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Der Mann, der Gott sein wollte

Biographie Christiane Baumann entmystifiziert den politischen Shooting-Star Manfred »Ibrahim« Böhme

01.03.2010
2023-08-30T11:25:49.7200Z
3 Min

Ibrahim - schon der Name ist Teil einer selbstinszenierten Täuschung. Bereits 1992 schrieb die "Stern"-Journalistin Birgit Lahann über Manfred Böhme in "Genosse Judas" dieses Psychogramm: "Sein Leben besteht aus fremden Identitäten. Als er Lenin liest, kleidet er sich wie Lenin, redet Lenins Text und fällt um wie Lenin. Als er Reiner Kunze kennen lernt, fängt er an zu dichten. Robert Havemanns (...) Ideen macht er zu den seinen. Als (...) Havemann ein Staatsfeind ist, verrät er ihn. Als er mit Ulrike Poppe im Café sitzt (...), ist er ein Oppositioneller. Und am Abend, wenn er seinem Führungsoffizier ins Tonband spricht, ist er ein Denunziant."

Manfred Böhme sucht Rollen und geht in ihnen auf. Als junger Mann umgibt er sich mit der Aura des intellektuellen Aufklärers, später fasziniert er als charismatischer Oppositioneller und steigt kometenhaft auf an die Spitze der Ost-SPD, er wird enttarnt als Stasi-Zuträger und lebt in seinen letzten Jahren zurückgezogen, gequält von Depressionen und Alkohol.

In Nachschlagewerken halten sich bis heute seine eigenen Legenden - vom jüdischen Waisenjungen unbekannter Herkunft, von politischer Haft 1968, von verschiedenen Studienabschlüssen, vom SED-Austritt 1976 und fünfzehn Monaten U-Haft wegen "staatsfeindlicher Hetze".

Es ist die Leistung der Autorin Christiane Baumann, erstmals das tatsächliche Leben des "Ibrahim" Böhme samt seiner mehr als 20-jährigen IM-Karriere rekonstruiert zu haben. Sachlich kritisch und mit immer wieder notwendiger Distanz gelingt es ihr, die Legenden um jene schillernde Gestalt aufzulösen, über die Reiner Kunze einmal sagte: "Er ist anders als alle Spitzel in meiner Akte. Er hat sich eine Welt geschaffen mit lebendigen Menschen. Er wollte Gott sein."

Anders als in allen Selbstdarstellungen kommt Böhme am 18. November 1944 in Bad Dürrenberg als eines von neun Kindern zu Welt, die sein Vater in zwei Ehen zeugt. Das Kind wächst zeitweilig bei Pflegeeltern und im Heim auf. Anerkennung sucht der Jugendliche in der Partei, die ihn mit 18 aufnimmt. Er arbeitet als Erzieher, bis ihn 1965 eine Parteistrafe trifft, weil er "den Ansichten Havemanns huldigt". Auf Vermittlung eines Freundes wird er Hilfsbibliothekar im vogtländischen Greiz, gründet im Parteiauftrag einen Jugendclub und gefällt sich in der Rolle des Inspirators eines DDR-kritischen Philosophie- und Lyrikzirkels. 1968 steht er erneut unter Bewährung und wird als IM angeworben.

Verkappter Gegner

Erstmals fühlt er sich bei der Staatssicherheit in einer "Familie" und will vor allem eins: sich unentbehrlich machen. Er versucht Reiner Kunzes und Jürgen Fuchs´ Vertrauen zu gewinnen, er liefert ausführlichste Berichte und erfindet Belastendes hinzu, auch über die Freunde im "Greizer Kreis". Er steigt auf zum Kreissekretär des Kulturbundes, gilt unter Genossen aber bald als verkappter Gegner und verliert die Stelle wieder. Auch als IM erhält er nach Kunzes Ausreise 1977 kaum noch Aufträge. Deshalb zieht er die Aufmerksamkeit der "Organe" mit einer Flugblattaktion und Selbstanzeige auf sich, um während seiner viermonatigen U-Haft "Wiedergutmachung durch operative Arbeit" regelrecht zu erbetteln. Zwar attestiert ihm ein psychiatrisches Gutachten "auffällige Ich-Überhöhung", doch dieser Mann mit dieser Tarnung ist zu verlockend für das MfS. In Mecklenburg darf er sich gegen kirchliche oppositionelle Kreise bewähren, erlangt das Vertrauen von Markus Meckel und Wolfgang Templin und so den Zugang zu den wichtigsten Oppositionsgruppen. In Berlin arbeitet er aktiv in der "Initiative für Frieden und Menschenrechte" mit. Als Top-IM "Maximilian" befolgt er den Auftrag: Bremsen, aber nicht blockieren. Und er liefert bändeweise Dossiers. Bärbel Bohleys Lebenspartner Werner Fischer wird über seine Schizophrenie später sagen: "Er wollte schon zur Familie gehören. In seinem Fall zu zwei Familien."

Zu seiner Hochform läuft "Maximilian" im Herbst 1989 bei der illegalen SDP-Gründung auf, er lässt sich zum Geschäftsführer und später zum Vorsitzenden wählen und gewinnt das Vertrauen von Willy Brandt. Böhme lebt seine Traumrolle als künftiger Ministerpräsident der DDR - bis sich IM-Gerüchte verdichten. Es folgen sein Zusammenbruch und Dementis bis zu seinem einsamen Tod am 22. November 1999 in Neustrelitz.

Christiane Baumanns "rekonstruierter Lebenslauf" entzaubert den Mythos Böhme. Und auch dass ist ein Verdienst ihres Buches - es zeigt eindrucksvoll, wie Enge und Kleinheit in der DDR auch zu einer Enge im Denken und Handeln führte.

Christiane Baumann:

Manfred "Ibrahim" Böhme. Ein rekonstruierter Lebenslauf.

Robert-Havemann-Archiv, Berlin 2009; 196 S., 10 €