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Der Unbequeme

Horst Köhler Seine Rücktrittsgründe werden heiß diskutiert. Doch was bleibt vom neunten Präsidenten der Republik?

07.06.2010
2023-08-30T11:25:57.7200Z
4 Min

Viel war in der jüngsten Zeit nicht mehr zu hören aus Schloss Bellevue, außer den üblichen Terminankündigungen. Etwa für den 21. Juni: In seiner fünften Berliner Rede wollte Bundespräsident Horst Köhler an diesem Tag Grundsätzliches über Europa sagen. Angesichts der Euro-Krise und der Sorge um den Zusammenhalt der EU wäre dies eine Chance gewesen, den Bürgern Mut zuzusprechen, dem Land Inspiration und Richtung zu geben - und damit genau das zu tun, was allgemein von einem Bundespräsidenten erwartet wird. Wahrscheinlich hätte Köhler mit einer ordentlichen Rede auch die, nun ja, ehrlichen, aber gleichwohl unachtsamen Worte zum Zusammenhang von Militäreinsätzen der Bundeswehr und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in den Hintergrund treten lassen können. Hätte, wäre, könnte. Stattdessen hat Horst Köhler am vergangenen Montag krachend hingeschmissen - und eine fassungslose Nation zurückgelassen.

Wundgescheuert

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Staatsoberhaupt "mit sofortiger Wirkung" zurückgetreten, wie Köhler kurz nach 14.00 Uhr in der ihm eigenen Art erst nach einem Blick auf seinen Sprechzettel bekanntgab. Noch immer dauert das Rätselraten über die Gründe für den völlig unerwarteten Rückzug des 67-Jährigen an. Köhler selbst hat nur wenig dazu gesagt. Die Kritik an seinen Äußerungen zu den Auslandseinsätzen lasse "den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen", beklagte Köhler. Der Vorwurf, er befürworte Bundeswehreinsätze, die nicht vom Grundgesetz gedeckt seien, entbehre "jeder Rechtfertigung". Viele zweifeln, dass das der einzige Grund für einen so weitreichenden Schritt gewesen sein soll. Der frühere SPD-Chef und Vizekanzler Franz Müntefering, selbst rücktrittserfahren, vermutete etwa, dass Köhlers "Seele schon wundgescheuert" gewesen sei.

Verständnis und Unverständnis für Köhlers Abgang - so scheint es - halten sich in der öffentlichen Diskussion die Waage. Von der "Fahnenflucht eines Beleidigten" ist genauso zu hören wie vom "mutigen Schritt eines wahrhaft unabhängigen Präsidenten" - wobei positive Bewertungen eher von politikferneren Bürgern kommen. Die Debatte über Art und Weise von Köhlers "Ich bin dann mal weg" wird noch eine Weile weitergehen. Doch woran wird man sich in zehn Jahren erinnern? Gewiss an den Rücktritt selbst. Aber sonst? Was bleibt vom neunten Präsidenten der Republik?

"Horst, wer?"

Sechs Jahre lang, seit Mai 2004, war Köhler im Amt. Erst vor einem Jahr wählte ihn die Bundesversammlung für weitere fünf Jahre. Im März 2004 hatten sich die damaligen Fraktionschefs von Union und FDP, Angela Merkel und Guido Westerwelle, auf den Präsidenten des Internationalen Währungsfonds (IWF) als Kandidaten für das höchste Staatsamt geeinigt. Das sollte auch als Vorbote eines schwarz-gelben Regierungsbündnisses wahrgenommen werden, für das es freilich erst bei der Bundestagswahl 2009 zur Mehrheit reichte. "Horst, wer?", fragten sich zunächst alle. Niemand hatte mit dem Sohn deutschstämmiger Eltern aus dem rumänischen Bessarabien gerechnet, der in Baden-Württemberg aufwuchs, studierte und später in Bonn, CDU-Mitglied geworden, als Beamter eine steile Karriere machte.

Schnell gelang es dem zweifachen Familienvater, die Bürger - von Umfragen zigfach belegt - mehrheitlich für sich einzunehmen. Gerade seine oftmals ungelenk, eben nicht glatt gebügelt wirkenden Auftritte und Reden sowie sein Fremdeln mit dem politischen Betrieb in Berlin brachten ihm Sympathien ein. Offen wolle er sein und "notfalls unbequem", hatte er zu seinem Amtsantritt versprochen - und dieses gehalten. So ärgerte Köhler vor wenigen Wochen die aktuelle Koalition. Via Interview bescheinigte Köhler Schwarz-Gelb einen Fehlstart und mahnte mehr Reformwillen an.

2004 zeigte sich der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erbost, als Köhler seinen Plan vereitelte, den Tag der Deutschen Einheit aus Spargründen vom 3. Oktober dauerhaft auf einen Sonntag zu verlegen. Auch bei der großen Koalition sorgte Köhler für Unmut, etwa als er Ende 2006 kurz hintereinander zwei Gesetzen seine Zustimmung verweigerte. Er sei "kein Unterschriftenautomat", ließ Köhler damals wissen. Trotzdem unterschrieb der ausgewiesene Finanzexperte erst vor gut zwei Wochen das Milliarden-Rettungspaket für den Euro, ohne viel Zeit für eine eingehende Prüfung des Gesetzes zu haben.

Eine entscheidende Rolle nahm Köhler im Mai 2005 ein. Nach der Niederlage der SPD, dem Verlust der rot-grünen Mehrheit bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen und der inszenierten Niederlage Schröders bei der Vertrauensfrage am 1. Juli im Bundestag gab Köhler am 21. Juli seine Zustimmung zur Auflösung des Parlaments und setzte Neuwahlen für September an. Er begründete seine Entscheidung in einer Fernsehansprache mit den gewaltigen Aufgaben, vor denen das Land stehe, und verwies auf die hohe Arbeitslosigkeit, die kritische Haushaltslage und die Krise der föderalen Ordnung. Bis zum vergangenen Montag dürfte dies der meist beachtetste Auftritt Köhlers gewesen sein.

Engagement für Afrika

Im öffentlichen Gedächtnis haften bleiben könnte jedoch vor allem sein kontinuierliches und beharrliches Engagement für Afrika. Der schwarze Kontinent und seine Menschen lagen ihm am Herzen. Diese Woche hätte Köhler auf einer weiteren Afrikareise wieder für sein Anliegen werben können. Doch auch das ist nun vorbei. Monika Pilath z