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»Äußerst problematisch«

WIKILEAKS Enthüllungen bereiten Abgeordneten Sorge um den Frieden im Nahen Osten

06.12.2010
2023-08-30T11:26:10.7200Z
3 Min

Offenbar ist der Kanzlerin das Lachen doch nicht ganz vergangen, seit die Enthüllungsplattform Wikileaks Geheimdokumente des US-Außenministeriums veröffentlicht hat. Zumindest demonstrierte Angela Merkel das in der Hartz-IV-Bundestagsdebatte am Freitag. Da hielt sie Außenminister Guido Westerwelle eine Karikatur entgegen, auf der sie sagt: "Hoffentlich kann Wikileaks nicht auch noch Gedanken lesen, eitler Popanz." Der Angesprochene - offensichtlich Westerwelle - entgegnet per Sprechblase: "Doch, Wikileaks kann, alte Teflon-Schlampe." Auf der Regierungsbank zeigten sich Kanzlerin und Vize amüsiert.

Der erste Schrecken über die peinlichen Botschaftsnotizen scheint verflogen zu sein, und das nicht nur bei den Regierenden. Auch viele deutsche Abgeordnete sehen den Vorgang inzwischen entspannter und befürchten auch keine dauerhaften Schäden im deutsch-amerikanischen Verhältnis. So bewertet der Grünen-Parlamentarier Alexander Bonde den Vorgang mit Blick auf Deutschland und Europa "mit großer Gelassenheit". Für die USA seien die Enthüllungen "natürlich peinlich", aber "völlig unbedeutend", meint Bonde, der auch Mitglied der Parlamentariergruppe USA im Bundestag ist. Nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Gernot Erler reagieren beide Seiten "erwachsen" und könnten die "Peinlichkeit der Situation" überwinden. Trotzdem leide "zumindest vorübergehend das Vertrauen in vertrauliche Gespräche, ohne die viele Probleme und Konflikte gar nicht lösbar sind", meint der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke, bewertet die Veröffentlichungen sogar positiv: Er habe sich schon "seit Tagen auf die Wikileaks-Enthüllungen gefreut", sagte er dieser Zeitung: "Die Veröffentlichung von politischen Dokumenten, die das Wohl und Wehe der Welt betreffen, ist von großer Bedeutung. Wenn alles Geheime öffentlich wird, wird es weniger Gewalt, weniger Rüstung und weniger Kriege geben. Ein Prosit auf Wikileaks!" Im übrigen seien viele seiner Kollegen im Auswärtigen Ausschuss, die in den Dokumenten erwähnt seien, "gleich mindestens zehn Zentimeter größer" geworden, berichtet er schmunzelnd.

Mit Blick in Länder außerhalb Europas treibt viele Abgeordnete allerdings eine große Sorge um: dass die Offenlegung so mancher Dokumente insbesondere im Nahen Osten zu Spannungen führen könnte. "Für die Staatschefs dort ist es sehr unangenehm, dass sie sich gegenüber US-Botschaften anders geäußert haben als gegenüber ihren Nachbarländern", sagt Bonde. Er hofft, dass dies nicht zu Eskalationen führt. Tatsächlich dürfte Irans Staatschef Mahmud Ahmadinedschad beim Blick in die Wiki- leaks-Akten gestaunt haben: Sein Atomprogramm wird von vielen Regenten im Nahen Osten - öffentliche Solidarität mit dem Nachbarn hin oder her - als gefährlich angesehen. So soll Saudi-Arabiens König die USA mehrfach aufgefordert haben, iranische Atomkraftwerke mit Luftangriffen zu zerstören. Gernot Erler ist ob dieser Enthüllungen "besorgt": "Die Schäden werden weder sofort sichtbar sein, noch sich den Wikileaks-Enthüllungen belastbar zuordnen lassen. Aber sie werden sicherlich auftreten, zumindest in Vertrauensverlusten, und das können wir in keiner Weise gebrauchen."

Ähnlich sieht das der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU): "Die öffentlich gemachten strategischen Überlegungen zur Lage im Nahen Osten und in anderen Drittstaaten und zu deren Verhältnis untereinander sind äußerst problematisch", sagt er. In Krisenzeiten könne dies "nicht nur eine Belastung des jeweils bilateralen Verhältnisses zu den USA bedeuten, sondern auch zwischen und im Innern der betroffenen Länder". FDP-Chef Westerwelle befürchtete ebenfalls, dass Menschen durch die Veröffentlichungen in große persönliche Schwierigkeiten kommen könnten. Dies war allerdings eine Sorge, die sich für ihn schneller und in ganz anderer Hinsicht bewahrheitete, als er ahnen konnte: Nach parteiinternen Befragungen fand die FDP am vergangenen Donnerstag nämlich den "jungen, aufstrebenden Parteigänger", von dem die US-Botschaft Informationen über die Koalitionsverhandlungen im Herbst 2009 erhalten hatte: Es war der 42-jährige Büroleiter von Westerwelle, im Herbst in anderer Funktion bei der FDP unter anderem für internationale Kontakte zuständig. Er wurde sofort von seinen Aufgaben entbunden, soll aber weiter in der Parteizentrale arbeiten. Laut Parteisprecher Wulf Oehme gibt es keine Anhaltspunkte für ein "rechtlich angreifbares Verhalten".

Gesucht wird indes noch der Verursacher der Aufregung, der 39-jährige Wikileaks-Gründer Julian Assange. Wegen Vergewaltigungsverdachts hat Schweden Haftbefehl gegen den Australier erlassen, auch Interpol fahndet nach ihm. Offenbar hält er sich in Großbritannien auf, dort nahm er auch an einem Internet-Chat teil. Scotland Yard bereitet seine Festnahme vor.