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Wenn das Paket klingelt...

TRANSPORTSYSTEME DER ZUKUNFT Intelligente Post sucht sich selbst den schnellsten und sichersten Weg zum Empfänger

12.04.2010
2023-08-30T11:25:53.7200Z
6 Min

Ein Tag im Jahr 2030: Nicht der nette Paketbote von DHL, UPS oder einem anderen Logistiker klingelt - nein, es ist das Paket selbst, das seine Ankunft vermeldet, via Sprachnachricht auf dem Smartphone des Empfängers oder auf der zentralen Steuereinheit zu Hause und im Büro. Selbstständig hat es innerhalb eines engmaschigen Netzwerks des Postdienstleisters seinen Weg gefunden, dabei geschickt Staus umschifft und vorab günstige Wege, Lieferzeiten und Lieferorte erkundet. In Echtzeit haben der Absender unseres Paketes, der Logistiker und der Empfänger jedes Detail über Transport, Zustand und Ankunft erfahren. Was heute wie Science Fiction klingt, könnte bereits in ein, zwei Dekaden tägliche Realität sein.

Permanent online

Vom Jahr 2020 an sei die Menschheit permanent online, prognostiziert die von der Deutschen Post in Auftrag gegebenen Delphi-Studie "Delivering tomorrow", zu Deutsch: "Die Zustellung von mon morgen". Drei Milliarden Menschen wickeln ihre Geschäfte ausschließlich über das Netz ab, die Hälfte aller Käufe und Verkäufe findet nur noch online statt, eCommerce ist allgegenwärtig. Derzeit ist der Online-Handel davon jedoch noch weit entfernt. Nach Recherchen der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung haben deutsche Verbraucher im vergangenen Jahr Waren für 15,5 Milliarden Euro online gekauft. Das waren zwar knapp 140 Prozent mehr als noch 2003. Doch immer noch werden damit mehr als 90 Prozent aller Einzelhandelsumsätze außerhalb des weltweiten Netzes gemacht.

Wird die in der Studie skizzierte Zukunft Realität, dann, so eine These der rund 900 weltweit befragten Experten aus Industrie und Wissenschaft, könnte die Transportlo-gistik zu einer der Schlüsselbranchen überhaupt werden. Aktuell transportiert etwa die Deutsche Post jeden Tag rund drei Millionen Päckchen und Pakete und 70 Millionen Briefe. UPS stellte im vergangenen Jahr weltweit 3,8 Milliarden Pakete und Dokumente zu. Doch wer heute noch vorrangig Pakete und Briefe befördert, könnte nach 2020 zum Systemanbieter werden: Er muss den Spagat zwischen exponentiell steigendem Beförderungsvolumen und Klimaschutz schaffen, könnte dabei zum Trendsetter eines "Green business" werden, das laut Studie in zehn Jahren, nach einem Jahrzehnt der Katastrophen, Überschwemmungen und Dürren, als selbstverständlich gilt.

Kunde wird anspruchsvoller

Mehr noch: Paketlogistiker, glauben die Fachleute, werden sich in Produktions-Prozesse einklinken, Verkäufern und Käufern umfangreiche Beratungsleistungen verkaufen, sich um Verpackungs-, Entsorgungs- und Sicherheitsfragen kümmern oder auch ausgefeiltes Risikomanagement sicherstellen, beispielsweise, um lückenlose Lieferungen selbst im Falle von Seuchen oder Katastrophen sicherstellen zu können. Überleben werde ein Transportunternehmen, sagen fast 90 Prozent der befragten Experten auch, künftig auch nur, wenn es internationale Allianzen knüpfe und mit Konkurrenten kooperiere, zum Beispiel beim Aufbau neuer Schienennetze zwischen Asien und Europa.

Der Kunde wiederum werde immer anspruchsvoller: Er beeinflusse nicht nur Ort und Zeit einer Lieferung, sondern verlange dies alles auch in kürzester Zeit, transparent und individualisiert. Wer entsprechend zahlt, bekommt indes schon heute ein Maximum an Geschwindigkeit: So bieten nahezu alle Anbieter Express-Logistik an, die selbst eine Zustellung am gleichen Tag erlaubt. Wer zum Beispiel unbedingt am gleichen Tag 20 Kilogramm Maschinenersatzteile von Frankfurt nach Moskau schaffen will: Für gut 2.800 Euro kein Problem. Vertragspapiere, die in Hamburg sind, aber in München benötigt werden, schafft die Post am gleichen Tag für 250 Euro an die Isar.

"Web-affine" Logistik nennen es die Paket- und Briefbeförderer wie Deutsche Post/DHL, UPS, Hermes oder General Logistics Systems (GLS): Der Verkäufer bietet 24 Stunden an, der Käufer fragt 24 Stunden nach, der Logistiker verarbeitet rund um die Uhr. Bei der Post/DHL muss der Privatkunde außerhalb der normalen Öffnungszeiten von Postämtern und Paketshops in Tankstellen oder Supermärkten hier jedoch auf Packstationen zurückgreifen: 2.500 solcher automatisierten Paket-Terminals, an denen Kunden Pakete rund um die Uhr abholen und versenden können, gibt es bundesweit bisher, bis 2011 sollen weitere 150 folgen. Der Hintergrund: Vor allem die letzte Meile zum Kunden ist für die Paketlogistiker personalintensiv und teuer. Weil sich gesellschaftliche Strukturen verändern, es zum Beispiel immer mehr Singlehaushalte gibt, treffen Zusteller immer häufiger niemanden an. Auch deshalb ist die Lieferung zum Privatkunden viermal teurer als jene zum Geschäftskunden, klagt die DHL, die Paket-sparte der Deutschen Post. 90.000 Zusteller beschäftigt allein der europäische Logistik-Marktführer Post/DHL inzwischen.

