Piwik Webtracking Image

Kompromiss als »ethische Leistung«

DEUTSCHE EINHEIT Jean-Claude Juncker präsentiert Norbert Lammerts Buch zum 20. Jahrestag

27.09.2010
2023-08-30T11:26:04.7200Z
3 Min

Als seinen "persönlichen Beitrag" zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit wertete Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am vergangenen Dienstag bei der Präsentation seines Buches "Einigkeit. Und Recht. Und Freiheit" in Berlin das Werk. Da passte es gut, dass mit Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker der dienstälteste Regierungschef der EU die Vorstellung des Buches übernommen hatte. Schließlich gelten die deutsche Einheit und die europäische Einigung als "zwei Seiten einer Medaille", eine Einsicht, die auch Juncker aufgriff.

Er nannte die deutsche Wiedervereinigung einen "kontinentalen Glücksfall". Dass die deutsche Einheit auch "angenommen wurde von den Europäern" und "dieses Außergewöhnliche sich so sehr normalisiert hat", liege daran, dass die Deutschen selbst eigentlich "sehr souverän" mit ihrer Einheit umgingen, fügte Juncker hinzu: "Wer in Europa tätig ist, genießt eigentlich das neue Deutschland, weil es sich ohne Komplexe in die Normalität" gefunden habe. Die Deutschen, attestierte ihnen der luxemburgische Regierungschef, seien "noch nie so gute Nachbarn" gewesen wie heute.

Zentrale Fragestellungen

Den Bogen von deutscher und europäischer Einigung fand Juncker auch in Lammerts Buch, das den Untertitel "20 Blicke auf unser Land" trägt: In 20 Essays befasst sich der Autor mit zentralen Aspekten und Fragestellungen der Geschichte und Demokratie Deutschlands. Dabei fängt er mit der deutschen Einheit an und endet mit Überlegungen zur europäischen Einigung, wie sich der Laudator freute. Er bescheinigte dem Präsidenten des Bundestages zugleich, ein "Plädoyer für die parlamentarische Demokratie" zu halten und dabei den Kompromiss als "ethische Leistung" zu sehen, die den Parlamentarismus auszeichne.

Kritik an Grundgesetzänderungen

Lammert, der beim Mauerbau 1961 zwölf Jahre alt war, erinnerte daran, dass er in einer Zeit aufgewachsen sei, in der ihm die deutsche Teilung Deutschlands "selbstverständlich im Sinne von unvermeidlich" erschien und in der auch Europa geteilt war. Dagegen sei nun die erste Generation nachgewachsen, "für die die neuen Verhältnisse ähnlich selbstverständlich erscheinen müssen wie uns damals die damaligen - denn sie haben nie etwas anders erlebt". Dass es einmal andere Verhältnisse in Deutschland und Europa gegeben habe, sei für diese neue Generation "mit Blick auf deren Biografie genauso weit weg wie der 30-jährige Krieg oder vorher die Reformation oder andere eben nur vom Hörensagen - wenn überhaupt - im Bewusstsein vorhandene Ereignisse der deutschen Geschichte".

Man könne aber, wie er auch in seinem Buch deutlich machen wolle, weder die Situation in Deutschland noch das "neue Europa" begreifen "ohne Kenntnis der Strecke, die wir hinter uns haben", fügte Lammert hinzu und mahnte, "dass wir diese historischen Zusammenhänge in unserem aktiven Bewusstsein bewahren müssen". Zwar sei der Staat seiner Auffassung nach nicht für Kultur zuständig, sondern allenfalls für die Bedingungen, unter denen sie stattfindet. Wenn der Staat aber eine "originäre Aufgabe" in einem Bereich der Kultur habe, sei dies bei der "Erinnerungskultur" der Fall, argumentierte der Parlamentspräsident unter Verweis auf entsprechende Gedenkveranstaltungen des Bundestages: Der Staat "muss sich um die Vermittlung von Zusammenhängen kümmern" und dürfe dies nicht der "Zufälligkeit gesellschaftlicher Trends, Modeerscheinungen und Entwicklungen" überlassen.

Zugleich beklagte er einen bisweilen "leichtfertigen" Umgang mit dem Grundgesetz, mit dem die Deutschen "mehr als nur Glück" gehabt hätten. Die mehr als 50 Verfassungsänderungen oder -ergänzungen, die es seit 1949 gegeben habe, hätten zwar den Text des Grundgesetzes etwa verdoppelt, "aber die Strahlkraft wie die Plausibilität dieses Textes zweifellos nicht erhöht", kritisierte Lammert.

Norbert Lammert:

Einigkeit. Und Recht. Und Freiheit.

Herder Verlag, Freiburg 2010; 219 S., 17,95 €