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Schlagabtausch über den Atomtransport im Wendland

15.11.2010
2023-08-30T11:26:09.7200Z
3 Min

umwelt

Knapp 92 Stunden lieferten sich zehntausende Atomkraft-Gegner und Polizisten kräftezehrende Auseinandersetzungen mit einigen Scharmützeln, bis die elf Castor-Behälter aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague sicher hinter den Toren des Zwischenlagers Gorleben verstaut waren. Was folgte, war ein heftiger Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition im Bundestag inklusive gegenseitiger Vorwürfe und Beschimpfungen. Weitgehende Einigkeit bestand nur über den Wunsch einer Aktuellen Stunde zum Thema Castortransport sowie Lob und Anerkennung für die Arbeit der Polizei.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verurteilt die Unterstützung von SPD, Grünen und Linkspartei für die teilweise gewaltsamen Proteste. Er stellte fest: "Opposition und Demonstranten haben politisch nicht das Recht, gegen eine demokratische Entscheidung zum zivilen Ungehorsam aufzurufen. Das ist nicht in Ordnung. Die Straße hat keine höhere demokratische Legitimation als Parlament und Gesetz." Er nannte außerdem ein Lob von SPD-Chef Sigmar Gabriel in Richtung der Demonstranten "unerhört" und "falsch".

FDP-Generalsekretär Christian Lindner wurde noch deutlicher und griff mehrere Abgeordnete der Opposition persönlich an, darunter seine Vorrednerin von der SPD, Kirsten Lühmann, die die Demonstrationen trotz 131 verletzten Polizeibeamten als weitgehend friedlich geschildert hatte und den ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen), dem er "Heuchelei" vorwarf. Der Grund: Dieser hatte die Castortransporte in der Zeit seiner Verantwortung stets als unausweichlich bezeichnet. Lindner empörte sich, dass die Opposition in mehreren Interviews die Aktionen im Wendland gelobt hatte und sagte: "Wer als gewählter Parlamentarier zum Bruch von Gesetzen aufruft, der diskreditiert sich selbst als Gesetzgeber. Wenn Sie Straftaten tolerieren, überschreiten Sie die legitime Linie von Oppositionspolitik."

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bezeichnete die Grünen sogar als "politischen Arm von Brandstiftern und Steinewerfern".

Kirsten Lühmann (SPD) schilderte ihre Sicht der Demonstrationen und bezeichnete die Zusammenarbeit von Organisator "X-tausendmal quer" und der Polizei als "vorbildlich". Die SPD-Politikerin drohte der schwarz-gelben Regierung: "Glauben Sie nicht, dass dieser Protest abflauen wird. Er wird nächstes Jahr genauso stark oder noch stärker sein, wenn Sie nicht endlich wieder auf den Weg des gesamtgesellschaftlichen Konsenses zurückkehren."

Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei, nutzte die Gelegenheit, um allgemein gegen die Atompolitik der Regierung zu schimpfen. "Sie haben mit der Aufkündigung des Kompromisses … einen gesellschaftlichen Großkonflikt heraufbeschworen, und nachdem Sie das gemacht haben, beschweren Sie sich über den Großkonflikt. Das ist für mich auch Heuchelei, um das einmal ganz klar zum Ausdruck zu bringen."

Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grüne) lieferte ihre eigene Interpretation der Proteste gegen die Castortransporte und sagte: "Die Ereignisse im Wendland haben ja eines gezeigt, nämlich dass man Politik, die keine Akzeptanz findet, nicht gegen eine ganze Region und nicht gegen die Mehrheit der Menschen in diesem Land durchdrücken kann. Und warum überhaupt diese Politik? Doch nur, um vier Konzernen Milliardengewinne zu sichern. Ich sage Ihnen eines: Sie spalten mit diesem Großkonflikt unsere Gesellschaft, und Sie tun das auf dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten".

Während der Debatte hielten sich die Abgeordneten nicht mit Zwischenrufen zurück. Bemerkungen zum Redner wie: Was hat man Ihnen in den Kaffee getan? Dummes Zeug ist das! Quatsch! sowie Da muss er selber lachen! zeigten, wie hart gestritten wurde und wie emotional aufgeladen die Diskussion beim Thema Atom ist.