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Programmierte Kontroverse

gorleben Untersuchungsausschuss prüft die frühere Entscheidung für ein mögliches Endlager

26.04.2010
2023-08-30T11:25:54.7200Z
4 Min

Plötzlich ist Gorleben ganz nah. Rund 225 Kilometer liegen zwischen dem niedersächischen Dorf und der Hauptstadt. Dennoch diskutiert das politische Berlin über den 650-Seelen-Ort, als läge er gleich neben dem Reichstag: "Gorleben" heißt der erste Bundestags-Untersuchungsausschuss in dieser Wahlperiode. In ihm werden womöglich Zeugen auftreten wie Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Bündnis90/Grüne). In ihm geht es um nichts weniger als um die Frage, ob die Politik bei der Suche nach einem Endlager für radioaktiven Müll nach der für den Menschen besten Lösung gesucht hat oder nicht. Politischen Sprengstoff birgt dieser Ausschuss, der am vergangenen Donnerstag seine Arbeit aufgenommen hat, allemal.

Die im Einsetzungsantrag teils untergliederten 26 Fragen verlangen Aufschluss darüber, ob die Entscheidung aus dem Jahr 1983 für den Standort Gorleben nach dem aktuellen Stand der Technik getroffen wurde oder ob es politische Vorfestlegungen gegeben hat. Außerdem sollen die Ausschussmitglieder klären, inwieweit die Bundesregierung wissenschaftliche Gutachten beeinflusst, dem Parlament oder der Öffentlichkeit Informationen vorenthalten oder falsche Angaben gemacht hat. Schwere Vorwürfe stehen im Raum.

Und so hat Unions-Obmann Reinhard Grindel (CDU) schon im Vorfeld SPD und Grünen des politischen Taktierens beschuldigt. Er kritisierte, die beiden Parteien wollten im Ausschuss bekannte Sachverhalte skandalisieren. Damit solle die aktuelle politische Debatte über die Verlängerung von Laufzeiten für Atomkraftwerke und die Erkundung des Salzstocks Gorleben überhöht werden. Dagegen sagte Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion: "Die Gorleben-Historie ist ein Sumpf, der trocken gelegt werden muss."

Doch unabhängig von geschichtlicher Aufarbeitung überschatten aktuelle Debatten über die Nutzung der Kernkraft und die weitergehende Suche nach einem Endlager die Ausschussarbeit. Während die Opposition für letzteres eine breit angelegte Inspektion einfordert, welche den "besten" Ort aussuchen soll, will die Bundesregierung weiterhin prüfen lassen, ob Gorleben "geeignet" ist. Und gerade die Grünen wollen den Ausschuss nutzen, um sich als kernkraftkritisch zu profilieren. "Wir werden mehr Drive reinkriegen in die Debatte", prognostiziert etwa die niedersächsische Grünen-Abgeordnete Dorothea Steiner.

Problem der Endlagerung

Schließlich fordert die Opposition einen Stopp der Salzstockerkundungen in Gorleben, während der Ausschuss arbeitet - also bis Ende 2011. Erst vor wenigen Wochen hat sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) entschieden, den zehnjährigen Erkundungsstopp in Gorleben aufzuheben. "Wir dürfen das Problem der Endlagerung radioaktiven Atommülls nicht den nachfolgenden Generationen vor die Füße werfen", begründete er seinen Vorstoß. "Das ist die größtmögliche Belastung für die Glaubwürdigkeit des Ausschusses", kontert Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament.

Gorleben als möglicher Standort spielt auch eine Rolle bei der Festlegung von Laufzeiten für Reaktoren. Das Atomgesetz fordert schließlich einen "Entsorgungsnachweis" für deren Verlängerung. Auf eine Anfrage der Grünen hin hat die Regierung in rund 90 Genehmigungsfällen für Atomkraftwerke auf Gorleben Bezug genommen. Doch bleibt die Hauptaufgabe des Ausschusses das Entschlüsseln historischer Entscheidungsprozesse; kein leichter Job angesichts einer Endlager-Debatte, die seit Jahrzehnten teils sehr erregt geführt wird. Sie geht zurück in die 1970er Jahre. Als die Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft Kewa im Auftrag des Bundes einen Standort suchte, empfahl sie drei niedersächsische Orte - Gorleben war nicht darunter. Auch der TÜV verglich damals acht Standorte, Nieby in Schleswig-Holstein erhielt die meisten Punkte. Gorleben stand nicht auf dessen Rangliste - bis ein niedersächsischer Beamter den Standort handschriftlich ergänzte. Dann sprach sich der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) wenige Wochen später für Gorleben aus - das Wendland war schwach besiedelt, lag dicht an der Grenze zur DDR. Für das Fehlen Gorlebens auf den ersten Suchlisten macht CDU-Obmann Grindel einen einfachen Grund aus: "Gorleben konnte Mitte der Siebziger Jahre als möglicher Standort für ein Endlager nicht in den Dokumenten auftauchen, weil der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt zur Auflage gemacht hatte, dass das Lager nicht im Zonenrandgebiet errichtet werden sollte", sagte er dem "Rheinischen Merkur, "das waren politische, keine fachlichen Bedenken."

Bemühen um Aufklärung

1983 dann sollte die zuständige Physikalische-Technische Bundesanstalt (PTB) ein Gutachten zu Gorleben erstellen. Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" drängten die Ministerien für Forschung und für Inneres unter den Ministern Heinz Riesenhuber (CDU) und Friedrich Zimmermann (CSU) die Bundesanstalt zum Umschreiben von Passagen, die Sicherheitsbedenken äußerten. "Ich gehe davon aus, dass es viele Kontroversen geben wird", sagte die Ausschussvorsitzende Maria Flachsbarth (CDU). Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erinnerte schließlich während der ersten Sitzung die Mitglieder daran, dass ein Untersuchungsausschuss nicht nur der Bestätigung der Einschätzung diene, die man bereits bei der konstituierenden Sitzung gehabt habe. "Vielmehr geht es um das ernsthafte Bemühen um Aufklären von Sachverhalten." Die nächste Ausschussberatung findet am 6. Mai statt.