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Näher am Bauern

EU-AGRARPOLITIK EU-Parlament und Bundestag diskutieren über anstehende Reformen

25.05.2010
2023-08-30T11:25:56.7200Z
4 Min

Im heimischen Wahlkreis sind Abgeordnete oft näher dran an Bauern und Konsumenten als viele Botschafter und EU-Beamte. Und so haben viele von ihnen eine Erkenntnis gewonnen: Europas Bauern sollen künftig weniger am Schreibtisch ackern und dafür mehr auf dem Feld. Und: Verordnungen und Entscheidungen in der EU-Agrarpolitik sollten sich stärker an den Wünschen und Sorgen der Betroffenen orientieren. Bevor EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos im November sein Gesamtkonzept für die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (Gap) präsentieren wird, wollen daher auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Vorschläge für eine Reform erarbeiten. Schon jetzt ringen sie in Ausschusssitzungen um jedes Wort im Grundsatzbericht des schottischen Berichterstatters George Lyon. Dass es bereits 750 Änderungsanträge dazu gibt, ist ein Beleg für den Stellenwert des Themas Ackerbau und Viehzucht in Europa. Vergangenen Dienstag haben die Abgeordneten zudem einer Resolution unter Federführung des britischen Konservativen Richard Ashworth zugestimmt, in der es um die Vereinfachung der EU-Agrarförderung geht. "Die gemeinsame Agrarpolitik ist heutzutage zu bürokratisch", meint Ashworth. Die Landwirte würden durch hohe Auflagen überfordert, die in keinem Verhältnis zu den Risiken stünden.

Das besondere Engagement der Abgeordnete hat Gründe: Seit im Dezember vergangenen Jahres der Lissabon-Vertrag in Kraft getreten ist, haben die Mitglieder des EU-Parlaments deutlich mehr zu sagen, wenn es um die Landwirtschaftspolitik geht. Vor Lissabon musste das EU-Parlament lediglich gehört werden - heute entscheidet es mit. Das bedeutet einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Verteilung der im Jahr 2009 rund 56,5 Milliarden Euro für die einkommensstützenden Direktzahlungen an Bauern und die Fördermittel für den ländlichen Raum - und das sind beachtliche 41 Prozent des gesamten EU-Haushalts.

Stärkere Beteiligungsrechte

Vergangenen Mittwoch haben die Abgeordneten ihren neuen Einfluss bereits illustriert. Die Zulassung des Enzyms Thrombin als Zusatzstoff in Lebensmitteln war weder in der EU-Kommission noch im Ministerrat als problematisch erachtet worden. Das EU-Parlament jedoch orientierte sich bei seiner Meinungsbildung stärker an den Vorbehalten und dem Unbehagen in der Bevölkerung gegen den "Fleischkleber" und stimmte mit 370 zu 262 Stimmen gegen den Einsatz der "Uhu-Wurst".

"Wir werden in den nächsten Monaten wohl noch mehr solche Abstimmungen sehen, wenn es um Lebensmittel geht", sagt ein EU-Beamter aus der Generaldirektion Landwirtschaft voraus - und verweist als Beispiel auf die Debatte über Klonfleisch. Aber auch jenseits konkreter Einzelthemen werden die stärkeren Mitbeteiligungsrechte des EU-Parlaments die Grundsatzentscheidungen über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 prägen. Schon jetzt laufen die Positionsbestimmungen auf Hochtouren - und zwar nicht nur in der EU-Kommission und im Europäischen Parlament, sondern auch im Bundestag. Am 17. Mai wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz deutlich, dass es auch unter Experten weit auseinanderliegende Positionen hinsichtlich der künftigen Agrarpolitik gibt. Während einige Fachleute an den bisherigen Zielen festhalten wollen und vor einer Aufgabe der traditionellen Sicherheitsnetze des bäuerlichen Einkommens warnen, dringen andere auf eine Diskussion über die Leitbilder und Instrumente. Besonders in der Diskussion sind die Direktzahlungen an Landwirte und Unternehmen, die einen Großteil der heutigen EU-Agrarförderung ausmachen. Die milliardenschweren Subventionen - pro Jahr sind es mehr als 40 Milliarden Euro - stehen immer wieder in der Kritik.

Volker Petersen, der beim Bundestags-Hearing als Vertreter des Deutschen Raiffeisenverbands auftrat, bezeichnete Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe auch über das Jahr 2013 hinaus für unverzichtbar. Und Gerd Sonnleitner, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, warb dafür, in der von Begriffen wie "Kürzen" und "Umverteilung" dominierten Diskussion den Nutzen der Landwirtschaft stärker hervorzuheben. Der Landespfleger Ulrich Jasper, im Bundestagsausschuss als Einzelsachverständiger geladen, plädierte indes für eine stärkere Bindung der Direktzahlungen an Kriterien, die die Ansprüche der Gesellschaft an die Landwirtschaft widerspiegeln sollten. Folkhard Isermeyer vom Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik verwies auf das neue Gutachten für das Landwirtschaftsministerium, das er gemeinsam mit 14 anderen Fachleuten gerade verfasst hat: Danach sind die 5,7 Milliarden Euro, die allein Deutschland für Direktzahlungen ausschüttet, wenig geeignet, die Ziele Ernährungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Ressourcenschutz/Biodiversität zu erreichen.

Europäische Kontroverse

Die Debatte spiegelt wider, was auch in Straßburg und Brüssel für Kontroversen sorgt. So fordert der CSU-Europaabgeordnete Albert Deß, dass die Direktzahlungen und die ländliche Entwicklung "Stützpfeiler für Europas Landwirte" bleiben müssen, damit die Bauern Planungssicherheit haben. Der Grünen-Europaabgeordnete Martin Häusling sagt hingegen: "Wir müssen die Mittel qualifizieren und nicht einfach Bauern Geld dafür geben, dass sie so und so viele Hektar bewirtschaften. Außerdem müssen wir sowohl die Orientierung am Weltmarkt in Frage stellen als auch die Förderwürdigkeit intensiver Formen von Landwirtschaft."

Die SPD-Europaabgeordnete Ulrike Rodust rechnet trotz der absehbar hitzigen Auseinandersetzungen nicht damit, dass die stärkere Beteiligung des EU-Parlaments die Agrarpolitik bremsen oder lähmen wird. "Ich sehe da kein Problem, solange niemand bewusst etwas aufhält." Gleichzeitig ist Rodust zuversichtlich, dass Bundestag und Landtage von der stärkeren Rolle des Europäischen Parlaments in Agrarfragen profitieren. "Dort, wo Regierungen allein entscheiden, gibt es oft eine Neigung, sich in den Elfenbeinturm zurückzuziehen", sagt die Sozialdemokratin. Dagegen gebe es einen regen Informationsaustausch zwischen den Abgeordneten verschiedener politischer Ebenen.