seien dort die Piraten, die allein seit Jahresbeginn Dutzende Schiffe gekapert haben. "Mehr als 100 Millionen Dollar" sind in den vergangenen Jahren gezahlt worden, räumt der Verband Deutscher Reeder (VDR) offiziell ein. Was oft ungesagt bleibt, weil schwer zu beweisen, ist eine enge Beziehung von organisierter Kriminalität und Terrorismus. Hochrangige Marineoffiziere machen sich aber noch weitere Sorgen. Bis 2030 werden auf den Weltmeeren etwa 400 riesige Gastanker unterwegs sein. Ein solches Schiff in falschen Händen sei ein "Schreckensszenario im Kilotonnenbereich", heißt es. Dagegen müsse die Anti-Piraten-Mission "Atalanta", der die deutschen OEF-Kräfte unterstellt werden können, mehr unternehmen.

Abschreckender Erfolg

Einige Flugstunden vom Horn von Afrika entfernt, ist die Bundeswehr ebenfalls am Unifil-Einsatz beteiligt. Vor der Küste Libanons versucht die Bundeswehr im Rahmen eines Marineeinsatzes unter UN-Flagge seit 2006 für mehr Sicherheit zu sorgen. Mit "abschreckenden Erfolg", sagt die Marine. Auch Verteidigungsminister Guttenberg schließt sich dieser Lesart an. "Das Engagement der Bundeswehr in der Maritimen Einsatzgruppe von Unifil war bisher sehr erfolgreich". Bei der Überwachungsmission wurden bisher etwa 30.000 Handelsschiffe "abgefragt", wie es in der Fachsprache heißt, sowie mehr als 390 zivile Schiffe durch libanesische Behörden "kontrolliert". Gefunden wurde offiziell nichts - zumindest keine illegalen Waffen. Für Geheimdienste ist das nicht erstaunlich: Der Waffenschmuggel für die schiitische Hisbollah-Miliz laufe bekanntermaßen von Syrien über den Landweg. Die Miliz prahlt damit, dass sie heute über mehr und bessere Waffen verfüge als zu Zeiten des Israel-Krieges und dem darauffolgenden UN-Marineeinsatz. Dennoch soll auch dieses Mandat verlängert werden, allerdings nur bis zum 30. Juni 2010. Der Koalitionsvertrag spricht in diesem Zusammenhang von einer "Perspektive der Beendigung". Zudem heißt es, werde der Umfang so nicht (mehr) gebraucht - momentan sind es 550 Soldaten. Statt maximal 1.200 Mann sollen es künftig nur noch bis zu 800 Soldaten sein. Doch stellt der Verteidigungsminister schnell klar: "Es liegt im Interesse sowohl des Libanon wie Israels, dass wir dort engagiert bleiben." Wie und womit lässt er aber offen.

Mehr Entwicklungshilfe

Unklar ist bislang auch noch, welche finanziellen Kosten die Einsätze künftig verursachen werden. Seit 1992 haben sie knapp 11,5 Milliarden Euro gekostet. Allein im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums 917 Millionen Euro geflossen. Der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro) beklagt daher auch ein Mißverhältnis von Militärausgaben und Entwicklungshilfe. In Afghanistan stünden für 2010 insgesamt 785 Millionen Euro für den Bundeswehreinsatz zur Verfügung. Dem stehen nicht einmal 200 Millionen Euro für direkte Hilfe gegenüber, sagt Venro-Vize-Chef Jürgen Lieser. Wehrexperten, die vor einer reinen Kosten-Nutzen-Analyse warnen, wollen sich diesem Argument aber nicht nicht verschließen - und auch nicht die Bundesregierung: Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) stockte am 24. November die Mittel für Afghanistan um 52 Millionen auf 144 Millionen Euro auf. Es solle, sagte Niebel, keine "Militarisierung der Entwicklungshilfe geben", aber dafür eine deutliche Verbesserung der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr.