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PARLAMENTS-STIPENDIUM 114 Studenten lernen fünf Monate lang die Arbeit im Bundestag kennen

22.03.2010
2023-08-30T11:25:51.7200Z
4 Min

Aus der Ruhe bringt Jelena Vasic so schnell nichts. Sie weiß, was sie kann. Als die junge Serbin am 8. Dezember 2009 in der deutschen Botschaft in Belgrad detailliert erklären soll, warum der Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Josef Jung zurücktreten musste, ist das für sie ein leichtes. Auch die Frage danach, wie Überhangmandate zustande kommen - eine einfache Übung. "Nein, das war kein Problem", erinnert sich die 23-Jährige in fließendem Deutsch.

Die Studentin der Internationalen Beziehungen kennt sich in der deutschen Politik aus. In ihrer Heimatstadt Belgrad ist sie in der Lokalpolitik aktiv: Sie sensibilisiert kleine Kinder für den Umweltschutz und versucht im Rathaus, das örtliche Petitionswesen zu stärken.

Mit diesem Engagement und ihrem Interesse an europäischer Politik hat Vasic den Abgeordneten der Linksfraktion, Alexander Ulrich, vor knapp vier Monaten überzeugt, als er in Serbien nach geeigneten Kandidaten für das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS) des Bundestages gesucht hat. Seit Anfang März arbeitet sie in seinem Büro im Bundestag.

Insgesamt nehmen in diesem Jahr 114 junge Leute aus 27 Ländern am IPS-Programm teil. Von Anfang März bis Ende Juli heißt das neben der Mitarbeit in den Büros: Reisen in den Wahlkreis, Seminare an einer der drei Berliner Universitäten und eine Facharbeit über ein politisches Thema. Die Stipendiaten sollen die parlamentarischen Abläufe im Bundestag und die deutsche Politik kennenlernen. Was fast ein wenig passiv klingt, sieht im Arbeitsalltag ganz anders aus.

Zum Beispiel bei Matthew Spafford. Der junge Amerikaner arbeitet im Büro von Johannes Kahrs (SPD) und recherchiert für ihn zum Thema Internet- und Medienpolitik. "Du sitzt hier nicht nur daneben, du bist richtig dabei", sagt er und lächelt. Spafford freut sich, dass die Sonne scheint. Er kommt aus Los Angeles, hat in Santa Barbara "direkt am Pazifik studiert". Die ersten beiden Märzwochen mit deutschem Winterwetter waren hart für ihn: "Wenn ich mit meinen Freunden telefoniert habe, und sie gesagt haben ,Hey Matt, wir gehen surfen', konnte ich nur antworten: ,Viel Spaß, Leute. Hier schneit's.'"

Es ist nicht Spaffords erster Berliner Winter. Schon als Student hat er ein Jahr in der Hauptstadt gelebt, Germanistik und Global and International Studies an der Humboldt-Universität studiert. Er interessiert sich für internationale Beziehungen:"In Zeiten der Globalisierung ist es doch wichtig, die Beziehungen zwischen den Staaten gut zu pflegen." Die Arbeit im Bundestag ist für ihn deshalb ein wichtiger Schritt auf seinem Weg in die US-Politik.

Genau dafür ist das IPS-Programm gedacht. Das betonte auch Gerda Hasselfeldt (CSU), Vizepräsidentin des Bundestages, bei der offiziellen Begrüßung der diesjährigen Stipendiaten am 18. März in der Humboldt-Universität. Neben den USA und Frankreich nehmen vor allem osteuropäische Länder am IPS-Programm teil, "in denen die Demokratie manchmal noch etwas anders funktioniert", formulierte es Hasselfeldt vorsichtig. Ziel des Programms sei es deshalb auch, die "wertvollen Erfahrungen, die Sie in Deutschland sammeln, in Ihre Heimatländer mitzunehmen".

Die Zeit in Berlin sollten die Stipendiaten nutzen, um untereinander Kontakte zu knüpfen, ermunterte Hasselfeldt ihre Zuhörer, um "nachhaltig zu netzwerken".

Darauf verwies auch Wolfgang Börnsen (CDU), Berichterstatter für die Internationalen Austauschprogramme des Bundestages. Und im Senatssaal der Humboldt-Universität konnte er auch gleich ein Beispiel für die vermittelnde Funktion des IPS präsentieren. Die geladenen Botschafter von Aserbaidschan und Armenien - beide Länder streiten um die Region Bergkarabach - hatten nebeneinander Platz genommen. "Das ist ein tolles Beispiel dafür, wie man diplomatisch miteinander verkehrt", freute sich Börnsen.

Die Rache des Fußballgotts

Während der Feier stellten die Stipendiaten ihre Länder kurz vor - nicht immer bierernst. Die Gruppe aus Aserbaidschan erinnerte daran, dass es ein Linienrichter aus ihrem Land war, der 1966 den Ball beim legendären Wembley-Tor der Briten hinter der Linie gesehen hatte. "Vielleicht mag uns Deutschland deshalb nicht. Aber der Fußballgott hat sich gerächt", sagte ein Stipendiat augenzwinkernd, "jetzt haben wir Berti Vogts als Trainer." Die Polen demonstrierten bei der Präsentation ihres Landes Selbstbewusstsein. "Wissen Sie, was Kopernikus, Johannes Paul II, und Frederic Chopin gemeinsam haben?", fragten sie die Gäste. "Sie kommen aus Polen." Dann hielten sie Schilder mit ihren eigenen Namen hoch. "Wissen Sie, was diese Namen gemeinsam haben? In 50 Jahren werden IPSler sie hochhalten und sagen: Das waren polnische Präsidenten und Ministerpräsidenten."

Einer dieser potenziellen Spitzenpolitiker ist Aleksander Gowin. "Es ist wohl eher ungewöhnlich, dass sich ein Kunsthistoriker für das Stipendium bewirbt", sagt der 25-Jährige, der in Warschau und Freiburg Kunstgeschichte studiert hat. Wenn er über seine Motivation spricht, ist es gar nicht ungewöhnlich, eher plausibel. "Kultur ist ein wichtiger Faktor für gute internationale Beziehungen", sagt Gowin, der im Abgeordnetenbüro von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) arbeitet. "Für dieses Ziel brauchen wir engagierte Leute." Solche, wie die IPS-Stipendiaten.