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Viele Sieger im Zweistromland

PARLAMENTSWAHL IM IRAK Ersten Ergebnissen zufolge liegen die Bündnisse von Ministerpräsident Nuri al-Maliki und Ijad Allawi vorn. Beschwerden über…

15.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
4 Min

Im Wahlzentrum Rafideen im Herzen von Kirkuk, 250 Kilometer von Bagdad entfernt, traf man an diesem 7. März die ganze Vielfalt der Stadt. Kurden, Turkmenen, Araber und Christen gingen hier wählen, 2.800 Wähler waren registriert. Der Leiter des Zentrums, ein junger Turkmene, hieß die internationalen Beobachter willkommen. "Es ist gut, dass Sie nachschauen, ob alles in Ordnung ist", sagte Ghasan Mohsin und wies den Weg zu den sechs Wahllokalen. Am Vorabend seien die Urnen aus Bagdad gekommen, die man in einen Raum eingeschlossen habe, um sie am Morgen um 6.30 Uhr zusammen mit den anderen Utensilien in die einzelnen Räume zu stellen.

Auf einer Bank gegenüber den Kabinen nahmen die Beobachter Platz. Zumeist waren das Mitglieder der politischen Parteien und Allianzen. Internationale Beobachter haben in Kirkuk noch Seltenheitswert. Die Sicherheitslage gilt als bedenklich, auch wenn US-Truppen am Wahltag verstärkt in der Stadt patrouillierten und eine gemeinsam aus kurdischen Peschmerga, irakischer Armee und US-Soldaten zusammengestellte "joint force" einen reibungslosen Ablauf gewährleistete. Nur einmal kam es in einem Wahlzentrum zu Schießereien. Zwei politische Beobachter wurden verletzt. Während in Bagdad durch Bombenanschläge 31 Menschen getötet werden, war es in Kirkuk am Wahltag aber ruhig.

Im Wahlzentrum herrschte zwar kein Andrang, aber reges Interesse. Bis 14 Uhr hatte rund die Hälfte der registrierten Wähler ihre Stimme abgegeben. Landesweit lag die Wahlbeteiligung insgesamt bei 62 Prozent. Kurdinnen erschienen in ihren schönsten leuchtend gelben, blauen oder grünen Kleidern. Auch die Turkmeninnen hatten sich rausgeputzt und die Araberinnen trugen lange schwarze Abajas bestickt mit glitzernden Pailletten. Selbst wenn schon zum dritten Mal nach dem Sturz Saddam Husseins ein irakisches Parlament gewählt wurde, war dieser 7. März für die Iraker noch immer ein Ereignis. Auffallend waren die vielen Frauen, die in die Wahllokale gingen - meistens zusammen mit ihren Männern und Kindern, aber auch allein mit anderen Frauen. Eine ältere, etwas gebrechliche Dame, augenscheinlich Analphabetin, quittierte mit dem Fingerabdruck anstatt der Unterschrift den Erhalt des Stimmzettels; sie wusste genau, wen sie wählen wird. Sie bat die Wahlhelferin, ihr zu zeigen, wo ihr Favorit auf der Wahlliste steht. Die Ernsthaftigkeit und der Eifer, mit dem die Menschen zwischen Euphrat und Tigris ihre Zukunft gestalten wollten, faszinierte.

