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Kinder sind keine Produkte

Standpunkt Die Etablierung der vorgeburtlichen Diagnostik macht blind für den Sinn des Ungeplanten

08.11.2010
2023-08-30T11:26:08.7200Z
4 Min

Die Befürwortung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in weiten Kreisen unserer Gesellschaft sollte hellhörig machen und die Frage aufwerfen, wie es denn kommen kann, dass der moderne Mensch glaubt, es sei sein gutes Recht, das vorgeburtliche Leben erst zu testen, bevor man sich seiner annimmt. Wir leben in einer Zeit, die für das Ungeplante keinen Sinn mehr zu haben scheint. Das einfach Gegebene darf nicht mehr sein; alles möchte der moderne Mensch selbst planen bis hin zu seinen Nachkommen. Dieses Denken ist am Ende infiltriert durch einen ökonomisch-rationalistischen Blick. Fast scheint es, als würde ein Qualitätsmanagementdenken, das ursprünglich aus den Wirtschaftswissenschaften kommt, auch auf den innersten Bereich des Menschen übertragen - nämlich dort, wo zwei Menschen sich für einen neuen Menschen entscheiden.

Qualitätsprüfung Gentest

Der Wunsch der Eltern soll entscheiden, welcher Mensch leben darf und welcher nicht. Im Zuge einer solchen Selektions- und Machbarkeitslogik verändert sich unsere Einstellung zu den werdenden Kindern und damit zugleich unsere Einstellung zu uns selbst. Verloren geht das Gefühl der Dankbarkeit für das werdende Kind; die Dankbarkeit wird ersetzt durch die Angst, die Angst der nicht ausreichenden Kontrolle. Kinder werden damit immer mehr als Produkte begriffen, die man bestellt, nach Qualitätskriterien prüft und bei Nichtgefallen auch wieder abbestellt. Nichts anderes geschieht bei der PID. Hier werden Embryonen nur auf Probe gezeugt, und erst die Qualitätsprüfung in Form des Gentests entscheidet darüber, ob man das Produkt annimmt oder bei mangelnder Qualität eben zurückgibt. Das Gravierende daran ist die sukzessive Umdefinition der verantwortungsvollen Elternschaft.

So zeigen viele Studien, dass die allergrößte Mehrheit von Frauen ihre Entscheidung, eine Pränataldiagnostik vorzunehmen als verantwortungsbewusst werten, weil es ihnen als unverantwortlich erschiene, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen. Und mit jeder Ausweitung der Möglichkeiten der vorgeschalteten Qualitätsprüfung wird das Diktat zur Vermeidung von Leben, das nicht den gewünschten Anforderungen entspricht noch weiter zunehmen.

Was induziert durch die Technik und als Resultat eines Machbarkeitsglaubens am Ende entsteht, ist eine radikale Abwehr des Gegebenen, ein Blindwerden für den Sinn des Ungeplanten. Wenn die weitere Etablierung der vorgeburtlichen Diagnostik dazu führt, dass die Existenz eines Menschen nicht mehr als ein unhinterfragt Gutes betrachtet wird, sondern wenn diese Existenz als solche schon die Frage aufwirft, ob es verantwortungsvoll war, sie nicht vorher eliminiert zu haben, dann erahnen wir, wie verhängnisvoll die Wucht sein kann, mit der man den Nachkommen das Schicksal des Soseins abspricht.

Wie sehr sich so ein Selektionsdenken bereits etabliert hat, zeigt sich an dem weit verbreiteten Argument, mit der PID könne man einen Schwangerschaftsabbruch verhindern. Wenn man so argumentiert, setzt man fälschlicherweise voraus, dass der Abbruch sozusagen die logisch zwingende Reaktion auf ein Kind mit Gendefekt ist. Verkannt wird, dass der Gesetzgeber mit gutem Grund die alte Regelung, nach der allein die Behinderung eines Fötusses den Abbruch rechtfertigen konnte, aufgehoben hat, weil er erkannt hat, dass eine solche Regelung diskriminierend ist. Damit wurde zu Recht nur die Konfliktsituation der Frau in den Vordergrund gerückt und nicht der Gesundheitszustand des vorgeburtlichen Lebens.

Wenn man nun sagt, allein der Test im Reagenzglas reicht aus, um den Embryo zu selektieren, so ist dies ein Rückfall in ein nicht vertretbares Denken, denn wenn man den Gendefekt allein als Rechtfertigungsgrund für das Ausselektieren nimmt, so fällt man unweigerlich ein Unwerturteil über das Leben des Embryos und damit zugleich auch über all die Menschen, die diese Krankheit haben. Die gängige Argumentation, dass man mit der PID einen Abbruch verhindert könne, geht von einer Selbstverständlichkeit des Abbruchs als sozusagen regulären und zwingenden Umgang mit genetisch vorbelasteten Kindern aus, was eine Geringschätzung dieses Lebens bedeutet und daher in hohem Maße problematisch ist.

Opfer eines fremden Kalküls

Die gegenwärtigen Debatten um die PID verfangen sich in einer Bestätigung und Rechtfertigung des Faktischen. Viel zu wenig wird gewagt, drei Schritte zurückzugehen, um darüber zu reflektieren, welche Grundeinstellung zum Menschen bereits verkörpert ist. Was man mit der etwaigen Zulassung der PID definitiv etablieren würde, ist nichts weniger als die radikale Verabschiedung einer Kultur der bedingungslosen Annahme eines jeden Menschen. Die zentrale und unartikulierte Grundeinstellung lautet, dass es in jedem Fall besser ist, ein Mensch mit Behinderung solle nicht sein. Eine solche implizite Bewertung ist aber keinesfalls hinnehmbar, weil sie der unhintergehbaren Grundeinsicht widerspricht, dass jeder Mensch - ganz gleich welche genetische Ausstattung er hat - in gleicher Weise Selbstzweck ist und nicht Opfer eines fremden Kalküls werden darf.

Der Autor ist Professor für Bioethik an der Universität Freiburg.