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Was die Deutschen von den Eidgenossen lernen müssen

Beispiel SCHWEIZ Geopolitisch werden sich beide Länder immer ähnlicher - ein Appell

28.12.2009
2023-08-30T11:24:17.7200Z
2 Min

Die Schweizer und die Deutschen sind politisch sehr ähnlich. Beide Länder haben einen stark ausgeprägten Föderalismus. Ihre Loyalität bindet die Leute primär ans Bundesland oder an den Kanton. Man hegt großes Misstrauen gegenüber politischem Zentralismus. Der Grund, dass die Deutschen so lange brauchten, um einen zentralen Bundesstaat zu errichten (1871), hatte vor allem mit ihren freiheitlichen föderalistischen Traditionen zu tun: Die stolzen Fürstentümer wollten sich keiner Vormacht unterwerfen. Genauso wenig waren und sind die Schweizer Kantone bereit, zu viel Macht an die Bundesregierung in Bern zu übertragen. Der größte Unterschied der beiden Länder liegt daher in ihrer geopolitischen Lage. Während die Schweiz im Schutz der Alpen ein anarcho-demokratisches System der hohen Bürgerbeteiligung bewahren konnte, war Deutschland über Jahrhunderte an einer Hauptachse der Weltgeschichte gelegen und musste sich fortwährend gegen äußere Feinde wehren. Entsprechend wurden ein starker Staat und eine stehende Armee notwendig. Überspitzt gesagt: Die Deutschen haben den starken Staat contre coeur gegründet als Präventivmaßnahme gegen ihre Feinde.

Ähnlichkeiten

Die Schweiz und Deutschland sind sich in den vergangenen Jahrzehnten geopolitisch immer ähnlicher geworden. Die frühere politische Weltmacht Deutschland ist nach den verlorenen Kriegen des 20. Jahrhunderts zu einer Art riesigem Kleinstaat geworden, der ohne die Ambitionen und den Größenwahn einer Möchtegern-Imperialmacht auftritt. Die Schweiz erlebte ihr außenpolitisches Waterloo bereits im 16. Jahrhundert, als die Eidgenossen, von Machiavelli bereits als kommender Hegemon in Italien gefeiert, eine vernichtende militärische Niederlage in Marignano kassierten und fortan als neutrales Land vor allem ihre wirtschaftlichen Ziele pflegten.

Genau das ist die zentrale Lektion. Deutschland kann und sollte sich heute viel stärker auf die Innenpolitik statt auf die Außenpolitik konzentrieren. Die Pflege des eigenen Gartens ist wichtiger als die Pflege der roten Teppiche im Ausland. Anstatt den Weltfrieden oder das Weltklima retten zu wollen, sollten sich deutsche Politiker mit wirtschaftsfreundlichen Reformen im Inland und der Verbesserung ihres Bildungssystems befassen. Deutschland muss sich als exzellenter Wertschöpfungsstandort profilieren und nicht als moralisch-politische Pseudogroßmacht, die ihren Nachbarn erklärt, wie sie sich zu verhalten haben, oder die durch militärische Auslandseinsätze die Sicherheit zu Hause gefährdet.

Es ist heute erwiesen, dass es keine florierende Wirtschaft gibt ohne eine liberale Ordnungspolitik. Ebenso ist klar, dass der Staat in Deutschland eine viel zu prominente Rolle spielt. Mehr Freiheit, weniger Staat lautete das Credo der deutschen Nachkriegsgeneration. Es ist heute so aktuell wie damals und muss unbedingt wieder reaktiviert werden. Dass FDP-Chef Guido Westerwelle lieber den glamourösen Außenminister spielt anstatt Reformen zu Hause gegen erbitterte Widerstände durchzukämpfen, ist Ausdruck einer etwas unernsthaften Politik-auffassung. Deutschland braucht seine besten Liberalen zu Hause und nicht in Amerika oder Afghanistan.

Roger Köppel ist Chefredakteur

und Verleger der Weltwoche, Zürich.