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Götter auf Reisen

MUSEUMSLOGISTIK Nur wenige Spezialisten können das kulturelle Erbe der Menschheit sicher transportieren

12.04.2010
2023-08-30T11:25:53.7200Z
5 Min

Was haben ein 100-Millionen-Dollar-Gemälde von Picasso, die lebensgroße Terrakotta-Armee aus China und die Krönungsgewänder von August dem Starken gemeinsam? Sie sind einzigartige Zeugnisse menschlicher Kunst und werden deshalb gerne in Ausstellungen gezeigt. Doch dazu müssen sie oft reisen: Von der Ausgrabung in Ägypten ins Museum, vom Louvre in Paris über den Atlantik in die USA, aus einem tibeti-schen Kloster 12.000 Kilometer in die deutsche Provinz oder auch nur aus den Keller-Depots eines Museums ein paar Stockwerke höher ins Blickfeld der Öffentlichkeit. "Weil Kunst einzigartig, nicht normiert und unersetzlich ist, ist ein solcher Transport oft Pionierarbeit", sagt Hans Ewald Schneider, der in vierter Generation Chef von mehr als 500 Angestellten der Firma Hasenkamp ist. Das Kölner Familienunternehmen ist der europäische Marktführer für Museumslogistik und setzt im Jahr rund 100 Millionen Euro mit dem Transport von Kunst um.

Langer Vorlauf

Längst steckt hinter Museumslogistik weit mehr als die Beförderung von Punkt A nach Punkt B. Bisweilen sind mehrere Jahre Vorlaufzeit erforderlich, bis ein problematisches Objekt an seinem Bestimmungsort, eine komplette Ausstellung am Ziel angekommen ist. Seit vier Jahren etwa arbeitet ein zwölfköpfiges Team im Mannheimer Reiss-Museum an der Vorbereitung der Schau "Die Staufer und Italien", die am 19. September eröffnet wird. Alfried Wieczorek, der Generaldirektor des Museums, hat selbst 190 der 196 Leihgeber besucht, darunter das British Museum in London oder das Metropolitan Museum of Art in New York, aber auch Kirchen, Klöster und Museen in Palermo, Neapel, Bari, Messina oder Wien. 196 Verträge wurden abgeschlossen, Versicherungen für jedes Exponat abgeschlossen.

Fragiles Büßergewand

Dass die Objekte aus der Stauferzeit stammen, also 800 bis 900 Jahre alt und entsprechend fragil sind, bringt nun wieder die Spezialisten von Hasenkamp auf den Plan. Für den Transport des Büßergewandes der Heiligen Elisabeth von Thüringen etwa, angeblich ein Geschenk von Franz von Assisi, werden die Museumslogistiker aus Köln eine eigene Figurine samt passender lichtgeschützter Kiste bauen, sagt Wieczorek, damit "sich Vorder- und Rückseite des Gewandes auf keinen Fall berühren". Die wertvolle Fracht wird dann komplett erschütterungsfrei in speziell gefederten und gesicherten LKW aus einer Kirche im Rheingau nach Mannheim gebracht, dort in Gegenwart des Leihgebers von speziell geschulten Angestellten ausgepackt.

Bei größeren Exponaten wie einem 3,7 Tonnen schweren Sarkophag, der aus Neapel nach Mannheim geholt wird, kann auch schon mal ein 3D-Scanning vor dem Transport nötig sein. "Nur so können wir definitiv herausfinden", erklärt Schneider, "an welchen Stellen man ansetzen kann, um das Exponat zu bewegen." Bereits kleinste Masseverschiebungen führten schnell zu Rissen oder Abplatzungen - Schäden, die nicht mehr gut zu machen sind. Zwar seien alle Exponate hoch versichert. Dennoch, sagt der Unternehmer, laute die Devise für einen Museumslogistiker, der seinen Ruf nicht verlieren wolle: "Jede erbrachte Leistung unter 100 Prozent ist eine Katastrophe." Anders als in anderen Bereichen der Logistik sei nicht die Schnelligkeit das wichtigste Ziel, sondern die fehlerfreie Abwicklung. In Kürze etwa startet das Unternehmen die Vorbereitungen für den Transport von zwölf Tonnen schweren Kolossalstatuen - Teil der sagenumwobenen, versunkenen Städte Alexandria und Herakleion, die der französische Abenteurer und Taucher Frank Goddio im Meer vor der ägyptischen Küste entdeckt hat.

