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Sichtbares Zeichen der Solidarität

HOHER BESUCH "Glaubens- und Religionsfreiheit sind zentrale Menschenrechte". Bundestagspräsident Lammert empfängt die Würdenträger koptischer und orthodoxer…

17.01.2011
2023-08-30T12:16:34.7200Z
4 Min

Fast prophetisch hatte der Bundestag in einer seiner letzten Sitzungen vor der Winterpause über das Menschenrecht Religions- und Glaubensfreiheit debattiert. Wenige Tage später, in der Silvesternacht, starben 23 Gläubige bei einem Bombenanschlag auf die koptische Kirche im ägyptischen Alexandria. Vor dem Hintergrund dieses grausamen Attentats hat Bundestagspräsident Norbert Lammert am Donnerstag als "demonstratives Zeichen der Solidarität" Spitzenvertreter der koptischen und orthodoxen Kirchen Deutschlands empfangen. Der CDU-Politiker sicherte den verfolgten Christen Unterstützung und Anteilnahme zu.

Bei dem rund einstündigen Gedankenaustausch im Reichstagsgebäude ging es auch um aktuelle kirchenpolitische Entwicklungen in Staaten der arabischen Welt. Die hochrangigen Vertreter der Koptisch-, Syrisch- und Griechisch-Orthodoxen Kirchen sowie der Armenisch-Apostolischen und der Äthiopisch-Orthodoxen Kirchen informierten den Zweiten Mann im Staate über die Hintergründe der verdeckten, teilweise auch offenen und systematischen Diskriminierung von Christen in einigen islamischen Ländern: "Leider sind die Christen die bei weitem am meisten verfolgte religiöse Minderheit in der Welt", sagte Lammert nach dem Gespräch. "Glaubens- und Religionsfreiheit sind zentrale Menschenrechte. Jede Verfolgung ist mit unserem Verständnis der Unantastbarkeit dieser Rechte unvereinbar." An dem Treffen nahm neben dem koptischen Bischof für Deutschland, Anba Damian, auch das Oberhaupt der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Konstantinopel in Deutschland, Metropolit Augoustinos Labardakis, der Erzbischof der armenisch-apostolischen Kirche in Deutschland, Karekin Bekdjian, und der Erzbischof der syrisch-orthodoxen Kirche in Deutschland, Julius Hanna Aydin, teil.

Dankbarkeit und Freude

Bundestagspräsident Lammert zeigte sich "sehr berührt, mit welcher ausdrücklichen Freude und Dankbarkeit" die Kirchenvertreter die Einladung wahrgenommen hätten. Die orthodoxen Repräsentanten hätten sich ausdrücklich für die Unterstützung der staatlichen Institutionen in Deutschland bedankt.

Diese Dankbarkeit und Freude war bereits vor dem Gespräch zu spüren. Bischof Damian sagte, er wisse, dass diese Einladung bei einem hohen Vertreter des Staates "keine Selbstverständlichkeit" sei. Sie gebe Trost und Unterstützung. "Wir fühlen uns ernst genommen. Das bedeutet uns sehr viel", sagte der Geistliche.

Erzbischof Augoustinos sprach von einem historischen Treffen und einem "wichtigen Zeichen der Ermutigung". Das Gespräch habe "große Bedeutung" für die Menschen in Ägypten, der Türkei und Armenien. Sie hätten als Christen große Probleme in ihrer Heimat. Er betonte, dass er das Gefühl habe, von Deutschland aus würde versucht, alles zu tun, was möglich sei, um die Situation der verfolgten Christen zu verbessern.

Einigkeit im Bundestag

In Fragen der weltweiten Religionsfreiheit herrscht Einvernehmen in den Fraktionen. Die Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften, Maria Flachsbarth (CDU), die auch bei dem hochrangigen Gespräch dabei war, sagte: "Die Religionsfreiheit ist ein unveräußerliches Menschenrecht, das allen Menschen unabhängig von ihrer Religionsangehörigkeit zukommt. Unsere Fraktion fordert seit langem ein, dass dies auch weltweit anerkannt wird. Zeichen der Solidarität, so wie unser sofortiger Besuch nach dem schrecklichen Anschlag in Ägypten, sind dafür unerlässlich. Mit Nachdruck müssen wir uns nun über die Religionsgrenzen hinweg dafür einsetzen, dass es nicht gelingt, einen Keil zwischen die Religionen zutreiben."

Marina Schuster (FDP) betonte: "Wir haben bereits im Koalitionsvertrag verankert, uns weltweit für Religionsfreiheit einzusetzen, und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Lage der christlichen Minderheiten zu legen. Gewissens- und Religionsfreiheit ist ein elementares Menschenrecht. Anschläge auf Moscheen in Berlin oder Anschläge auf Kopten in Alexandria: Gewalt gegen Menschen, die ihren Glauben leben, ist zu verurteilen und nicht hinnehmbar." Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen), Sprecher für Kirchenpolitik und interreligiösen Dialog, zeigte sich über den Anschlag in Alexandria entsetzt. "Mit tiefer Bestürzung haben wir alle die Verbrechen an den koptischen Christen in Ägypten zur Kenntnis genommen. Derartige Anschläge sind barbarische Angriffe auf das friedliche Zusammenleben von Kulturen und Religionen, die mit keiner religiösen Begründung zu rechtfertigen sind. Mein Mitgefühl und die Gedanken gehören den Opfern solcher Anschläge und Verbrechen ungeachtet ihrer religiösen Zugehörigkeit."

Ähnlich äußerte sich der SPD-Abgeordnete Siegmund Ehrmann: "Gewalt gegen Christen ist wie jede Art der religiösen Verfolgung zu verurteilen. Religionsfreiheit ist ein universelles Menschenrecht und muss auch für Christen in aller Welt gelten. Meine Sorge ist, dass sich durch Aktion und Reaktion die Konflikte hochschaukeln. Dies ist offenkundig das Ziel derjenigen, die die Freiheit der Religionsausübung politisch missbrauchen. Hier ist umsichtiges Handeln aller in den Religionsgemeinschaften Verantwortlicher geboten, um sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen."

Raju Sharma (Die Linke) sagte: "Das Attentat in Alexandria hat auch mich erschüttert. Umso wichtiger finde ich, dass nun weltweit die unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften ihre Solidarität zum Ausdruck bringen. Eine pauschale Verurteilung Angehöriger des islamischen Glaubens wäre jedoch für ein friedliches Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften folgenschwer. Daher hoffe ich, dass die aktuellen Ereignisse den interreligiösen Dialog in Deutschland wie auch in der Welt nicht behindern."

Situation der Christen

Rund 100 Millionen Christen werden nach Schätzung des christlichen Hilfswerks Open Doors weltweit verfolgt. In acht der ersten zehn Ländern auf dem Index ist der Islam die Religion der Bevölkerungsmehrheit. Open Doors bewertet jedes Jahr die Religionsfreiheit für Christen in 50 Ländern anhand eigener Befragungen vor Ort, von Berichten über Übergriffe und Experteneinschätzungen.

Besonders schlecht sei die Situation der Christen in Nordkorea, Iran und Afghanistan. Nordkorea führt die Rangliste bereits zum neunten Mal in Folge an. Iran bleibt auf Platz zwei, Afghanistan löst Saudi-Arabien auf dem dritten Platz ab, das nunmehr auf Platz vier landet.

Aber auch im Irak ist die Lage der Gläubigen verzweifelt. Seit 1991 haben rund zwei Drittel aller Christen das Land nach Anschlägen und Morddrohungen verlassen. Das Land rückte von Platz 17 auf Platz 8 der Negativ-Rangliste auf. Das Blutbad in einer Kirche in Bagdad Ende Oktober 2010 mit 58 Todesopfern gilt als schlimmster Anschlag seit langem.