Piwik Webtracking Image

Am Verfassungstag in Berlin

RÜCKBLICK II Weder Tag noch Ort der Bundesversammlung sind gesetzlich festgelegt - doch gibt es Traditionen

21.06.2010
2023-08-30T11:25:59.7200Z
3 Min

Wenn das neue Staatsoberhaupt gekürt sein wird, ist damit auch der Weg frei, um am Ende der Amtszeit eine vielen lieb gewordene Tradition wieder aufzunehmen, die in diesem Jahr nach dem Rücktritt Horst Köhlers durchbrochen werden musste: Seit mehr als 30 Jahren - immerhin rund die Hälfte der gut 61-jährigen Geschichte der Republik - ist der Bundespräsident stets an einem 23. Mai gewählt worden. Ein besseres Datum lässt sich für die Wahl des ersten Mannes im Staate auch kaum finden: Es ist der Verfassungstag, an dem 1949 das Grundgesetz verkündet wurde, und so wurde immerhin siebenmal hintereinander das Staatsoberhaupt an diesem für das Selbstverständnis der Bundesrepublik so wichtigen Tag gewählt.

Eine schöne Tradition, aber auch eine ungeschriebene, denn das Grundgesetz legt nur fest, dass die Bundesversammlung spätestens 30 Tage vor dem Ende der Amtszeit des amtierenden Präsidenten zusammenkommen muss - bei "vorzeitiger Beendigung" etwa durch Tod oder wie im Falle Köhlers durch Rücktritt maximal 30 Tage danach.

Wann genau das Staatsoberhaupt gewählt wird, bestimmt der Präsident des Bundestages, zu dessen Aufgaben laut Verfassung die Einberufung der Bundesversammlung gehört. Als erster Parlamentspräsident hatte sich Karl Carstens 1979 für den 23. Mai entschieden, und er sollte dann auch der erste Bundespräsident werden, der am Verfassungstag gewählt wurde - wie nach ihm Richard von Weizsäcker, Roman Herzog, Johannes Rau und eben Köhler. Nach dessen Rücktritt am 31. Mai berief Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die 14. Bundesversammlung zum 30. Juni und damit letztmöglichen Termin ein; die Vereidigung ist für den 2. Juli vorgesehen.

Die Amtszeit des nun zu wählenden Bundespräsidenten beginnt, sobald er die Wahl angenommen hat - eine Besonderheit, die auf dem Umstand beruht, dass Köhlers Amtszeit mit dessen sofortiger Demission beendet war. Bei allen seinen Vorgänger seit dem (lange zuvor angekündigten) Rücktritt von Heinrich Lübke zum 30. Juni 1969 hatte die Amtszeit übrigens jeweils an einem 1. Juli begonnen. Gewählt wird der neue Präsident für fünf Jahre, und dann könnte die 15. Bundesversammlung wieder zum Verfassungstag einberufen werden, nämlich zum 23. Mai 2015 - vorausgesetzt natürlich, dass bis dahin nicht auch das neue Staatsoberhaupt vorzeitig aus seinem Amt scheidet, aus welchem Grund auch immer.

Solche Unwägbarkeiten spielen bei der Wahl des Versammlungsortes keine Rolle -mittlerweile jedenfalls: Seit der deutschen Einheit tagt die Bundesversammlung im Berliner Reichstagsgebäude. Den großen Plenarsaal des Bundestages in der Hauptstadt zu nutzen, ist naheliegend, vor allem aber ein Symbol für die überwundene Teilung Deutschlands. Die nämlich machte Berlin auch als Ort der Bundespräsidentenwahl für viele Jahre zum Streitobjekt zwischen Ost und West.

Gesetzliche Vorschriften über den Tagungsort gibt es nicht, abgesehen von der Tatsache, dass nach dem "Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten" der Bundestagspräsident neben dem Zeitpunkt der Bundesversammlung auch den Ort ihres Zusammentritts bestimmt. Nach der ersten Wahl 1949, zu der noch die Ministerpräsidenten der Länder in den damals neuen Bundestags-Plenarsaal nach Bonn geladen hatten, trat die Bundesversammlung vier Mal - 1954, 1959, 1964 und 1969 - in der (West-) Berliner Ostpreußenhalle zusammen. Wurden dagegen beim ersten Mal noch von keiner der vier Siegermächte Einwände geltend gemacht, werteten die Sowjetunion und die DDR die Wahl Berlins zum Tagungsort der Bundesversammlung ab 1959 als Provokation und reagierten mit Protestnoten, Drohungen und schließlich auch mit Verkehrsbehinderungen auf den Zugangswegen zu der geteilten Stadt. 1969 verkündete die DDR knapp einen Monat vor der 5. Bundesversammlung ein Durchreiseverbot für deren Mitglieder, die Berlin damit nur noch auf dem Luftweg erreichen konnten; Manöver des Warschauer Pakts im Raum von Berlin wurden angekündigt, und am Wahltag selbst donnerten MiG-Kampfflugzeuge über West-Berlin.

Erst mit dem Vier-Mächte-Abkommen von 1971 verzichtete der Westen auf weitere Präsidentenwahlen an der Spree. In einem Brief der drei westlichen Botschafter an den Bundeskanzler hieß es: "In den Westsektoren Berlins werden keine Sitzungen der Bundesversammlung und weiterhin keine Plenarsitzungen des Bundesrates und des Bundestages stattfinden."

So mussten die Wahlleute künftig wieder an den Rhein reisen, an dem nun ab 1974 vier Bundesversammlungen in Folge in der Bonner Beethovenhalle stattfanden. Die letzte Präsidentenwahl dort erfolgte am 23. Mai 1989 - ein knappes halbes Jahr, bevor der Mauerfall auch der Bundesversammlung den Weg nach Berlin wieder frei machen sollte.