Piwik Webtracking Image

Nur symbolische Verfassungspolitik?

SCHULDENBREMSE Schon vor Einführung der staatlichen Kreditbegrenzung wird über kreative Ausnahmen nachgedacht

28.12.2009
2023-08-30T11:24:18.7200Z
2 Min

Ein "Ausweis von Verfassungskunst" ist die Bestimmung im Grundgesetz zur Kreditbegrenzung bei Bund und Ländern für Wolfgang Renzsch zwar nicht: Es sei "problematisch", dies derart detailliert auszugestalten. Gleichwohl stellt sich der Magdeburger Politologe hinter die Regelung mit ihrer "schuldenbegrenzenden Wirkung". Joachim Wieland hingegen kann dieser Neuerung nichts abgewinnen. Eine Verfassung habe den "Rahmen für die Politik" abzustecken, betont der Speyerer Verwaltungsrechtler, aber nicht Einzelheiten politischer Entscheidungen in der Zukunft vorzuschreiben, "das geht hier zu weit".

Heikle Fragen

Die Kontroverse der Wissenschaftler beleuchtet heikle Fragen, die mit der Verabschiedung der Schuldenbremse keineswegs als gelöst gelten können: Darf eine politische Mehrheit in einer bestimmten Situation via Grundgesetz die Handlungsfreiheit von Parlamenten einschränken, die in Zukunft gewählt werden? Kein Bundestag, kein Landtag wird daran gehindert, von sich aus auf neue Schulden zu verzichten. Und ist ein Hineinregieren akzeptabel, das sogar bis in Details reicht? Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) haben die "unmaßstäblichen" Verfassungsänderungen jedenfalls "erschreckt".

Renzsch meint indes: Jede heutige Entscheidung beeinflusse die Politik künftiger Parlamente - das gelte auch für eine Kreditaufnahme, deren Zinsbelastung stets später anfalle. Der Politologe sieht bei der Schranke via Grundgesetz im Übrigen eine "Bindung, die in Zukunft Bindung vermeidet": Je weniger sich Bundestag und Landtage verschulden dürften, desto größer werde der Spielraum später gewählter Parlamente. Für Wieland widerspricht die Kreditbremse jedoch dem "Demokratieprinzip": Die heutige Politik nehme sich von Verboten aus und bürde diese Verpflichtung ihren Nachfolgern auf, dem Bund von 2016, den Ländern von 2020 an. Zudem könne es nicht angehen, dem Bund eine Verschuldensquote von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung zu belassen, den Ländern aber ein absolutes Verbot aufzuerlegen.

Die Detailliertheit der Regelung verursacht auch Renzsch Unbehagen. Freilich sei schon seit langem der Trend zu beobachten, "über die Verfassung Dinge zu regeln, die eigentlich in Rechtsverordnungen gehören", sagt er. Immerhin hätten arme Länder jetzt die Sicherheit, dass die ihnen gewährten Hilfen nicht mehr von knappen Mehrheiten gekippt werden können.

Wieland stuft die Schuldenbremse als "symbolische Verfassungspolitik" ein, weil sich der politische Konflikt "einfach verlagern wird": nämlich auf die Frage, wie Ausnahmen vom Kreditverbot zu definieren sind, denn im Fall von Rezessionen, Weltwirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen bleiben neue Schulden erlaubt.

Für Renzsch sind die Ausnahmen "unbestimmte Rechtsbegriffe", um deren Auslegung wohl in Karlsruhe gestritten werden dürfte. Wie lassen sich eigentlich "strukturelle" Defizite von "konjunkturellen" abgrenzen? Erstere müssen die Länder auf null bringen, letztere rechtfertigen neue Kredite. Was ist, wenn 2020 ein Land so argumentiert: Man hätte die Etatkonsolidierung ja geschafft, aber das habe nicht geklappt, weil die Politik des Bundes zu Steuerausfällen geführt habe? Wieland klagt: "Das Modell der Schuldenbremse ist in sich nicht stimmig."