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Zoff in der Zentralbank

EURO Europa streitet um die richtige Geldpolitik nach der Krise

25.10.2010
2023-08-30T11:26:07.7200Z
4 Min

In der Europäischen Zentralbank (EZB) knirscht es derzeit heftig: Bundesbankpräsident Axel Weber attackierte jüngst EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Weber wirft dem Franzosen vor, eine Politik des lockeren Geldes zu betreiben und weiter Staatsanleihen von Schuldenstaaten aufzukaufen. Trichet wies Weber daraufhin per Zeitungsinterview in die Schranken: Weber vertrete nicht "die Position der überwältigenden Mehrheit im Rat" der EZB, es gebe "nur eine geldpolitische Entscheidung und einen Präsidenten, der auch der Sprecher des Rates ist". Und auch den Vorwurf, durch niedrige Zinsen die Inflation zu schüren, weist Trichet zurück. "Das derzeitige Zinsniveau ist angemessen. Die Inflationserwartung liegt sehr gut auf der Linie unserer Definition von Preisstabilität".

Hinter dem aktuellen Streit verbirgt sich ein tiefes Zerwürfnis über die Frage, wie man angesichts des vielen billigen Geldes in der Eurozone der Gefahr einer Inflation entgeht und wie die Exit-Strategie der EZB aussehen soll. Es ist ein Streit über die Grundregeln der Europäischen Zentralbank. Und die besagen vor allem eins: Die Wahrung der Euro-Stabilität.

Dabei sehen Analysten die Situation des Euros und der Banken zur Zeit wieder in einem etwas helleren Licht als zu Beginn der Krise. "Es gibt viele Zeichen dafür, dass es den Banken inzwischen in der Tat besser geht, etwa auf dem Interbankenmarkt", kommentiert Jürgen Michels, Analyst der Citigroup für den Euroraum. "Deswegen kann die EZB im kommenden Jahr ihre Geldzuteilung zurückfahren. Für das dritte Quartal 2011 erwarte ich zudem, dass sie den Leitzins langsam wieder anhebt." Der liegt aktuell beim historischen Tiefstand von einem Prozent, und das bereits seit Mai vergangenen Jahres.

Die großzügige Versorgung der Banken mit Zentralbankgeld startete die EZB im Jahr 2007 anlässlich der ersten Anzeichen der Krise. Dann kam die Griechenland-Krise und mit ihr der Streit im Rat der EZB, insbesondere zwischen Trichet und Weber. In der Krisensitzung des EZB-Rates am Sonntag, dem 9. Mai 2010, hatten sich die meisten der 22 Mitglieder für einen bis dato unkonventionellen Weg ausgesprochen: den Ankauf von Staatsanleihen. Weber und das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jürgen Stark aber waren dagegen. Der Kauf von Staatsanleihen passt nicht in die Philosophie stabilitätsorientierter deutscher Bundesbanker. Weber machte aus seiner Ansicht kein Geheimnis: "Der Ankauf von Staatsanleihen birgt erhebliche stabilitätspolitische Risiken", sagte er kurz nach der Sitzung.

Auch für viele Geldwissenschaftler war dies der Sündenfall par excellence. "Das ist der Griff in die Kasse", meint etwa Manfred Neumann von der Universität Bonn. "Hat eine Zentralbank erst einmal zu diesem Instrument gegriffen, wird der Markt dies ewig in Erinnerung behalten - das könnte sich in kommenden Währungskrisen rächen." Mit dem Ankauf konnte die EZB zwar verhindern, dass der Handel mit Anleihen völlig zum Erliegen kam, doch nahm sie in Kauf, dass sie mit unbegrenzt verfügbarem Zentralbankgeld die defizitären Staatshaushalte querfinanziert. "So riskiert die EZB einen unmittelbaren und langfristigen Vertrauensverlust des Euros", fürchtet Neumann.

Wird der Euro damit zur Weichwährung? Kommt es zur Inflation? Bisher hat die EZB erst einmal Anleihen im Wert von gut 63 Milliarden Euro aufgekauft - nicht viel angesichts der Billionen-Verschuldung der Euro-Länder. Auch hat sie den Ankauf der Anleihen sofort durch den Verkauf von US-Staatsanleihen auszugleichen versucht, so dass die Zentralbank-Geldmenge gleich blieb.

Doch die EZB habe damit gezeigt, dass sie unter massivem Druck der Politik beeinflussbar ist, warnt etwa Roland Vaubel, Geldwissenschaftler an der Universität Mannheim. "Wissen die Euro-Staaten erst einmal, dass ihre Zentralbank sie im Ernstfall vor dem Staatsbankrott bewahrt, hat dies katastrophale Folgen auf die Haushaltsdisziplin - eine hohe Neuverschuldung bleibt dann in letzter Konsequenz risikofrei." Der Ausstieg aus den Anleihenkäufen könnte der EZB zudem im nervösen Marktumfeld fast unmöglich sein, glaubt Ökonom Neumann. "Sollte sich die EZB nun oder in Zukunft weigern, Staatsanleihen zu kaufen, wird der Markt dies als Signal werten, ebenfalls keine Anleihen des betroffenen Staates mehr zu kaufen." Der Verkauf erworbener Anleihen dürfte der EZB ebenfalls schwer fallen. Damit tritt sie nicht nur in Konkurrenz zu laufenden Refinanzierungsgeschäften des jeweiligen Staates. Sie setzt auch das Signal zum Ausstieg aus den entsprechenden Anleihen.

Um langfristig die eigene Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Inflation zu bewahren, bleibe der EZB, meint Roland Vaubel, deswegen nur eine Möglichkeit: "Die Zentralbank muss die bereits erworbenen Staatsanleihen so schnell wie möglich dem neugegründeten Euro-Rettungsfonds übertragen, und selbst keine weiteren Anleihekäufe mehr tätigen." Der Rettungsfonds kann auf bis zu 440 Milliarden Euro zurückgreifen. "Seit es ihn gibt, hat die EZB keine Rechtfertigung mehr, Anleihen zu kaufen", sagt Vaubel. Bliebe es bei dem einmaligen Sündenfall, ließen sich auch die Risiken einer Inflation am Ende begrenzen.

Der Autor ist Berliner Korrespondent des

"Rheinischen Merkur".