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Eingriff ins Erbgut

BiotechNologie Darf der Mensch alles, was er kann, auch tun? Der Medizinrechtler und Bioethiker Jochen Taupitz fordert mehr Gelassenheit im Umgang mit neuen…

26.04.2010
2023-08-30T11:25:54.7200Z
4 Min

Mensch-Tier-Mischwesen, Implantation von menschlichen Hirnzellen in Tiergehirne, der Transfer menschlicher Zellkerne in entkernte tierische Eizellen. Es klingt nach Science Fiction, worüber Jochen Taupitz, Mitglied des Deutschen Ethikrates, am 15. April bei einer Informationsveranstaltung des Bundestages gesprochen hat. Ist es aber nicht - zumindest nicht in den Petrischalen wissenschaftlicher Labore.

Wo sind die Grenzen?

Schon seit Jahrzehnten wird geforscht, tierische und menschliche Gene, Zellen oder Gewebe gemischt. Die Experimente sollen Antworten darauf geben, ob Menschen tierisches Gewebe oder Organe transplantiert werden können. Gleichzeitig werfen die Möglichkeiten der Biotechnologie gewichtige Fragen auf. Das verdeutlicht Taupitz am Beispiel der so genannten Keimbahntherapie, einer genetischen Veränderung an Ei- und Samenzellen, deren Ziel es ist, Erbkrankheiten zu verhindern. Umstritten - und in Deutschland wie den meisten Ländern verboten - ist der Eingriff, weil die Erbinformation dauerhaft künstlich verändert und an alle nachfolgende Generationen weitergegeben würde. Dennoch sei die Therapie ein gutes Beispiel dafür, dass "im Licht der Verantwortung für zukünftige Generationen Handeln und Unterlassen zu bewerten und Risiken und Chancen gegeneinander abzuwägen" seien, befindet Tauptiz. Gegen sie könne man einwenden, dass die "Tragweite des Eingriffs unsicher" sei und die Gefahr eines schleichenden Übergangs von einer rein präventiven Eugenik hin zu einer bewusst selektiven Menschenzüchtung bestehe. Andererseits führe eine Zulassung der Keimbahntherapie zu Heilungszwecken nicht automatisch dazu, dass die befürchtete Menschenzüchtung zugelassen werde. Zudem müsse die Frage gestellt werden, ob "nicht gerade umgekehrt die wissentliche Weitergabe einer Erbkrankheit an die Nachkommen gegen deren Menschenwürde verstoßen, wenn es Möglichkeiten gibt, ihnen ein Leben frei von schwerem Leid zu ermöglichen", gab Taupitz zu Bedenken.

René Röspel (SPD), in der vergangenen Legislatuperiode Vorsitzender des Ethikbeirats des Bundestages, hält nicht nur den Begriff "Keimbahntherapie" für euphemistisch, "weil man gar nicht weiß, ob therapiert werden kann", wie er dieser Zeitung sagte. "Richtig ist es, von Keimbahneingriffen zu sprechen", sagt Röspel und ergänzt:"Wir wissen aus meiner Sicht noch viel zu wenig, um gezielt zu intervenieren." Der Eingriff in das Erbgut sei unumkehrbar, und die Folgen würden an die nächsten Generationen weitergegeben. Für die forschungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Petra Sitte, ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass auch Fragen danach einbezogen werden, was mögliche Eingriffe und Therapieoptionen "für die Entscheidungsfreiheit der Frau und für die Diskriminierung von Behinderung bedeuten". Positiv sei in Deutschland, dass angesichts grundsätzlicher Fragen auch grundsätzlich diskutiert werde, statt "nur forschungspolitischen Pragmatismus walten zu lassen". Mit dem Argument des Dammbruchs, das in Fragen der Biomedizin oftmals angeführt werde, werde jedoch versucht, Wissenschaft einzugrenzen. "Dammbruchargumente verkennen das Differenzierungsvermögen einer Gesellschaft", bemängelt auch Taupitz. Dass der Gesetzgeber mit der Abtreibung die Tötung ungeborenen Lebens in bestimmten Fällen nicht unter Strafe stelle, führe nicht dazu, dass die Tötung von Menschen akzeptiert werde.

Den Versuch, "ein für allemal festzuschreiben, was erlaubt ist", kritisierte der Medizinrechtler, "läuft auf Moralimperialismus hinaus". Als Beispiel nannte er die Skepsis vor der ersten Herztransplantation. Hätten sich damals die Bedenken und die Annahme, dass im Herzen die Seele des Menschen zu verorten sei, durchgesetzt, erinnerte Taupitz, wären Herztransplantationen heute nicht etwas Selbstverständliches. "Wir profitieren heute von Grenzverschiebungen, die frühere Generationen nicht verboten haben." Neue Erkenntnisse und Fortschritte forderten zu neuem Nachdenken auf. "Und neues Nachdenken muss Konsequenzen haben können", forderte Taupitz.

Davon ist auch Albert Rupprecht, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Forschungsausschuss, überzeugt: "Im Hinblick auf die Möglichkeiten neuer Erkenntnisse, die zum Beispiel bis dato unheilbar Kranken zu einem Weiterleben verhelfen, ist es schlichtweg nicht möglich, eine einmalige Festlegung vorzunehmen." Jede Grenzverschiebung sei jedoch sorgfältig zu prüfen.

Antwort des Gesetzgebers

Letztlich, sagt Taupitz, müsse der Gesetzgeber Antworten finden. Dieser sollte aber "in dubio pro libertate" entscheiden - im Zweifel für die Freiheit, die Freiheit der Forschung. "Wenn in der Abwägung gute Argumente für beide Seiten sprechen, sollte sich der Verfassungsstaat für die Freiheit entscheiden", forderte Taupitz. Ulrike Flach (FDP) ist überzeugt, dass die Grenze zwischen grundgesetzlich geschützten Rechtsgütern wie etwa dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Freiheit der Forschung immer neu und für jeden Einzelfall gezogen werden müsse.

Für Priska Hinz (Bündnis 90/Die Grünen) haben im Zweifel Menschenwürde und Menschenrechte Vorrang. Sie bedauerte zudem, dass zu der Veranstaltung nur ein Experte eingeladen worden sei. Es sei eine gute Tradition im Bundestag, dass anerkannt wird, dass es zu ethischen Themen in der Biomedizin unterschiedliche Positionen gebe. "Diese einseitige Meinungsbildung halte ich für falsch."