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Kurz rezensiert : Angelesen

15.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
6 Min

Dass die US-Amerikaner trotz der beschworenen Wertegemeinschaft politisch erheblich anders "ticken" als ihre europäischen Verbündeten, hat sich in den vergangenen 50 Jahren immer wieder gezeigt. Der Politikwissenschaftler Jakob Schissler zeigt in seinem fundierten Band, aus welchen Traditionen, Ideen und auch Mythen sich die politische Kultur der USA speist. Schissler führt seinen Leser von den puritanischen Anfängen über die liberalen und republikanischen sowie den religiösen Traditionen bis hin zu jenen Mentalitäten, auf die die Amerikaner mit Stolz verweisen: ihren Pioniergeist, ihren Pragmatismus und den unbeirrbaren Glaube an die Machbarkeit aller Dinge.

Besonders lesenwert sind Schisslers Ausführungen, in denen er zeigt, wo und wie die amerikanischen Denkmuster und Vorstellungen in konkreter Politik kumulierten - etwa dem von Ronald Reagan initierten und später von George W. Bush neu aufgelegten "Star Wars"-Programm SDI. Was könnte auch amerikanischer sein, als die Eroberung des Weltraums, der "final frontier"?

Jakob Schissler:

Die politische Kultur der USA.

Wochenschau Verlag, Schwalbach 2010; 288 S., 16,80 €

Der Titel besteht nur aus einem Wort: Hiroshima. Das dazugehörige Datum verdeutlicht ein Schlüsselereignis des vergangenen Jahrhunderts: den Atombomben-Abwurf am 6. August 1945 durch die US-Luftwaffe auf diese japanische Stadt. Den historischen Kontext hierzu und zu dem drei Tage später folgenden Inferno in Nagasaki liefert Florian Coulmas.

In zehn Kapiteln beschreibt der in Tokio arbeitende Japanologe die folgenreichen Attacken, vor allem die Vor- und Nachgeschichte. Die beiden Abwürfe sollten nicht nur den Zweiten Weltkrieg im Pazifikraum beenden und Rache für den japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 sein, sondern auch eine Machtdemonstration gegenüber der Sowjetunion.

Diese militärisch-politischen Hintergründe, besonders aber die zahlreichen Reaktionen in Medien, bei Schriftstellern und Wissenschaftlern untersucht der kenntnisreiche Autor. Dabei betont Coulmas stets auch die unterschiedlichen Sichtweisen, denn: "Japans Hiroshima ist nicht Amerikas Hiroshima". Dies zeigt sich heute noch in den jeweiligen Schulgeschichtsbüchern, übrigens auch in deutschen.

Florian Coulmas:

Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte.

Verlag C.H. Beck, München 2010; 127 S., 8,95 €

Zwei alte Herren sitzen beisammen und lassen gut 100 Jahre Revue passieren: Sie reden über ihre persönlichen Erfahrungen, das große Weltgeschehen und kleine Anekdoten, kluge Politiker sowie verbrecherische Regime - und auch über altersbedingte Gesundheitsprobleme. Der eine führte als Kanzler selbst eine Nation durch manche Krise, der andere beobachtete und kommentierte das Geschehen als Historiker.

Im Sommer 2009 trafen sich Helmut Schmidt, Jahrgang 1918, und Fritz Stern, Jahrgang 1926, und diskutierten drei Tage lang über das bewegte 20. Jahrhundert und die aktuellen Probleme des neuen Jahrtausends. Aus der Gesprächsaufzeichnung ist ein lesenswertes, weil scharfsinniges Buch mit manch ironischem Unterton entstanden. Und Schmidt und Stern beweisen, wie auch hart in der Sache aber seriös über abweichende politische Meinungen gestritten werden kann. Eines ist den beiden alten weisen Herren jedoch ein gemeinsames Anliegen - für mehr Geschichtsbewusstsein bei der jungen Generation zu werben.

Helmut Schmidt, Fritz Stern:

Unser Jahrhundert. Ein Gespräch.