Boten überflüssig?

Geht es nach den Zukunftsforschern, dann sind diese Boten irgendwann vielleicht überflüssig - oder zumindest teilweise. RFID (Radio Frequency Identification) lautet dabei das Zauberwort, das in Zukunft, ähnlich den Datentransfers auf digitalen Highways, ein "Internet der Dinge" ermöglichen soll. Grob vereinfacht funktioniert dies so: Alle Waren sind mit einem Funkchip ausgestattet, der künftig nicht nur passiv Daten über den Transportprozess und den Zustand des Objekts an alle Beteiligten weiterleitet, sondern aktiv den Prozess selbst steuert und beeinflusst, mit anderen Waren, Netzwerken und Servern verbunden ist. Das Paket bekommt damit quasi eine eigene Homepage und kann wie diese auf verschiedenen Wegen zu verschiedenen Nutzern gelangen. Post wird intelligent, steuert sich selbsttätig zum Ziel. Ob das Ziel beim Kunden vor Ort oder aber bei einem PUDO liegt, einem "Pick-up-and drop-off-point" oder automatisierten Rund-um-die-Uhr-Postamt, muss heute noch offen bleiben.

Auch der Paketversender Hermes setzt auf Alternativen zur Haustürzustellung: Vor einem Jahr hat das Unternehmen, das nach eigenen Angaben 22 Prozent am europäischen Paketmarkt hält, das Produkt "shop2shop" eingeführt: Kunden können dabei kleinere Pakete zum vergünstigten Preis an einen Paketshop versenden statt an eine Privatadresse - und der Empfänger muss das letzte Stück selbst zurücklegen. Allerdings weist Hermes gerne darauf hin, dass der Kunde zumindest in großen Städten nie weiter als 600 Meter von einem Paketshop entfernt sei. Dennoch: Die Prognose in der Delphi-Studie ist eindeutig, was den "Faktor Mensch" betrifft: 81 Prozent der befragten Experten halten es für möglich, wahrscheinlich oder gar sicher, dass Kunden den menschlichen Ansprechpartner verlangen - und automatisierte Shops, Computerstimmen oder Roboter ablehnen.

Mauerblümchen Brief

Während die Sparten Fracht und Paket vom steigenden Online-Handel profitieren könnten, wird der Brief zum Mauerblümchen. Private Briefe fallen immer häufiger der Mail zum Opfer, auch Firmen setzen aufs Netz. Dort sucht die Deutsche Post ihr Heil: Ab Sommer wird es den "Internet-Brief" geben, der eine "vertrauliche, verbindliche und verlässliche papierlose Kommunikation" zwischen Privatpersonen und Firmen ermöglichen soll.

Kooperieren wird die Post dabei zunächst mit dem ADAC. Der Online-Brief ist gleichsam ein Zwitter aus Email und herkömmlichem Schreiben, das zwar via Web versandt wird, aber nur zwischen eindeutig identifizierten Personen, hochverschlüsselt und natürlich günstiger als reale Briefe. Übrigens: Lehnt ein Kunde den virtuellen Brief ab, druckt ihn die Post aus und stellt ihn normal per Briefträger zu.

Problem mit Datenmengen

Doch nicht alle sehen die Post- und Logistikwelt, die sich die Anbieter erträumen und die viele Experten für durchaus wahrscheinlich halten, nur als segensreich an. Probleme könnten sich aus den immer gewaltigeren Datenmengen ergeben, die Post-Logistiker im künftigen "Anytime anywhere communication and computing"-Zeitalter (AACC) managen müssen. So benötigt UPS, einer der weltweit größten Anbieter von Paket- und Expressdienstleistungen, schon jetzt Unix-Speicher mit über acht Petabyte Leistung, das sind unvorstellbare 8.000.000 Gigabyte. Hinzu kommen noch 15 Großrechner, die zusammen mehr als 52 Milliarden Instruktionen pro Sekunde (MIPS) verarbeiten können.

Die Wirtschaft zeigt sich im Panel dennoch gerüstet und setzt auf technologische Sprünge und Personal mit detailliertem IT-Wissen. Dass auch Hackerangriffe verheerende Folgen hätten, dass der gläserne Kunde immer realer wird, erkennt jedoch auch die Mehrheit der Logistik-Fachleute der Delphi-Studie als reales Risiko. 63 Prozent der Panel-Teilnehmer glauben jedoch, dass der Kunde bereit sein werde, seine privaten Daten weiterzugeben, um von schneller Belieferung zu profitieren.

Peter Neitzke, Physiker und Leiter des Ecolog-Instituts,hält es für sehr problematisch, wie die Zugriffsrechte auf das Produktgedächtnis der Logistikkette geregelt werden könnten. Denn wenn Kaufaktivitäten über RFID-Chips erkennbar werden, könnten Logistiker ganz einfach Konsumentenprofile erstellen.