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Im Sog der Sozialkassen

HAUSHALT Koalition stopft Löcher bei der Arbeitslosenversicherung und den Krankenkassen

08.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
3 Min

Gemütvolle Kritik im Bundestag: "Ein lieber, netter Onkel Doktor zu sein, reicht nicht aus", übermittelte Elke Ferner (SPD) Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Hohn und Spott kam in der Debatte am 5. März von Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen): Wie Schwarz-Gelb sich gebe, das wirke "wie eine Massenschlägerei". Einen Totalverriss gab es von Gesine Lötzsch (Die Linke): "Kurzsichtige, verantwortungslose Politik".

»Verhetzungspotenzial«

Nach diesem heftigen Schlagabtausch verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen von Union und FDP gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen das "Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz" (17/507). Es beschert den notleidenden Sozialkassen Milliarden-Zuschüsse vom Bund. Die Bundesagentur für Arbeit sollte nach dem Regierungsentwurf in diesem Jahr einen Zuschuss von 16 Milliarden Euro bekommen. Dank besserer konjunktureller Lage seien nun nur 12,8 Milliarden nötig, erklärte Norbert Barthle (CDU/CSU).

Die Opposition knöpfte sich die Koalition bei der Debatte trotzdem gehörig vor. Doch wenn sich auch Claudia Winterstein (FDP) über "Verhetzungspotenzial" beklagte: Bei der Bewertung des Gesetzesvorhabens durch die Opposition gab es differenzierte Töne. So signalisierte die SPD-Fraktion Zustimmung zu drei Punkten des Gesetzespro-jekts: Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit, Verdreifachung des Schonvermögens für Hartz-IV-Empfänger, krisenbedingt 3,9 Milliarden Euro mehr (insgesamt 15,7 Milliarden Euro) für die gesetzliche Kranken-versicherung.

Barthle begründete diese Aufwendungen damit, dass nach den Banken und Unternehmen nun die "aktiven und leistungswilligen Bürger" nicht im Stich gelassen werden dürften. "Deshalb spannen wir einen Schutzschirm." Winterstein sprach von "wichtigen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitsplätze".

Gehakel gab es um 900 Mil-lionen Euro, die zusätzlich für Eingliederungsinstrumente an die Bundesagentur für Arbeit fließen sollen. In der Nacht vor der Debatte hatte die Koalition durchgesetzt, dass diese Mittel gesperrt werden sollen - Freigabe erst dann, wenn ein "vernünftiges Konzept" (Winterstein) für diese Instrumente vorliegt. Eine Sperrung sei in der Vergangenheit oft "faktisch eine Kürzung" gewesen, meinte Kurth.

Handfester Streit entzündete sich an der Frage, wie mit den Härtefall-Vorgaben im Hartz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzugehen sei. Union und FDP wollten dafür 100 Millionen Euro in diesem Jahr bereitstellen - und den Vorgang an das aktuelle Sozial-Gesetzespaket andocken. Doch die Sozialdemokraten hätten auf einer Anhörung bestanden. Deshalb seien die Fristen für eine schnelle Regelung nicht zu halten. Die Bürger würden "in Sippenhaft für taktische Spielchen genommen", schimpfte Barthle. "Lieber gründlich", hielt Bettina Hagedorn (SPD) dagegen. Die Wohlfahrtsverbände selbst hätten deutlich gemacht, dass eine Anhörung sinnvoll sei. Im Übrigen gebe es für die Betroffenen nicht "auch nur den Hauch eines Nachteils". Das Urteil sage klar: "Der Anspruch besteht." Defizite entstünden allenfalls für die Leute, die die Vorgabe umsetzen müssten.

Schrille Dissonanzen gab es schließlich über die Leistungen für die Landwirtschaft - vom Grünlandmilchprogramm bis zu den Zuschüssen zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) schwärmte über 750 Millionen Euro für die Landwirtschaft bis 2011: "So ein Programm hat es bisher nicht gegeben." Es sei für den "Erhalt der flächendeckenden Landbewirtschaftung" nötig. Zudem trage das Grünlandprogramm zum Klimaschutz bei.

Doch Hagedorn sah darin nichts als "Klientelpolitik, wie wir sie von Ihnen kennen". Sie pickte sich insbesondere die Kuhprämie (20 Euro) heraus. Die "Kuhschwanz- und Gründlandprämie" zeuge von schwarz-gelber "Industrialisierungs- und Exportideologie", befand Friedrich Ostendorf (Grüne).

Generell beklagten die Abgeordneten aus den Oppositionsreihen, dass es sich um kein Gesetz mit Weitblick handle. Für Kurth stellt es "notdürftigste Flickschusterei" dar, sei Ausdruck von "Notoperationspolitik", treffe "keine Aussage über die Perspektive ab 2011". Kurth riet der Koalition: "Lassen Sie es besser mit dem Regieren."

54 Prozent Sozialausgaben

Eingangs hatte Barthle speziell an die Adresse der Linksfraktion darauf verwiesen, dass 178 Milliarden Euro und damit 54 Prozent des Bundesetats Sozialausgaben seien. Das zeige den "hohen Stellenwert der sozialen Sicherungssysteme".

Lötzsch freilich gab sich unbeeindruckt. Die Risiken dieser Systeme seien "immer mehr auf die Arbeitnehmer abgewälzt" worden. Sie verlangte die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Schon bei 7,50 Euro pro Stunde würden 4 Milliarden Euro mehr in die sozialen Sicherungssysteme fließen.

Einen Hauch von Wahlkampf brachte der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) in den Plenarsaal. Er hielt der SPD vor, zu Zeiten von Schwarz-Rot die Verlängerung des Arbeitslosengeldes und ein höheres Schonvermögen blockiert zu haben. Beides habe Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen bereits 2005 gefordert. Hoch schlugen daraufhin die Wellen der Empörung in den Reihen der Sozialdemokraten.