Verlag C.H. Beck, München 2010; 287 S., 21,95 €

Vor über 40 Jahren reiste Ulrich Sahm nach Israel, um im Gelobten Land Judaistik zu studieren - und blieb. Bereits als Student schrieb er auf Wunsch des "Haaretz"-Herausgebers Gustav Schocken Rezensionen über die neue deutsche Literatur - ein gezielter Tabubruch Anfang der 1970er Jahre in Israel. Nach einem Besuch bei seinem Vater, dem deutschen Botschafter in Moskau, berichtete er anonym über die Lage der Juden in der Sowjetunion. Längst ist sein von einem Vollbart umrahmtes Gesicht auch den Zuschauern des Nachrichtensenders n-tv bekannt. Schließlich informierte er sie stets sachkundig via Live-Schalte über die politische Entwicklung im Nahen Osten.

In seinem Buch erzählt Sahm vom Alltag in Israel. Und er ließ es sich auch nicht nehmen, direkt neben seinen scharfsinnigen politischen Analysen auch Kulinarisches zu präsentieren.

Der Autor musste feststellen, dass in Nahost "nichts wirklich so ist, wie es zu sein scheint", dass es dort keine "absolute Wahrheit" gibt. Eine Lösung für den arabisch-israelischen Konflikt kann auch Sahm nicht aus der Schublade zaubern. Dennoch ist sein großartige Buch ein Muss für jeden, der Israel kennen lernen will.

Ulrich W. Sahm:

Alltag im Gelobten Land.

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010; 230 S., 19,95 €

Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre schwarz-gelbe Regierung setzen auf Wirtschaftswachstum: Wachstum, um die Arbeitslosenzahlen zu senken; Wachstum, um die Staatsverschuldung wieder drosseln zu können. Doch Kritiker bezweifeln, ob dies überhaupt noch funktionieren kann. Der Laie steht dieser Diskussion meist eher hilflos gegenüber. Volkswirtschaftliche Zusammenhänge sind ein harter Stoff.

Um so lobenswerter ist es, wenn es einem fachmännischen Autor gelingt, seinen Lesern die schwierige Materie verständlich zu vermitteln. So, wie es der Volkswirtschaftler Hans-Jürgen Wagener mit seinem schmalen Band "Konjunktur und Wirtschaftswachstum" aus der Taschenbuchreihe "Die 101 wichtigsten Fragen" tut.

Allerdings gelingt es Wagener nicht, alle der Fragen eindeutig zu beantworten. So mag er sich in der Frage, ob das Wachstum auch seine Grenzen habe, nicht festlegen. Zu allen Zeiten hätten sich Ökonomen mit dieser Frage beschäftigt und seien dabei zu unterschiedlichen Antworten gekommen. Auch Wagener kann nur die unterschiedlichen Meinungen präsentieren.

Hans-Jürgen Wagener:

Konjunktur und Wirtschafts- wachstum. Die 101 wichtigsten Fragen.

Verlag C.H. Beck, München 2010; 151 S., 9,95 €

Bayern und Baden-Württemberg kommen in einem beruhigenden dunklen blau daher. Die Bundesländer östlich der Elbe hingegen signalisieren durch ihre rote Farbe höchste Gefahr. Nein, politisch ist das nicht gemeint. Diese gefärbte Landkarte gibt Auskunft über die Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik. Es ist eine der rund 120 farbigen Karten und Grafiken aus dem "Wirtschaftsatlas Deutschland", den der Wirtschaftsjournalist und Unternehmensberater Detlef Gürtler publiziert hat.

Von der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland über die Energieversorgung, das Autobahn- und Eisenbahnnetz, das Pro-Kopf-Einkommen und die Zahl der Hartz-IV-Empfänger bis hin zur Pkw-Dichte und zur Verteilung von Schweinen und Rindern in der Landwirtschaft gibt der Atlas über jede nur denkbare Statistik verlässlich Auskunft. Begleitet wird all das bunte Kartenmaterial von kurzen einführenden Texten, die beweisen, dass statistisches Datenmaterial nicht staubtrocken und unverständlich präsentiert werden muss. Insgesamt ist Gürtler damit ein gelunges Nachschlagewerk über den Zustand der Republik geglückt.

Detlef Gürtler:

Wirtschaftsatlas Deutschland.

Rowohlt Berlin, Berlin 2010; 192 S., 19,95 €