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Der größte Feind des Menschen

Sklaverei Tidiane N'Diaye hat sich auf die Spuren des arabischen Sklavenhandels in Afrika gemacht. Doch eine angemessen seriöse Darstellung dieses Verbrechens…

15.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
4 Min

Eine völlig interessenunabhängige Wissenschaft ist eine Schimäre. Bereits mit der Auswahl des Forschungsgegenstandes trifft der Forscher eine Entscheidung, mit der Fragestellung hat die Wissenschaftlerin einen Blickwinkel gewählt oder andere ausgeschlossen. In der Medizin entstehen durch interessengeleitete Forschung Gefälligkeitsgutachten. Und historische Forschungen werden mitunter in der Absicht betrieben, in einer aktuellen Debatte Einfluss zu nehmen. Polemik statt Information ist das Resultat. Tidiane N´Diayes Buch "Der verschleierte Völkermord" über den Sklavenhandel aus Afrika Richtung Osten ist solch ein Fall. Das Buch fügt sich ein in eine Reihe aggressiv aufgeladener Werke auf dem deutschen Buchmarkt, in denen der Islam weniger Forschungsgegenstand denn Zielscheibe undifferenzierter Anwürfe ist.

Der franco-senegalesische Anthropologe und Wirtschaftswissenschaftler war, so kann man dem letzten Kapitel seines Buches entnehmen, unzufrieden mit der von den Vereinten Nationen ausgerichteten Anti-Rassismus-Konferenz von Durban im Jahr 2001. Damals verurteilte die Weltgemeinschaft den Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es wurde anerkannt, dass Menschen aus Afrika über den Atlantik, den Indischen Ozean und durch die Sahara gehandelt wurden. N´Diaye fand dennoch, dass der von Arabern betriebene Sklavenhandel zu wenig beleuchtet wurde und legte nach.

Berichte der Europäer

In westlichen Bibliotheken lagern seit langem Berichte über Sklaverei und Sklavenhandel unter arabischer Ägide. Sie stammen überwiegend von westlichen Afrikareisenden. Die Deutschen Gerhard Rohlfs und Georg Schweinfurth, der US-Reporter Henry Morton Stanley und der britische Missionar David Livingstone brachten im 19. Jahrhundert ihre erschreckenden Beobachtungen über arabische Sklavenhändler und deren gequälte afrikanische Opfer zu Papier. Die Berichterstatter waren aber zugleich Angehörige jener Kolonialmächte, die selber Jahrhunderte lang Sklavenhandel betrieben und versuchten, den afrikanischen Menschen ihren eigenen Glauben auszutreiben und sie zum Christentum zu bekehren. Die Europäer standen also in Konkurrenz zum Islam und den Arabern. Andererseits kooperierten sie bei der Versklavung afrikanischer Frauen, Männer und Kinder mit Arabern. Nachdem die Sklaverei in westlichen Ländern im Laufe des 19. Jahrhunderts verboten worden war, ließen Europäer oft genug arabische Menschenhändler das mörderische Geschäft unter ihren Augen fortsetzen.

Über all dies gäbe es viel zu forschen. N´Diaye schreibt, dass "unzählige Manuskripte in den Archiven der einst vom Osmanischen Reich regierten Länder lagern". Es wäre überaus verdienstvoll, sich um Zugang zu diesen Quellen zu bemühen und sie bekannt zu machen, aber wir erfahren nichts von solchen Bemühungen. Er behauptet, dass "bestimmte Register in den Archiven der arabomuslimischen Länder gefälscht" wurden - Genaueres erfahren wir nicht. Er verweist auf mündliche Quellen, ohne diese näher zu erläutern. Stattdessen beschränkt er sich weitgehend auf die bekannten Berichte. Auch das könnte sinnvoll sein, etwa zur Illustration neuer Erkenntnisse über den Sklavenhandel Richtung Osten. Aber nüchterne Erkenntnisse sind N´Diayes Anliegen offenbar nicht.

Statt dessen springt er wild in der Geschichte der Sklaverei hin und her. Die Ägypter, die Griechen, Äthiopien, die Mauren, der Senegal, Indien und die Araber, alles auf wenigen Seiten, da schwirrt einem der Kopf und man verliert den Überblick. Als Konstante erscheinen die "arabomuslimischen Sklavenhändler", scheinbar untrennbar verbunden in der Kombination von arabisch und muslimisch, auch wenn Sklaverei bereits in vormuslimischer Zeit in Arabien existierte.

N´Diaye erweist einerseits dem Propheten Mohammed ausdrücklich seine Referenz und zitiert eine Hadithe, einen überlieferten Ausspruch, dass "der schlimmste Mensch derjenige ist, der andere Menschen verkauft". Zugleich sucht er nachzuweisen, wie Koran und Islam die Sklaverei befördert haben. Derartige Widersprüche untersucht er aber nicht, sondern kommt zu einem schnellen Resümee: "In Wirklichkeit wurden dreizehn Jahrhunderte lang durch den arabomuslimischen Sklavenhandel ununterbrochen mehr Afrikaner deportiert als durch den transatlantischen Menschenhandel." Das ist die Botschaft.

Der "arabomuslimische Sklavenhändler" ist nicht nur Forschungsgegenstand, er wird zum Objekt emotionaler Ausbrüche des Autors. Im Vorwort ziehen die Araber "von Region zu Region, den Koran in der einen Hand, in der anderen das Messer". Rund 150 Seiten später heißt es: "Die Beständigkeit des vom 7. bis zum 21. Jahrhundert währenden Sklavenhandels und der arabomuslimischen Sklaverei in Afrika lag in den Traditionen der Araber selbst, die aufgrund ihres ausschweifenden Lebensstils und ihrer Faulheit nicht auf die Arbeitskraft und das Blut dienstfertiger Menschen verzichten mochten." Das ist blanker Rassismus.

Zwangskastration

In dieser Suada versinken beinahe Mitteilungen gegen Ende des Buches über die systematische Kastrierung afrikanischer versklavter Jungen, um sie als Eunuchen einzusetzen. Für viele endete die grausame Prozedur tödlich. Die erzwungene Zeugungsunfähigkeit sei der Grund, warum in arabischen Ländern kaum schwarze Menschen anzutreffen seien, anders als in Nord- und Südamerika, schreibt N´Diaye und spricht von "Völkermord". N´Diaye deutet außerdem an, dass Afrikanerinnen, die in der arabischen Sklaverei schwanger wurden, gezwungen wurden, ihr Neugeborenes zu töten. Nur wenige Sätze, mehr ist nicht zu erfahren über diese Ungeheuerlichkeit. Überhaupt werden Sklavinnen eher selten erwähnt. Die Frage, warum in arabischen Ländern, anders als in Amerika, eine "natürliche Sklavenproduktion" durch Kindstötung und Kastration verhindert worden sein soll, stellt N´Diaye nicht. Er lässt auch unerwähnt, dass Kastration und Kindstötung jedenfalls nicht zum muslimischen Teil eines "arabomuslimischen Sklavenhandels" passen, denn beides wird durch den Koran weder erlaubt noch ge- fördert.

Und noch eine Frage bleibt unbeantwortet: Warum gibt ein seriöser Verlag ein Werk von solch zweifelhaftem Wert heraus? "Völkermord" und "Sklavenhandel" auf dem Titel signalisieren Relevanz, antimuslimische Tiraden verkaufen sich auch anderswo gut. Aber ist fundierte Forschung kein Kriterium für eine Veröffentlichung?

Tidiane N'Diaye:

Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika.

Rowohlt Verlag, Reinek 2010; 253 S., 19,95 €