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Einstieg in den Austieg

Wehr- und Zivildienst Bundestag verkürzt Dienstzeit von neun auf sechs Monate

13.12.2010
2023-08-30T11:26:11.7200Z
5 Min

Seit dem 1. Juli dieses Jahres müssen die volljährigen Männer in Deutschland nur noch sechs statt neun Monate Wehrdienst oder einen zivilen Ersatzdienst leisten. Den entsprechenden gemeinsamen Gesetzentwurf der CDU/CSU- und FDP-Fraktion verabschiedete der Bundestag am 17. Juni in namentlicher Abstimmung mit 303 gegen 248 Stimmen. Obwohl das Gesetz formal erst ab dem 1. Dezember gilt, müssen die ab dem 1. Juli eingezogenen Wehrpflichtigen aufgrund einer Übergangsregelung bereits nur noch für sechs Monate Dienst leisten. Sie werden voraussichtlich mit zu den letzten jungen Rekruten und Zividienstleistenden gehören, die zum verpflichtenden "Dienst am Vaterland" eingezogen werden - denn Deutschland wird wohl bereits ab dem 1. Juli 2011 die Wehrpflicht aussetzen. Darauf einigte sich sich der Koalitionsauschuss von Union und FDP Ende vergangener Woche in Berlin. Die gesetzliche Grundlage soll der Bundestag Anfang nächsten Jahres schaffen.

Es ist das vierte Mal in rascher Folge seit dem Ende des Kalten Kriegs, dass der Gesetzgeber den Wehrdienst verkürzt. Seit 1991 rückten Wehrpflichtige nur noch für zwölf statt 15 Monate ein, seit 1996 nur noch für zehn Monate und seit 2002 nur noch für neun Monate. Bei Einführung der Wehrpflicht am 21. Juli 1956 hatte die Dienstzeit zunächst zwölf Monate betragen und war dann auf 15 und schließlich 18 Monate erhöht worden. Im Jahr 1972 wurde sie wieder auf 15 Monate gesenkt.

Gegen die erneute Verkürzung stimmten die SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Aus Sicht der drei Oppositionsfraktionen war die Dienstzeitverkürzung lediglich ein "fauler Kompromiss" zwischen den Koalitionären. In der Tat hatte sich die FDP bereits seit Jahren für eine Aussetzung der Wehrpflicht eingesetzt. Die Union hingegen hielt zu diesem Zeitpunkt noch mehrheitlich an ihr fest.

Struktur-Kommission

Die Kritik der Opposition entzündete sich aber vor allem an dem Umstand, dass die Koalition im Parlament eine Wehr- und Zivildienstverkürzung durchsetzte, ohne die Ergebnisse der Strukturkommission der Bundeswehr abzuwarten. Das von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingesetzte Gremium unter Leitung von Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, beriet zu diesem Zeitpunkt über die zukünftige Ausgestaltung der deutschen Streitkräfte - auch über die Frage, ob in ihnen für Wehrpflichtige noch Platz ist. Ergebnisse hatte die Kommission für den Herbst angekündigt.

Auch Guttenberg räumte während der Beratung über den Gesetzentwurf zur Dienstzeitverkürzung ein, dass es nicht sicher sei, ob sich der Grundwehrdienst "in der jetzigen Form aufrechterhalten lässt". Die geplanten Einsparungen bei der Bundeswehr ließen sich nur durch eine deutliche personelle Verkleinerung der Streikträfte erreichen. Und die Liberalen kündigten an, dass sie sich auch weiterhin für eine Aussetzung der Wehrpflicht einsetzen werden.

