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Das Meisterstück der Politik-Logistik

BUNDESTAG Im Sommer 1999 zog das deutsche Parlament von Bonn nach Berlin und blieb dabei arbeitsfähig

12.04.2010
2023-08-30T11:25:53.7200Z
2 Min

Der Blick aus dem Büro geht weit über das Parlamentsviertel. Roger Cloes genießt ihn jeden Tag. Kaum jemand kennt die Parlamentsbauten so gut wie er. Vor knapp elf Jahren organisierte der promovierte Volkswirt als Leiter der Projektgruppe "Steuerung Umzug Berlin" den Jahrhundert-Transfer des Bundestages vom Rhein an die Spree - ein Meisterstück der Politik-Logistik.

Die ganze Welt schaute damals zu, im Sommer 1999: Wie schaffen es die Deutschen, ein ganzes Parlament mit insgesamt 5.299Arbeitsplätzen und rund 150.000 Möbelstücken, 38 Kilometer Bücher und elf Kilometer Akten innerhalb von vier Wochen umzuziehen? Und dabei die Funktionsfähigkeit des Bundestages - immerhin das höchste Verfassungsorgan - zumindest eingeschränkt zu wahren?

50.000 Kubikmeter Möbel

"Es war schon ein hartes Stück Arbeit", gibt Cloes heute zu. "Aber es hat auch Freude gemacht. Mein gesamtes Team war hoch motiviert." Die Aufgabe war gigantisch: Aus 81 verstreuten Liegenschaften in Bonn mussten 50.000 Kubikmeter Mobiliar nach Berlin geschafft und dort wiederum auf 18 Gebäude verteilt werden. Zu transportieren waren 50.200 Bücherkartons, 1.184 Fernseher, 837 Kühlschränke, 13.835 Stühle und 584 Tresore mit sicherheitsrelevatem Inhalt. Vom Umzug betroffen waren 669 Abgeordnete, 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten, 854 Fraktionsmitarbeiter und 2.276 Verwaltungsangehörige.

Erschwert wurde der Umzug dadurch, dass an vielen Liegenschaften in Berlin noch gebaut wurde und man dadurch häufig improvisieren musste. Wie inmitten eines Ameisenhaufens, der immer in Bewegung sei, habe er sich manchmal gefühlt, erinnert sich Roger Cloes. Und: "Die eigentliche Brisanz der Möbelrochade bestand darin, Bürokonfigurationen auseinanderzupflücken und wieder zusammenzusetzen."

Akribisch wurde - mit Unterstütztung von "Umzugspapst" Tilman Heyde, der den Flughafen München in nur einer Nacht von München-Riem nach Erding umgezogen hatte - das gesamte Umzugsgut inventarisiert. Jedes Möbelstück vom Drehstuhl bis zum Wandregal bekam einen Aufkleber mit Pin-Code. Über eine eigene Umzugsdatenbank konnten Cloes und seine Helfer so jederzeit abrufen, welches Möbel in welchen Raum in welchem Stockwerk nach Berlin gehört oder aber in Bonn verbleiben soll. Hilfreich war auch, dass in jeder Verwaltungseinheit ein Umzugsbeauftragter persönlich engen Kontakt mit Cloes Projektgruppe halten musste.

Die Vorarbeiten und eine genaue, auf Tage und Stunden abgestimmte Terminplanung waren erfolgreich: Sowohl der eigentliche Umzug, der per Lkw zum Kölner Güterbahnhof Eifeltor und nachts auf dem Schienenweg zum Lehrter Bahnhof in Berlin ging, als auch die Verteilung im neuen Parlamentsviertel verliefen ohne große Probleme. "Schäden und Verluste hielten sich in engen Grenzen", erinnert sich Cloes. Selbst ein verloren gemeldeter Umzugskarton mit wichtigen Akten fand sich wieder: Er war als Türstopper zweckentfremdet worden.

Dass alles so gut klappte, hat aus der Sicht von Projektleiter Cloes nicht nur mit der detaillierten, zum Teil Jahre langen logistischen Vorbereitung zu tun. "Beflügelt hat uns auch die Aufbruchstimmung nach dem Mauerfall. Wir wollten an der Einheit einfach mitwirken."