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Nichts Neues vom Hindukusch

Afghanistan Marc Thörners Reportageband kann die Erwartungen nicht erfüllen

15.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
3 Min

Gute Bücher über Afghanistan und das deutsche Engagement am Hindukusch gehören zu den Raritäten: Die von ehemaligen Soldaten vorgelegten Berichte über ihren Alltag sind meist schlecht geschrieben und geben oft kein umfassendes Bild der politischen Entwicklung im Land. Anderen Autoren geht es um die Skandalisierung des Isaf-Einsatzes. Aus der Feder deutschsprachiger Journalisten verdient vor allem das vor drei Jahren erschienene Buch von Susanne Koelbl und Olaf Ihlau lobende Erwähnung. Auf umso größere Aufmerksamkeit darf der freie Journalist Marc Thörner hoffen, der seinen Reportageband "Afghanistan Code" über seine Reisen an den Hindukusch vorlegt.

Der Deutsche beschreibt ausführlich, was er als "eingebetteter Journalist" fast zwei langweilige Wochen lang im US-Camp Salerno hinter dem Zaun erlebte. Er beobachtete die Koexistenz der GIs und ihrer "locals", der Einheimischen, auf dem Stützpunkt und durfte mit einem stark bewaffneten US-Konvoi die Nachbarstadt besuchen. Dort konnte er sich ein eigenes Bild von der unprofessionellen Zusammenarbeit der Vereinten Nationen mit den lokalen afghanischen Behörden machen.

Die zweite Patrouille unternahm Thörner mit französischen Soldaten. Da er sonst nicht viel zu erzählen hat, schildert er dem Leser langatmig, warum der Einsatz in Afghanistan als Kolonialkrieg bewertet werden muss, ähnlich dem in Algerien und Marokko. Daneben referiert er seine bisherige Lektüre zum Thema Aufstandsbekämpfung - für eine Reportage eher schwere Kost.

Machtkampf

Die vermeintlichen Enthüllungen des Autors über die Tötung unschuldiger Paschtunen fallen durchweg einseitig aus. Das gilt auch für seine Darstellung des Machtkampfs im Norden zwischen Tadschiken und Usbeken einerseits und den dort ansässigen Paschtunen andererseits. Thörner stellt sich auf die Seite der "Schwachen" und negiert damit seine eigenen Ausführungen: dass die paschtunische "Minderheit" erst vor drei Generationen im Norden angesiedelt wurde, um die Machtbasis der Paschtunen und ihren Verhaltenskodex, das Paschtunwali, im Land zu verbreiten. Tatsache ist, dass die Paschtunen die einheimischen Tadschiken, Usbeken und Hasaras seitdem drangsalieren, nicht zuletzt weil sie sie als minderwertig betrachten. Sie nahmen ihnen das Land und damit ihre Existenzgrundlage weg. Unter der Herrschaft der Taliban waren es zudem die Paschtunen um Kundus herum, die das Verbrecherregime mit ungebremster Brutalität durchsetzen halfen. Dass sie immer noch mit den Taliban sympathisieren, ist kein Geheimnis.

In einer anderen Geschichte versucht der Autor zu beweisen, dass der Journalistik-Student Pervez Kambaksh aus Mazar-i-Scharif gar keine den Islam beleidigenden Artikel verbreitet hatte und nur aus persönlicher Rache verurteilt worden war. Dieses Engagement in allen Ehren, aber als Zeugen kann Thörner nur den Bruder und die Freunde des Verurteilten aufbieten. Interessanter wäre es gewesen zu lesen, wie die Studenten und andere normale Afghanen in den Provinzstädten leben.

Auch seine zweite vermeintliche Enthüllung ist keine: Thörner schreibt, dass die Amerikaner ihre Operationen im Schutz der regionalen Wiederaufbauteams durchführen, darunter im von der Bundeswehr kontrollierten Norden des Landes. Dabei war bereits Ende 2001 die Operation Enduring Freedom auf ganz Afghanistan ausgedehnt worden. Besonders schlecht kommen bei Thörner die deutschen Soldaten weg: zuerst beschießen sie sein Taxi mit Signalmunition, dann nehmen die Fallschirmjäger ihn mit auf Patrouille. Als Dank hat er für ihre Sicherheitsvorkehrungen nur Spott übrig.

Zwar erkennt der Journalist, dass Gouverneur Mohammed Atta eine Hose "mit Stresemann-Muster" trägt, das Wichtigste übersieht er jedoch: Afghanistan sehnt sich nach Frieden. Die ausländischen Truppen versuchen wenigstens, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.

Marc Thörner:

Afghanistan Code. Eine Reportage über Krieg, Fundamentalismus und Demokratie.

Edition Nautilus, Hamburg 2010; 155 S., 16 €