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Hömma, im Pott gehts getz zur Sache!

Kulturhauptstadt Früher Kohle, heute Kolhaas: Das Ruhrgebiet erfindet sich neu. Eine Delegation des Tourismusausschusses auf den Spuren des Imagewandels

17.05.2010
2023-08-30T11:25:56.7200Z
5 Min

Orange, schon wieder orange. Wie zwei Feuerbänder verbindet die Rolltreppe den Haupteingang zum Ruhr Museum auf der Essener Zeche Zollverein mit der Erde. Nichts mehr zu sehen vom Kohleschwarz und Aschegrau, den Farben des alten Ruhrpotts mit seiner Montanindustrie und seinen Malochern. Jedenfalls nicht hier, im Herz der Ruhr 2010: Hömma, im Pott gehts getz zur Sache! Seit vier Monaten darf sich das Ruhrgebiet mit Essen an der Spitze Kulturhauptstadt Europas nennen, seit vier Stunden schaut sich nun eine Delegation des Tourismusausschusses des Bundestages an, ob und wie sich die 53 Städte mit ihren 5,3 Millionen Bewohnern zwischen Ruhr und Emscher zur Metropole zusammenraufen. Mehrfach treffen die Abgeordneten dabei auf die Farbe Orange. "Orange scheint die Farbe des Wandels von der Industrie- zur Kulturregion zu sein", mutmaßt Valerie Wilms von Bündnis 90/Die Grünen, als sie leicht außer Atem die Rolltreppe erreicht. Es soll nicht die einzige Erklärung bleiben.

Klaus Brähmig, der Vorsitzende des Ausschusses, schwebt bereits vor ihr auf Deutschlands höchster freistehender Rolltreppe hinauf ins knapp 24 Meter hoch gelegene Besucherzentrum der Zeche Zollverein. Gut zwei Minuten dauert die Fahrt, im Rücken reckt sich der 55 Meter hohe stahlstrotzende Förderturm über Schacht XII stolz in den blassblauen Abendhimmel. Zollverein war mit seinem etwa 140 Fußballfelder großen Areal einst die größte der Ruhrgebietszechen. 6.000 Kumpel schlugen hier früher einmal Kohle aus der Erde. Als im Jahr 1986 Schicht im Schacht war, wurden die Fotos des stillgelegten Pütts zum Symbol des Zechensterbens. Seit dem Jahr 2001 gehört Zollverein mit seiner Architektur der Neuen Sachlichkeit zum Unesco-Weltkulturerbe. "Jetzt", sagt Professor Oliver Scheytt, Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH, "jetzt ist Zollverein Symbol für den Imagewandel des Ruhrgebiets." Es geht um neue Bilder. "Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel", lautet das Motto der Kulturhauptstadt.

Gedächtnis der Region

Oben an der Rolltreppe wartet schon der Direktor des Ruhr Museums, Professor Ulrich Borsdorf. Als "Gedächtnis und Schaufenster der Metropole" begreift sich das Museum, das hier in der Kohlenwäsche seit Anfang des Jahres beheimatet ist, wo dereinst das schwarze Gold vom tauben Gestein getrennt und nach Größe und Qualität sortiert wurde. Borsdorf schaut auf die Uhr. "Wie lange haben Sie Zeit?", fragt er. "Eine Stunde? Dann kommen Sie." Der Mittsechziger drängt zur Eile. So viel gibt es zu erzählen: über das Gebäude, die Ausstellung und vor allem über die Geschichte des Ruhrgebiets. "Hier hängen Kultur und Ökonomie in ganz besonderer Weise zusammen", erklärt der Professor den Abgeordneten, "90 Prozent aller Gestelle, Häuser, Netze gibt es nur deshalb, weil Kohle in der Erde ist."

Borsdorf geleitet die Gäste aus Berlin in den ehemaligen Rohkohlenbunker. Der niederländische Architekt Rem Kolhaas hat in den mächtigen Betonschacht das Treppenhaus integriert, über das die Gäste - weit mehr als 100.000 waren es schon seit Januar - auf die drei Ausstellungsebenen nach unten steigen. Die Wände sind in einem dunklen Orangeton gehalten. "Kein Wunder bei einem holländischen Baumeister", witzelt Borsdorf. "Solange die nicht Fußball-Weltmeister werden", antwortet Brähmig. Borsdorf lacht. Mit Schlachfertichkeit kannze punkten im Pott.