Von Mai an sind die steinernen Riesen bereits in Philadelphia und dort Teil der Ausstellung "Cleopatra - Queen oft the nile". Schon im Jahr 2006 hatte die Firma Geis SDV, die zwar nicht auf Kunsttransporte, jedoch auf komplexe Schwergutladungen spezialisiert ist, in Berlin 37.000 Kilo Goddio-Funde für die Ausstellung "Ägyptens versunkene Schätze" entladen. Für den Flug aus Ägypten nach Deutschland war sogar ein Airbus Beluga, das gewaltigste Frachtflugzeug der Welt, nötig. Denn nur so konnte zum Beispiel die 5,40 Meter hohe, tonnenschwere Granitstatue des Gottes Hapi aufrecht und sicher verzurrt ihren Standort wechseln. Auch bei der Bahn-Tochter DB SchenkerArt, nach Hasenkamp zweitgrößter Kunstlogistiker in Deutschland, weiß man, dass "kein Transportgut so viel Expertenwissen und Fingerspitzengefühl verlangt wie Kunst". Gerade hat das Unternehmen die Gemälde des Renaissance-Genies Sandro Botticelli aus der vielbe-suchten Ausstellung im Frankfurter Städel wieder per Flieger und Spezial-Lkw in die USA und nach Italien gebracht, in Klimakisten selbstverständlich.

Bisweilen werden Aufträge sogar für die Spezialisten zu großen Herausforderungen. Schneider erinnert sich beispielsweise an den Transport eines 3.500 Jahre alten Pfeils und Bogens aus dem Grab von Pharao Tutanchamun in die USA oder an die Verlagerung einer Fett-Inszenierung von Joseph Beuys: "Da gibt es einfach keine Standards." DB SchenkerArt wiederum sah sich besonders gefordert, als 2008 die Privatsammlung des Verlegers Peter Tamm mit rund einer Million Exponaten ins Internationale Maritime Museum Hamburg umzog. Hier waren Maßarbeit und High-Tech gefragt: Denn zur Sammlung zählten auch zwei U-Boote, deren Gewicht von elf Tonnen der Fußweg nicht ausgehalten hätte. So wurden die Boote schließlich mit einem Spezial-Kran auf dem Luftweg Zentimeter für Zentimeter an ihren Platz befördert.

Der Schutz des Objekts habe dabei immer oberste Priorität, bekräftigt Holger Schmeer. Dies schließt für den Chef der Museumslogistik bei DB Schenker auch ein, dass Fahrzeuge und Lagerräume mit ausgeklügelter Sicherheitstechnik geschützt sind. Gleichzeitig nutzen auch die Kunstspediteure eine Technik, die überall in der Logistik für revolutionäre Veränderungen sorgen soll: RFID. Die Abkürzung steht für "Radio Frequency Identification" - eine Methode zur drahtlo-sen Ortung von Gegenständen mit Hilfe elektromagnetischer Hochfrequenzfelder. Dabei wird jedes Objekt mit einem Funkchip versehen, der Informationen über das Exponat, sein Ziel, bisweilen auch über seinen Zustand (Temperatur, Feuchtigkeitsgehalt) speichert. Das Unternehmen kann nun mit Hilfe eines Lesegeräts drahtlos zu jedem Zeitpunkt Standort und Zustand aller Objekte abrufen, ohne Verpackungen öffnen zu müssen, die Daten auch an Leihgeber und Empfänger weiterleiten. Damit ist der Transport wertvoller Fracht lückenlos nachvollziehbar und dokumentierbar.

Vertrauliche Routen

Zum Standard zählen bei den großen Kunstlogistikern auch, dass Fahrzeuge und LKW speziell gesichert oder GPS-überwacht sind, die Routen streng vertraulich bleiben. Wenn ein VIC - das steht für "very important cargo" - in einem La-ger zwischengelagert wird, ist nicht nur Alarmsicherung mit Direktweiterschaltung zu Polizei und Feuerwehr selbstverständlich, sondern auch Entladungsschleusen zum Schutz vor Witterungseinflüssen und unbefugtem Zutritt.

Das alles hat seinen Preis: Ein einzelner Transport, sagt Museumschef Wieczorek, könne leicht 30.000 Euro und mehr kosten. Doch auch High-Tech-Logistik stößt an ihre Grenzen: Gerne hätten die Macher der Stauferschau auch die mittelalterlichen Reichskleinodien gezeigt, etwa Kaiserkrone, Zepter oder Krönungsmantel, die in der Wiener Schatzkammer gehütet werden. "Jeder weiß jedoch, dass man sie dort grundsätzlich nicht für transportabel hält", heißt es im Reiss-Museum. "Da fragt man schon gar nicht mehr an."

Die Autorin arbeitet als

freie Journalistin in Berlin