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Stein des Anstoßes

POLIZISTEN Sie müssen immer häufiger ihre Köpfe hinhalten: bei Autonomen oder Neonazis. Und begeben sich dabei oft in Lebensgefahr. Union und Liberale wollen…

20.12.2010
2023-08-30T11:26:12.7200Z
3 Min

Ein Pflasterstein fliegt durch die Kreuzberger Nacht. Dann mehrere. Und schließlich muss die Polizei unter einem wahren Steinhagel unter ihre Schutzschilder in Deckung gehen. Autonome haben sich zusätzlich mit Leuchtspurmunition bewaffnet. Es ist wie seit vielen Jahren ein Ritual: Das Berliner Viertel ist in der Nacht zum 1. Mai Schauplatz von Randale. Genauso wie das Schanzenviertel im Hamburg.

Und wer in Fußballstadien Entspannung sucht, wird - vor allem in unteren Spielklassen - mit einem Phänomen von ganz rechtsaußen konfrontiert: Neonazis. Oft alkoholisiert, oft mit Baseballschläger oder Klappmesser bewaffnet und oft zu jeder Gewalt bereit. Mittendrin die Polizei. Gegen die Autonomen, gegen die Neonazis. Gewaltbereite nehmen keine Rücksicht. Sie arbeiten ihre Aggressionen ab. Auch an Feuerwehrleuten und Rettungskräften.

Opfer von Gewalt

Koalition und Bundesrat wollen daher die Gesetzeslage ändern. Nachdem die Länderkammer bereits Anfang Juni dieses Jahres dem Bundestag ihren Gesetzentwurf (17/2165) vorgelegt hatte, der darauf abzielt, das Strafrecht zugunsten der Polizei zu verschärfen, zog die Koalition jetzt nach. Die bislang für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte - zumeist Polizisten - vorgesehene Höchststrafe soll nach Meinung der Bundesregierung von zwei auf drei Jahre angehoben werden. Dazu hat sie einen Gesetzentwurf (17/4143) vorgelegt.

Zur Begründung führt sie an, Polizisten würden immer wieder Opfer von Gewalt. Neu ist auch, dass das Strafgesetzbuch bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte "um andere gefährliche Werkzeuge", die schwere Verletzungen hervorrufen könnten (etwa ein Baseballschläger), ergänzt wird.

Auch Feuerwehrleute und Rettungskräfte sollen dem Entwurf zufolge in den Kreis der Vollstreckungsbeamten einbezogen werden, um sie so vor gewalttätiger Behinderung und tätlichen Angriffen zu schützen. Die Regierung möchte im Strafgesetzbuch festschreiben, dass nicht nur Fahrzeuge der Polizei oder der Bundeswehr zu schützen sind, sondern auch solche der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder von Rettungsdiensten. Strafrechtlichen Schutz sollen zudem künftig auch technische Arbeitsmittel genießen, die besonders wertvoll und für den Einsatz von wesentlicher Bedeutung sind.

Bei der ersten Lesung der beiden Gesetzentwürfe am vergangenen Donnerstag wurde Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte fraktionsübergreifend scharf verurteilt. Nicht so einig waren sich die Parlamentarier über den Weg, die betreffenden Berufsgruppen vor Schaden zu bewahren.

Gewaltmonopol schützen

Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling präsentierte Zahlen, die belegen sollten, was die schwarz-gelbe Koalition mit ihrer Initiative verhindern will: Die Fälle von Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt seien zwischen 1993 und 2009 um 44 Prozent gestiegen. Das belege die polizeiliche Kriminalstatistik. Im vergangenen Jahr seien 2.194 Fälle politisch motivierter Kriminalität registriert worden, was einer Steigerung um 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspreche. "Das alles sind Entwicklungen, die uns alarmieren müssen", befand Heveling und beklagte, dass der Respekt gegenüber den Staatsorganen und damit gegenüber dem Staat insgesamt an vielen Stellen abnehme. Der Union ginge es zum einen um den Schutz des staatlichen Gewaltmonopols, das man nicht aushöhlen und unterminieren lassen dürfe. Zum anderen ginge es aber auch um den Schutz der Beamten, sagte der CDU-Abgeordnete.

Für den FDP-Parlamentarier Christian Ahrendt sendet die Koalition mit ihrer Initiative auch "das klare Signal aus, dass diese geistige Beihilfe zum Widerstand gegen Polizeibeamte nicht weiter geleistet werden darf". Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte müssten immer und jederzeit bereit sein, ihre Gesundheit und teilweise auch ihr Leben einzusetzen, um Menschen in Not zu helfen. Deswegen sei es wichtig, dass die Koalition handelt, mahnte Ahrendt und fügte hinzu: "Sie handelt konsequent."

Wut im Bauch

"Symbolstrafrecht" warf die SPD-Fraktion der Koalition vor. Ihre rechtspolitische Sprecherin, Christine Lambrecht, sagte, damit helfe man keinem einzigen Polizeibeamten. Gewalt, beispielsweise bei einer Demonstration, sei schon jetzt nicht straffrei. "Glauben Sie allen Ernstes, ein gewaltbereiter Täter überlegt sich, eine Straftat zu begehen, weil die Strafe von zwei auf drei Jahre hochgesetzt werde", fragte sie die Koalition. Diese Täter gehörten zu einer Klientel, die nicht wohlberechnend und abwägend agiere; vielmehr reagierten sie "aus dem Bauch heraus, aus Wut heraus", argumentierte Lambrecht.

Einen Grund für diese Wut sah der Abgeordnete Frank Tempel (Die Linke) in Handlungen oder Unterlassungen der Regierung, beispielsweise in der Atompolitik oder gegenüber der NPD. Es sei aber "falsch, die Polizei zu einem Ersatzgegner zu machen", mahnte Tempel.

"Reines Placebo" nannte der Grünen-Parlamentarier Wolfgang Wieland die beiden Gesetzentwürfe. "Dass auch nur eine einzige Straftat in Zukunft nicht mehr geschieht, weil Sie im Strafrahmen von zwei auf drei Jahre gehen, glauben Sie doch selber nicht", sagte Wieland.