So zeichnete sich bereits zu diesem Zeitpunkt ab, dass die Verkürzung letzlich den "Einstieg in den Ausstieg" aus der Wehrpflicht einläuten würde, wie Kritiker monierten. Eine rechnerische Mehrheit für eine Aussetzung der Wehrpflicht war im Parlament bereits vorhanden. Ähnlich wie die FDP fordertern dies auch die Grünen seit Jahren, die Linken plädierten gar für eine Abschaffung, sprich Streichung aus dem Grundgesetz. Selbst die SPD, die neben der Union vor einigen Jahren noch zu den letzten Verteidigern der Wehrpflicht gehört hatte, wollte zukünftig nur noch Freiwillige zum Wehrdienst einberufen.

Freiwillige Verlängerung

Gleichzeitig mit der Wehrdienstverkürzung wurde die Möglichkeit für Zivildienstleistende geschaffen, ihre Dienstzeit ab dem 1. Dezember freiwillig um drei bis sechs Monate zu verlängern. Bundesfamilienministerin Kristina Köhler (CDU) wollte damit vor allem jene Lücken schließen, die die verkürze Dienstzeit zangsläufig im Gesundheits- und Pflegewesen reißen würde.

Im Jahr 2009 hatten rund 90.600 junge Mäner einen zivilen Ersatzdienst geleistet, zum Wehrdienst waren hingegen nur noch 68.300 angetreten. Das Familienministerium rechnete damit, dass rund 30 Prozent der Zivildienstleistenden von der frewillien Verlängerung Gebrauch machen würden. Grundwehrdienstleistende konnten ihren Wehrdienst bereits seit Jahren freiwillig auf 23 Monate verlängern.

Mit der Einigung im Koalitionsauschuss sind alle diese Planungen letztlich jedoch obsolet geworden. Nach den Beschlüssen von CDU und CSU auf ihren Parteitagen im Herbst einigten sich Union und FDP nun darauf, die Wehrpflicht ab Mitte nächsten Jahres auszusetzen und die Bundeswehr auf rund 185.000 Soldaten zu verkleinern.

Aussetzung bedeutet, dass die Wehrpflicht zwar im Grundgesetz verankert bleibt, aber keine praktische Anwendung mehr findet. Umgekehrt kann sie jedoch jederzeit wieder eingeführt werden, wenn der Gesetzgeber dies beschließt. Im Gegensatz zu einer Abschaffung muss dafür der entsprechende Artikel 12a des Grundgesetzes jedoch nicht geändert werden.

Auf dem Prüfstand stand die Wehrpflicht seit Jahren. So mahnte bereits 1995 der damalige Bundespräsident Roman Herzog vor Kommandeuren der Bundeswehr: "Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet." Und fügte an: "Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können." Doch diese sicherheitspolitische Begründung war nach der Auflösung des Warschauer Pakts und dem Nato-Beitritt der Nachbarn im Osten äußerst dünn geworden.

Neue Aufgaben

Während Deutschland zunehmend von "Freunden umzingelt" wurde, verlagerte sich die Aufgabenstellung der Bundeswehr dramatisch. Galt es bis zum Ende des Kalten Kriegs einen Beitrag im System der Abschreckung zu leisten, kam mit dem Ende der potenziellen militärischen Bedrohung aus dem Osten ironischer Weise der militärische Ernstfall auf die Bundeswehr in Gestalt der Auslandseinsätze zu. Waren diese zunächst noch rein humanitärer Natur oder standen im Zeichen friedenserhaltener Missionen der Vereinten Nationen, musste sich die Bundeswehr schließlich auch an regulären Kampfeinsätze wie etwa bei den Luftangriffen gegen Serbien während des Kosovo-Kriegs beteiligen.

Doch in diese mitunter lebensgefährlichen Einsätze wie in Afghanistan werden Wehrpflichtige nicht geschickt. Politisch und gesellschaftlich würde dies vermutlich auch einen Aufschrei ungeahnten Ausmaßes provozieren. Zum anderen verfügt ein Soldat nach sechs Monaten Ausbildung auch nicht über die Fähigkeiten, um in einem Konflikt wie am Hindukusch zu bestehen. Abgesehen davon, dass seine Wehrdienstzeit dann nach der noch geltenden Gesetzeslage auch endet.