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Hilfe für den armen Poeten

Initiative Kulturwirtschaft Der Bund will Kreativen den Zugang zur Mittelstandsförderung erleichtern

22.02.2010
2023-08-30T11:25:48.7200Z
6 Min

Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2009 brachte es an den Tag: Die Kultur- und Kreativwirtschaft entwickelt sich mehr und mehr zum Wachstumsmotor in Deutschland. Der Nutzen, den die Kreativen aus Bereichen wie Medien, Werbung, Architektur und Kunst für die Volkswirtschaft erbringen, ist demnach enorm. Wie die Experten ermittelten, erzielten die rund 240.000 Unternehmen und Selbständigen im Jahr 2008 insgesamt 132 Milliarden Umsatz. Das schlägt sich auch auf den Arbeitsmarkt nieder: Die Kreativwirtschaft bietet weit mehr als 700.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Voll- oder Teilzeitarbeitsplatz, Tendenz steigend. Nimmt man die vielen Selbstständigen dazu, kommen rund eine Million Erwerbstätige zusammen.

Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Im Vergleich zu klassischen Branchen wie der Automobil- oder Chemieindustrie nimmt die Kultur- und Kreativwirtschaft einen Mittelplatz ein. Und das, obwohl der Wettbewerb, indem die Kreativen zueinander stehen, nicht nur hart, sondern zum Teil auch ruinös ist. Vor allem Selbstständige haben mit einem "komplizierten Wirtschaftsumfeld" zu kämpfen, heißt es in der Ministeriums-Expertise, weshalb künftig eine "erweiterte wirtschafts- und kulturpolitische Beachtung" nötig sei. Der Appell ist heute dringender denn je. Denn als die Autoren der Studie ihre Empfehlung an die Politik formulierten, waren die Folgen der im Herbst 2008 einsetzenden globalen Wirtschafts- und Finanzkrise noch nicht abzusehen. Die Situation der Selbstständigen beispielsweise, die zum Zeitpunkt der Expertise schon als problematisch gesehen wurde, hat sich infolge der Krise erheblich verschärft.

Ungleichheiten einebnen

Das hat zuletzt auch den Sozialbeirat der Bundesregierung dazu veranlasst, die schwarz-gelbe Koalition aufzufordern, dem wachsenden Armutsrisiko bei Selbstständigen durch Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht zu begegnen. Denn immer mehr Selbstständige sind ohne Absicherung. So ist ihnen bisher der Zugang zur Riesterrente nicht möglich. Das will die Koalition zwar ändern, und sie will auch langjährig gesetzlich Rentenversicherten ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung sichern. Doch der Sozialbeirat glaubt, dass es nicht ausreicht, auf diese Weise Armut im Alter durch "fürsorgliche Maßnahmen" zu beheben. Der Staat müsse sie vielmehr vorbeugend vermeiden.

Tim Renner kennt die schwierige Situation. Der Musikmanager, der in den 1990er Jahren eine Blitzkarriere in der Musikindustrie hinlegte und 2003 vom Weltwirtschaftsforum zu einem von 100 Managern der Zukunft ernannt wurde, ist einer der Wortführer der Kreativen in Deutschland. In Interviews warnt er schon gerne mal vor einem möglichen Selbstständigen-Prekariat, sollte die Politik den Beschäftigten in der Kreativwirtschaft weiterhin so wenig Beachtung schenken. In Großbritannien sei das anders, gibt er zu bedenken. Dort sei schon vor vielen Jahren ein "Minister for Creative Industries" eingesetzt worden, um, wie er sagt, "einen Bereich, der große Bedeutung gewonnen hat, zu fördern, die Wachstumspotenziale zu stärken und die Ungleichheiten im Markt zu ebnen". Ähnliches kann sich Renner auch für Deutschland vorstellen, da die hiesige Kreativwirtschaft weiterhin "kräftig" wachse.

Die Bundesregierung hat die Bedeutung des Themas erfasst, auch wenn der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag zur Kreativwirtschaft nur vage Formulierungen enthält. Von einem Ausbau der "Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft" ist die Rede und davon, dass künftig das besondere Augenmerk nicht nur auf der "Schaffung von Unterstützungsangeboten zur Professionalisierung von Künstlern und Kreativen" liegen solle, sondern auch auf der Förderung "innovativer Projekte und Geschäftsmodelle". Damit ist die Marschroute vorgegeben. Und der Bund hat seinen Worten auch schon Taten folgen lassen.

Plattform für Vernetzung

Die Berufung von Hans-Joachim Otto, (FDP) zum Parlamentarischen Staatssekretär für Kreativwirtschaft und Informationsgesellschaft im Bundeswirtschaftsministerium zeigt, welchen ökonomischen Stellenwert die Kreativen inzwischen haben. Otto ist kein Unbekannter. Als Bundestagsabgeordneter hat er sich in seiner vorherigen Funktion als Vorsitzender des Kulturausschusses verdient gemacht, und er genießt seitdem über Parteigrenzen hinweg einen sehr guten Ruf. Dem FDP-Mann wird denn auch zugetraut, eine inhaltliche Brücke zu schlagen von der Wirtschaft zur Kultur und damit auch zum Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann (CDU).

