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Mussolini-Devotionalien an der Autobahnraststätte

Italien Der Schweizer Historiker Aram Mattioli über die Umdeutung der faschistischen Vergangenheit

15.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
4 Min

Als Silvio Berlusconi 1994 seine Koalition aus der gerade gegründeten Partei Forza Italia (FI), der separatistischen Lega Nord und der neofaschistischen Alleanza Nazionale (AN) der Öffentlichkeit präsentierte, war ein Tabu gebrochen. Zum ersten Mal in der eurpopäischen Nachkriegsgeschichte wurden rechtsextremistische und neofaschistische Parteien in eine bürgerliche Koalition eingebunden. In keinem anderen Land Westeuropas wäre das denkbar gewesen - und schon gar nicht, dass der Vorsitzende einer Regierungspartei Mussolini als den größten Staatsmann des Jahrhunderts bezeichnet, wie es AN-Chef Gianfranco Fini kurz nach den Wahlen tat. Inzwischen hat Fini selbst seine Aussage revidiert - ohne jedoch verhindern zu können, dass seine Parteifreunde, von Exponenten der Lega Nord und Berlusconis FI flankiert, revisionistische Thesen unters Volk brachten und gesellschaftsfähig machten.

Die italienischen Revisionisten sind zwar keine Holocaust-Leugner. Aber es geht ihnen darum, Mussolinis Regime zu rehabilitieren, es in eine "gutmütige" Diktatur umzudeuten, die Italien viel Gutes gebracht habe und erst mit den Rassegesetzen von 1938, vom rechten Weg abgekommen sei. Und das nur, um sich dem verbündeten Hitler anzubiedern!

Wie eine solche Verdrehung der historischen Wahrheit in Italien möglich gewesen ist, untersucht der Schweizer Historiker Aram Mattioli in seinem Buch "Viva Mussolini!". Zum einen, so argumentiert Mattioli, hätten die Schmiergeldskandale, die 1993/1994 das damalige Parteiensystem Italiens zum Einsturz brachten, die "Erste Republik" diskreditiert. In der Bevölkerung habe sich die Meinung durchgesetzt, die alten, nach dem Krieg aus dem Partisanenkampf hervorgegangenen Parteien seien an der allgemeinen Korruption schuld. Ausschlaggebend war laut Mattioli jedoch, dass in Italien eine Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit - anders als Deutschland - nach 1945 nicht stattgefunden hatte, so dass sich ein allgemeines Schuldbewusstsein für die Gräuel der faschistischen Diktatur gar nicht herausbilden konnte. Die Meistererzählung der "Resistenza" (Partisanenkampf), die mit Hilfe der Alliierten das Land von den deutschen Besatzern befreit hatte, wurde der Gründungsmythos der Republik und verdrängte im kollektiven Bewusstsein die Tatsache, dass die Mehrheit Mussolinis Faschismus gestützt hatte.

Generalamnestie

In der Tat war die italienische Resistenza mit ihren 250.000 Kämpfern die zahlenstärkste in Westeuropa gewesen. Doch - was der Historiker leider unterschlägt - hatte sie für ein Land, das in Jalta dem West-Block zugeschlagen worden war, den Makel, vor allem von Kommunisten geführt worden zu sein. Zwar verfolgten sämtliche im Nationalen Befreiungskomitee zusammengeschlossenen Parteien das Ziel, Italien eine demokratische Staatsform zu geben; doch standen die Kommunisten (PCI) nach 1945 unter Zugzwang, sich als demokratische Kraft zu legitimieren und Toleranz zu demonstrieren. Das war einer der Gründe für die Entscheidung des kommunistischen Justizministers Palmiro Togliatti, 1946 eine Generalamnestie für rechtskräftig verurteilte Faschisten zu verfügen. Kein italienischer Faschist musste sich für die Deportation von 47.000 italienischen Juden oder für Kriegsverbrechen verantworten. Vielmehr half das internationale Entsetzen über den Holocaust der Nationalsozialisten, die Verbrechen der vergleichsweise als "milde" eingestuften faschistischen Diktatur zu bagatellisieren. So konnten die Italiener ihre Mittäterschaft verdrängen, die Tatsache vergessen, dass die Resistenza von 1943 bis 1945 nicht nur ein Befreiungskampf gegen die deutschen Besatzer, sondern auch ein Bürgerkrieg zwischen Faschisten und Antifaschisten gewesen war, und sich im wohligen Glauben wiegen, sie hätten alle gemeinsam das Land "befreit".

Leider versäumt es Mattioli in seinem sonst beachtenswerten Buch, die politischen Zusammenhänge zu erklären, die die Schwäche der Antifaschisten nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks im Jahr 1989 bedingten. In einem Land, in dem der Antifaschismus, auf dem die demokratische Verfassung basierte, in erster Linie von Kommunisten getragen worden war, war es ein Leichtes, nach 1989 die antifaschistischen Ideale als kommunistisch zu diffamieren - freilich unter Ausblendung des demokratischen Sonderwegs des italienischen PCI.

Erinnerungskultur

Trotzdem ist die Lektüre von Mattiolis "Viva Mussolini" unbedingt zu empfehlen: Der Historiker verfolgt Punkt für Punkt den Aufmarsch einer neuen faschistischen Erinnerungskultur von den ersten durch Intellektuelle kolportierten revisionistischen Thesen bis hin zur heutigen TV-Propaganda, die das Bild des "guten Faschisten" verbreitet.

Im heutigen Italien ist inzwischen normal, was in Deutschland unvorstellbar wäre: Dass Politiker aus Berlusconis Lager bei politischen Kundgebungen den rechten Arm zum Mussolini-Gruß recken, dass sich der Ministerpräsident als "Duce" feiern lässt, dass auf Märkten, in Kiosken und Autobahnraststätten Mussolini-Devotionalien, Apologien des "Duce" und seiner Getreuen, sogar Weinflaschen mit Mussolini- und Hitler-Bildern zu erwerben sind - ungeachtet der Tatsache, dass nach der Verfassung von 1948 "Apologie des Faschismus" ein Straftatbestand ist. Wen wundert es da noch, wenn die Regierenden diese Verfassung umkrempeln wollen?

Aram Mattioli:

"Viva Mussolini!" Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis.

Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2010; 201 S., 19,90 €