Die Tourismuspolitiker betreten die oberste Ausstellungsebene. Zwischen einer Vielzahl von Maschinen geht das Ruhr Museum Mythen und Realitäten des Reviers auf den Grund, wobei die Grenzen - wie im wahren Leben - nicht immer kantenscharf sind. Beispiel Fußball: Den meisten Streit habe es bei der Einrichtung einer Vitrine mit Trikots der führenden Ruhrvereine gegeben, erzählt der Museumsdirektor: "Welches Shirt darf oben liegen, welches nah und gut sichtbar am Durchgang." In diesem Fall hat Schalke 04 das Derby gegen Borussia Dortmund gewonnen. Abba wichtich is ja aufm Platz.

Kirchturmdenken

Skeptiker unken, die leidenschaftliche Konkurrenz der Ruhrstädte sei nicht auf den Fußball begrenzt. Vielmehr machten Eifersüchteleien und Kirchturmdenken das einzige verbindende Element der 53 Kommunen aus. Und, ma ährlich, das Ruhrgebiet ist ja auch keine Metropole, jedenfalls nicht wie London oder Paris, sondern ein Ballungsraum, kleinteilig, unübersichtlich, ohne Mitte. Na und?

"Die Kulturhauptstadt ist das Richtfest der neuen Metropole Ruhr", sagt Oliver Scheytt bei einem der zahlreichen Informationsgespräche, die die Parlamentarier führen. Seit Jahren kämpft er für einen Mentalitätswandel, als Kulturdezernent der Stadt Essen hat er die Bewerbung um den europäischen Ehrentitel maßgeblich vorangetrieben. "Entscheidend ist, dass ein Bewusstsein entsteht, dass man gemeinsam besser ist", betont er. Das gelte etwa für das Tourismusmarketing: Es bringe nichts, wenn Oer-Erkenschwick oder Wanne-Eickel für sich allein in England würben. Nur wenn die Ruhrstädte zusammen aufträten, könnten sie Erfolg haben. Ein solcher wäre beispielsweise, den Anteil wirklicher Touristen im Ruhrgebiet auf ein Viertel anzuheben. Bislang machten bei Übernachtungen noch 80 Prozent Geschäftsreisende aus.

"Ihr seid hier Piloten", sagt Klaus Brähmig anerkennend. Das, was das Ruhrgebiet auf die Beine stelle, könne Vorbild für andere Regionen sein, fügt der Ausschussvorsitzende hinzu: Kultur als Motor des Wandels, Kultur als Aushängeschild und Kultur als Magnet für Touristen. "Wie wollen Sie denn das Wir-Gefühl stärken?", erkundigt sich der tourismuspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Joachim Hacker, bei Scheytt. Das Ereignis Kulturhauptstadt schaffe gemeinsame Identität, antwortet der. Als Beispiel nennt er "die längste Tafel der Welt", die an einem Sonntag im Juli von den Menschen aus dem Pott und ihren zahlreichen Vereinen auf dem Ruhrschnellweg gedeckt werden soll. Die B1/A40, dauerverstopfte Hauptverkehrsader des Reviers, wird für einen Tag gesperrt und zum Feiern frei gegeben - über Stadtgrenzen hinweg. Da schnallze ab, wa?

Identität als »Ruhri«

Vielleicht müsse es auch eine Taufe geben, überlegt Scheytt weiter. Denn noch gebe es keinen Namen, der die Bewohner des Ruhrgebiets als solche auszeichne und der den Mentalitätswandel dokumentiere. Scheytt legt eine Redepause ein. Die Abgeordneten blicken ihn neugierig an. "Was halten Sie denn von ;Ruhri'?", fragt Scheytt. "Na ja...", sagt Hans-Joachim Hacker, und Valerie Wilms lupft ein wenig die Augenbraue. "Doch, doch, ,Ruhri' könnte es schon sein", begeistert sich der Macher der Kulturhauptstadt. Im Übrigen habe der Bundestag mit seinem Präsidenten Norbert Lammert (CDU) einen überzeugten "Ruhri" in seinen Reihen. Der gebürtige Bochumer sei deshalb auch als "Bürger des Ruhrgebiets 2010" ausgezeichnet worden.

Das, was die Ruhrgebietskommunen derzeit vor allem eint, ist - immer Ärger mitte Pinunsen - ihre prekäre Finanzlage. Zig Städte müssen Nothaushalte auflegen - mit der Folge, dass unter anderem Theater und Bibliotheken geschlossen werden. "Manchmal sind schlechte Zeiten auch gute Zeiten", wendet der Direktor des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum, Siegfried Müller, ein. Über das krisenbedingte Konjunkturprogramm des Bundes sei im Anschauungsbergwerk seines Hauses eine neue Druckluftversorgungsanlage eingebaut worden. Außerdem ist gerade der "Schwarze Diamant", ein Erweiterungsbau mit, na klar, orangefarbenen Verbindungsstollen fertig geworden. Mund abputzen, weitermachen!, wie der "Ruhri" sagt.