Die Zusammenarbeit trägt bereits erste Früchte. Wenige Wochen nach der Bundestagswahl verkündete Neumann gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) die Gründung eines Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Das ist insofern bemerkenswert, als die Kulturpolitik und die Förderung der Kulturwirtschaft eigentlich in die Kompetenz der Länder fällt. Nun gibt es erstmals auf der Ebene des Bundes eine eigene kulturwirtschaftliche Plattform für Information, Beratung und Vernetzung. Brüderle verbindet mit dem Projekt die Erwartung, dass die bestehenden Mittelstands- und Innovationsprogramme des Bundes nun auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Branche geöffnet werden. Das Kompetenzzentrum soll den Kreativen einen leichteren Zugang zu bestehenden Fördermaßnahmen ermöglichen. Ziel ist es, ihr Standing auf den nationalen wie internationalen Märkten zu optimieren.

Der Bund nimmt hierfür in einem zweiten Schritt die Länder mit ins Boot. Geplant ist, in diesem Jahr acht regionale Anlaufstellen für die Kulturschaffenden und Kreativen zu schaffen. Entstehen soll am Ende ein Kontakte-Pool, von dem alle Akteure der Branche profitieren könnten.

Schlechtere Lobby

Musikmanager Renner findet das Engagement des Bundes richtig, doch erwartet er wesentlich mehr. "Wir bewegen uns in Trippelschritten voran, da muss dringend Geschwindigkeit rein", sagt er und weist auf das Ur-Problem seiner Branche hin. Weil sie so kleinteilig sei, habe sie eine viel schlechtere Lobby. "Wir reden hier über Betriebe, die laut Kreativwirtschaftsbericht Berlin im Schnitt 3,2 Mitarbeiter haben", erläutert er. Folglich sei die Branche in ihrer eigentlichen Relevanz für die Volkswirtschaft lange Zeit übersehen worden. Viele Kreative scheiterten schon bei dem Versuch, an Kredite zu kommen, klagt Renner: "In der Kreativwirtschaft werden immaterielle Wirtschaftsgüter produziert, die aber nicht kreditfähig sind." Die Unternehmen hätten daher ständig mit Finanzierungslücken zu kämpfen. "Hier muss der Staat eingreifen und die Kreativwirtschaft mit anderen Wirtschaftsbereichen gleichstellen", fordert Renner.

Mit dem neuen Parlamentarischen Staatssekretär Otto dürfte Renner einen Verbündeten auf seiner Seite haben. Der FDP-Politiker kennt die Probleme der Kreativen schon lange. Vor drei Jahren, als die Partei noch größte Oppositionsfraktion im Bundestag und Otto Vorsitzender des Kulturausschusse war, forderte er bereits "innovative Finanzierungsinstrumente" für die Kreativwirtschaft und regte Mini-Kredite und Venture Capital Fonds nach englischem Vorbild an.

Otto plädierte damals auch dafür, die Eigenkapitalvorschriften, kurz: Basel II, im Hinblick auf ungünstige Auswirkungen auf die Kreditvergabe für Projekte der Kulturwirtschaft zu überprüfen, damit Deutschland als Standort für Kreative im europäischen Wettbewerb gestärkt werden kann. Ob die Ideen von damals tatsächlich Realität werden?

Konkret will sich Otto im Gespräch mit dieser Zeitung nicht festlegen. Er macht jedoch unmissverständlich klar, dass bei der Kultur- und Kreativwirtschaft dieselben Maßstäbe angelegt würden wie in anderen Branchen. "Eine Geschäftsidee, eine neu angebotene Dienstleistung oder ein Geschäftsmodell müssen sich mittel- beziehungsweise langfristig rechnen", sagt er. Nur unter dieser Voraussetzung sei eine Finanzierung sinnvoll und darstellbar.

Umdenken bei Krediten

Gleichwohl beobachtet auch Otto, dass sich die Banken mit der Kreditvergabe im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft "nach wie vor schwer tun". Bei Gründern, Freiberuflern und selbstständigen Unternehmern der Branche gebe es daher noch "erhebliches Wachstumspotenzial", das derzeit aufgrund der Kreditvergabepraxis noch nicht vollständig ausgeschöpft werde. Der Staatssekretär sieht die Finanzbranche in der Pflicht, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. "Um zukünftig Innovationen und Wachstum nachhaltig zu fördern, bedarf es daher eines Umdenkens bei der Vergabe von Krediten für die Akteure der Branche", betont er. Zugleich kündigte Otto an, gemeinsam mit Experten aus dem Bankenbereich, der Wirtschaftsförderung, der Wissenschaft und der Kreativ-Branche im Mai in einem Workshop der Frage nachzugehen, inwieweit die derzeitigen Finanzierungsinstrumente verändert werden müssen, um eine noch bessere Erschließung der wirtschaftlichen Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft zu erreichen.

Der Autor ist Redakteur beim "Handelsblatt" in Düsseldorf.