Verbesserte Sicherheit

Die irakische Organisation "Shams" ist ein Netzwerk verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Wahlen oder Volksbefragungen befassen. Dahinter steht das National Democratic Institut aus Washington, eine Organisation der Republikaner, die den Irakern Demokratie beibringen soll. Neben 3.000 einheimischen Wahlbeobachtern im ganzen Land, konnte Shams wegen der verbesserten Sicherheitslage erstmals auch 49 internationale Beobachter für die Parlamentswahl einsetzen. Allerdings nicht überall: Nicht möglich war das in der Provinz Dijala, nordöstlich von Bagdad, in dessen Hauptstadt Bakuba eine Woche vor dem Urnengang koordinierte Bombenanschläge viele Menschenleben forderten sowie im nordirakischen Mosul. Bagdad und Kirkuk galten als bedenklich. Nach Schließung der Wahllokale in Kirkuk erklärten sich die Kurden bereits zu Siegern. Hupende Autokonvois fuhren mit schwenkenden kurdischen Fahnen durch die Millionenstadt. Der Konflikt um die Zugehörigkeit Kirkuks ist in vollem Gange. Es geht um die Verwaltungshoheit; die Kurden möchten, dass die reiche Ölstadt künftig ihren Autonomieprovinzen Erbil, Suleimanija und Dohuk angegliedert wird. Araber und Turkmenen wollen jedoch weiter von Bagdad verwaltet werden. Die Christen sitzen zwischen den Stühlen. Das Wahlergebnis soll nun Klarheit schaffen. Die kurdische Allianz aus KDP (Kurdische Demokratische Partei) von Mazoud Barzani und PUK (Patriotische Union Kurdistans) von Jalal Talabani hofft, sieben der 13 Abgeordneten, die von Kirkuk in die Volksvertretung nach Bagdad geschickt werden, stellen zu können. Damit könnten die Kurden das von der Verfassung schon für Ende 2007 vorgeschriebene, aber bis jetzt nicht durchgeführte Referendum über die Zukunft der Stadt durchdrücken.

Interessant wird das Ergebnis für "Gorran", die neue Kurdenpartei, die sich von der PUK abgespalten hat und bei den Regionalwahlen im vergangenen Juli auf Anhieb fast ein Viertel der Stimmen bekam. Sie hat einen aktiven, unabhängigen Wahlkampf in Kirkuk betrieben. Die Frage ist, ob Gorran zusammen mit der kurdischen Allianz aus KDP und PUK in Bagdad auftreten oder sich mit anderen verbünden wird.

Zahlreiche Machtansprüche

Aber nicht nur in Kirkuk gibt es schnell erklärte Sieger. Unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Teilergebnisse am Abend des 11. März haben sich gleich zwei Bündnisse zu "zweiten Siegern" neben der Rechtsstaat-Koalition von Ministerpräsident Nuri al-Maliki erklärt und eine Beteiligung an der Macht gefordert: Die säkulare "Irakische Liste" von Ijad Allawi und die Allianz der religiösen Schiitenparteien (INA) unter Ammar al-Hakim. Zum ersten Mal bei einer Parlamentswahl im Irak sind die Ergebnisse der ersten Zählung in den Wahllokalen unmittelbar danach an den Türen ausgehängt worden, bevor die Urnen wieder versiegelt und nach Bagdad zur Zweitzählung geschickt wurden. So soll ein Vergleich der beiden Auszählungen ermöglicht werden. Die Schiitenallianz droht nun damit, die Ergebnisse der offiziellen Auszählung nicht anzuerkennen, falls sie von den Aufzeichnungen der eigenen Wahlbeobachter abweichen. Diese hätten festgestellt, dass die Maliki-Koalition in den Provinzen Bagdad, Dijala und den neun Provinzen im Süden Iraks rund 1,9 Millionen Stimmen erhalten habe, die Schiiten-Allianz etwa 1,8 Millionen. Die konkurrierende Irakische Liste habe lediglich 666.000 Stimmen bekommen, was diese aber vehement bestreitet.

Endgültige Ergebnisse wird die Wahlkommission in Bagdad nicht vor Ende des Monats vorlegen können. Es seien bereits über 1.000 Beschwerden bezüglich Wahlfälschungen eingegangen, denen erst nachgegangen werden müsse, heißt es. Bis dahin wird weiterhin spekuliert, taktiert und gestritten. Am Wochenende musste Premierminister Nuri al-Maliki ins Krankenhaus eingeliefert werden und sich einer Operation unterziehen, die aber gut verlaufen sei, sagte ein Sprecher. Für das Postengeschacher, das schon in vollem Gange ist, steht er also zur Verfügung.