Piwik Webtracking Image

Die Rückkehr des Hungers

WeltErnährung Wilfried Bommert und Wolfgang Hirn über die Ursachen der Lebensmittelknappheit

01.02.2010
2023-08-30T11:25:46.7200Z
5 Min

Eigentlich besteht zur Panik kein Anlass: Viele Möglichkeiten, das Problem wenigstens teilweise in den Griff zu bekommen, sind bereits durchgespielt. Das Problem, das ist die immer bedrohlicher werdende globale Nahrungskrise, mit dem sich die beiden Journalisten Wilfried Bommert und Wolfgang Hirn auseinandersetzen. In ihren Büchern "Der Kampf ums Brot" und "Kein Brot für die Welt" gehen die beiden Autoren der Frage nach, warum Lebensmittel immer knapper und daher auch teurer werden. Doch ist die Situation wirklich so bedrohlich, wie die beiden Buchtitel suggerieren? Gehen der Menschheit die Lebensmittel aus, so dass längst überwunden geglaubte Hungersnöte unvorstellbaren Ausmaßes bevorstehen? Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Aber offensichtlich stellen sich der Lösung ebenso viele Hindernisse in den Weg, wie Bommert und Hirn zeigen.

Wenn zwei Autoren sich demselben Thema widmen, dann bleibt es nicht aus, dass es zu Überschneidungen kommt, zu nahezu identischen Schlussfolgerungen, aber auch zu durchaus unterschiedlichen Erkenntnissen. Darin liegt der Reiz dieses "Doppelschlages", der eine Fülle von Informationen bündelt. Es soll der Aussagekraft der beiden Neuerscheinungen keinen Abbruch tun, zumal sich das Phänomen immer häufiger zeigt: Das Internet ersetzt in Riesenschritten die Sekundärliteratur, und die Fülle der in einem gewaltigen Tempo aus dem Internet angebotenen Informationen verführt dazu, dieses unerschöpfliche Angebot gelegentlich auch inflationär zu nutzen. Da können schon einmal plausible Antworten auf spannende Fragen zu kurz kommen, so beispielsweise wenn Wolfgang Hirn den Erfolg einer zweiten grünen Revolution anzweifelt.

Gegenläufige Entwicklungen

Alles in allem aber sind die Ergebnisse der aufwendigen Recherchen Hirns beachtlich. Der Journalist reiste kurz nach der weltweit auftretenden Ernährungskrise, die Unruhen nicht nur in Haiti auslöste und unter anderem zu einem vorübergehenden Stopp der Schulspeisung für 450.000 Kinder in Kambodscha führte, ein halbes Jahr um die Welt. Er suchte Märkte in Asien auf, Genfood-Firmen in den USA, Fischfarmen in Thailand und befragte Agrarwissenschaftler und Klimaforscher. Die Ernährungskrise, so lautet Hirns Bilanz, lässt sich an zwei gegenläufigen Entwicklungen festmachen: Einerseits sinkt das Angebot an Nahrungsmitteln, während andererseits die Nachfrage ständig steigt. Zur Jahrhundertmitte wird es neun Milliarden Menschen geben; die Nahrungsmittelproduktion müsste bis dahin verdoppelt werden, damit alle satt werden.

Aber es gelingt nicht einmal, die zur Zeit auf der Erde lebenden rund sieben Milliarden Menschen zu ernähren. Eine Milliarde von ihnen muss bereits mit dem Hunger leben. Der Westen sollte sich nicht in Sicherheit wiegen: Die Ernährungskrise ist kein kurzfristiges Phänomen - Europäer und Amerikaner werden sie noch in voller Härte zu spüren bekommen, wenn als Folge der Knappheit die Preise für Lebensmittel steigen und sogar Engpässe auftreten werden. Hervorgerufen durch knappere Anbauflächen, die Auswirkungen des Klimawandels und des nicht mehr zu zügelnden Wachstums der Weltbevölkerung.

Sind auch die meisten Ursachen dieser dramatischen Entwicklung bekannt, so ist es das Verdienst der beiden Bücher, diese Ursachen einerseits komprimiert und damit wirkungsvoll darzustellen, andererseits die Zusammenhänge im Weltmaßstab überzeugend aufzuzeigen. Wenn Wolfgang Hirn allerdings rät, durch "massive Investitionen" die Produktivität in der Landwirtschaft zu steigern, den Fleischkonsum zu reduzieren und weniger Lebensmittel zu vernichten, so sind dies wohlfeile Empfehlungen; sie können die dramatische Situation nur minimal entschärfen, und sie lassen offen, wie diese Verhaltensänderungen beim Menschen herbeigeführt werden sollen.

Die Rettungsinsel

Bei Wilfried Bommert liest es sich ähnlich. Er zieht ein vernichtendes Fazit, da die Weltpolitik weder einen tragfähigen Plan noch eine aktionsfähige Organisation habe, um der Ernährungskrise beizukommen. "Als Letztes bleibt die Zivilgesellschaft als Rettungsinsel, die Vielzahl der nationalen und internationalen privaten Organisationen, denen die Zukunft der Welternährung nicht gleichgültig ist." Der Autor nennt zwar Beispiele, wie die Agrarforstwirtschaft in Indien, die Erfolge von Kleinbauern auf Haiti, eine Reissorte, die dem künftigen Klima gewachsen ist oder die Wundererbse Magic Pea, die 40 Prozent größere Ernten bringt und ihren Dünger aus der Luft holt. Jedes für sich ein interessantes Projekt, doch lassen sich damit die ständig wachsenden Hungerprobleme in Afrika und Asien und anderswo lösen?

Zwei Bücher, ein Thema. Da bleibt es nicht aus, dass beide Autoren die selben Wissenschaftler heranziehen, wie etwa Thomas Malthus, der schon vor über 200 Jahren vorrechnete, dass eine immer weiter wachsenden Bevölkerung nicht zu ernähren sei. Und es verwundert nicht, dass Bommert wie Hirn die klimatischen Veränderungen ebenso erwähnen wie die Chancen einer zweiten Grünen Revolution, den Kampf um die knapper werdenden Wasservorräte und den Biosprit als mögliche Alternative zu fossilen Brennstoffen - und dennoch finden sich zahlreiche thematische Ergänzungen, die das Bild einer apokalyptischen Bedrohung abrunden.

Dass die Hungerkrise größtenteils durch die Bevölkerungsvermehrung verursacht wird, ist die eine Seite, zum anderen führt ein allmählich wachsender Wohlstand in Ländern wie beispielsweise China zu einem völlig neuen Konsumverhalten: Immer mehr Menschen können sich Fleisch leisten, was wiederum katastrophale Auswirkungen auf die Nahrungsmittelsituation hat. Wolfgang Hirn zählt auf: "Die 16 Milliarden Hühner, 1,5 Milliarden Rinder und eine Milliarde Schweine auf der Erde brauchen Futter, viel Futter." Dabei wird bereits jetzt über ein Drittel des Getreides der Welt an Tiere verfüttert. Futter aber bedingt riesige Anbauflächen, doch die Welt stößt längst an ihre Kapazitätsgrenze. Dies ist nur einer von mehreren Teufelskreisen.

Beide Autoren greifen in diesem engen Zusammenhang die Landknappheit auf. Als ginge es den Habenichtsen auf dieser Erde nicht schon schlecht genug, machen sich finanzkräftige Investoren in vielen Teilen der Welt daran, Land ohne Rücksicht auf deren Eigentümer aufzukaufen. Vor allem der Hunger der Volksrepublik China nach Land ist unersättlich, aber auch die Japaner, Koreaner und die Saudis sehen sich nach Land in Brasilien, im Sudan, in der Ukraine und in mehreren Ländern Südostasiens um. Oft in engem Einklang mit den dortigen Regierungen, die von dem Deal profitieren.

Dass es überhaupt soweit kommt, führt Bommert auch auf die starke Wind und Wassererosion zurück. Dadurch schwindet der Boden, der zudem einer immer stärker werdenden Versalzung zum Opfer fällt. Um die Weltbevölkerung satt zu bekommen, müssten die Äcker bis 2030 um 120 Millionen Hektar wachsen. Das entspräche dem Zehnfachen der Ackerfläche in Deutschland. Da die Entwicklung aber gegenläufig ist, ist der wertvolle Boden zum internationalen Spekulationsobjekt geworden - oft ohne Rücksicht auf die Wälder, so dass Versteppung mit unmittelbarem Einfluss auf das Klima zu neuen Problemen führt.

Wie die Krise zu meistern ist, können auch Wilfried Bommert und Wolfgang Hirn nicht beantworten. Aber sie haben ihre mannigfachen Ursachen gebündelt und das Brennglas darauf gerichtet. Beide Autoren setzen - wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen - auf regionale und lokale Aktivitäten. Sei es die Anpflanzung auf kleinstem Raum im südafrikanischen Township Soweto oder die "urban agriculture" (städtische Landwirtschaft) in Kenia oder Kanada. All dies seien, so meint Bommert, Knotenpunkte für ein Netzwerk der Zivilgesellschaft, aus denen sich ein globales Netz entwickeln könnte. Eine Hoffnung - immerhin. Aber sie kann politisches Handeln letztlich nicht ersetzen.

Wilfried Bommert:

Kein Brot für die Welt. Die Zukunft der Welternährung.

Riemann Verlag, München 2009; 351 S., 19,95 €

Wolfgang Hirn:

Der Kampf ums Brot. Warum die Lebensmittel immer knapper und teurer werden.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2009; 282 S., 14,95 €