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Ungarn beugt sich der Kritik

EU-RATSPRÄSIDENTSCHAFT Ministerpräsident Orban lässt umstrittenes Mediengesetz in Brüssel prüfen

17.01.2011
2023-08-30T12:16:34.7200Z
4 Min

Zwanzig Minuten zeichnete Viktor Orban seine Vorstellung vom künftigen Europa. Ungarns Ministerpräsident sprach von Euro-Krise und Europäischem Semester, vom Ausgriff der Union auf den Balkan, von der Notwendigkeit eines EU-Energieraums. Wohin die Bemühungen der Ungarn, die erstmals im Sattel der EU sitzen, führen sollen, musste der Konservative nicht erwähnen.

EU-Führung

Die Magyaren wollen die Gemeinschaft aufmischen. Symbolisch steht dafür die Flaggenparade: Bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Präsidentschaft durchdrangen neun rot-weiß-grüne Fahnen die blauen Sternenbanner der EU. Auch das Motto verkündet selbstbewusst, worauf Budapest abzielt: "Auf ein starkes Europa." Ministerpräsident Orbans Redefluss wollte nicht enden. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso schaute schon ungeduldig, als der Regierungschef endlich auf das "heiße Eisen" kam, an dem sich der junge EU-Vorsitz beim Start die Finger verbrannt hatte. "Das Mediengesetz ist ein sensibles Thema", erklärte Viktor Orban. Da war nichts mehr vom strotzenden Selbstbewusstsein, mit dem er noch wenige Tage zuvor gegen die Kritik gewettert hatte. Europas neuer Steuermann lenkte ein und betonte, Budapest werde sich dem Brüsseler Urteil beugen. "Ich vertraue auf die Rechtsexperten der EU-Kommission".

Ungarns Mediengesetz

Das Mediengesetz liegt dem juristischen Dienst der Behörde in englischer Sprache vor. Rasch soll dieser nun prüfen, ob das so kontrovers diskutierte Kontrollgesetz wirklich gegen die Pressefreiheit - "ein heiliges Prinzip der EU", so Barroso - verstößt.

Kaum hatte Ungarns Staatspräsident Pál Schmitt am 21.Dezember seine Unterschrift unter das "Gesetz CLXXXV von 2010 über Mediendienstleistungen und Massenmedien" gesetzt, erhob sich ein Chor der Entrüstung. Im Europaparlament zürnten Sozialdemokraten und Liberale, während es in den Reihen der konservativen EVP seltsam still blieb. Deren Fraktionsvorsitzender Joseph Daul wollte sich nicht zu einer Stellungnahme bewegen lassen. Nur der Sozialdemokrat Jean Asselborn, Außenminister in Luxemburg, meldete Bedenken an, ob eine Regierung mit derart "zweifelhafter demokratischer Gesinnung" die EU führen könne. Am Ende ätzte ganz Europa gegen den "Maulkorb für missliebige Journalisten".

Eine Protestwelle, wie man sie seit den Zeiten des österreichischen Rechtspoulisten Jörg Haider nicht mehr erlebt hatte, brauste durch die Gemeinschaft. Viele surften auf ihr, ohne das Gesetz gelesen zu haben. Budapest machte den Text erst vergangene Woche in englischer Sprache zugänglich. So traf er auch beim Rechtsdienst der EU-Kommission erst am 5.Januar ein.

Der Medienrat

Kernpunkt der umstrittenen Rechtsnorm ist die Nationale Medien- und Infokommunikationsbehörde (NMHH), die Aufsichts- und Regulierungsbehörde für den Mediensektor. Sie besteht aus drei Dienststellen mit unabhängigen Befugnissen: einem Präsidenten, einem Medienrat, sowie einer Behörde, die ersteren zuarbeitet. Der NMHH-Präsident wird vom Regierungschef für neun Jahre ernannt und nominiert seinerseits zwei Vizepräsidenten. Weder Regierungsmitglieder, noch Parteipolitiker oder Medienunternehmer können laut Gesetz Präsident, Vizepräsident oder Behördenleiter sein. Dennoch machte Orban seine Vertraute, die Fidesz-Medienpolitikerin Annamária Szalei, zur ersten NMHH-Chefin. Der Medienrat überwacht die Einhaltung der Mediengesetze. Er kann gegen Medienunternehmen ermitteln, wobei Ermittler Dokumente jeder Art sichten dürfen. Zugleich kann er Sanktionen (Geldstrafen bis zu 720.000 Euro, zeitweiliges Einstellen des Erscheinens) verhängen, wenn Medien gegen die geforderte "ausgewogene" Berichterstattung verstoßen (Artikel 187). Der für einen investigativen Journalismus unabdingbare Quellenschutz ist zwar in Artikel 6 gewährt, allerdings mit Einschränkungen. Sollte der Informant "widerrechtlich qualifizierte Daten" preisgeben, darf er nicht geschützt werden. Offenzulegen ist die Identität des Informanten vor Gerichten und Behörden, wenn ein "Interesse der Wahrung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung oder der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten" besteht.

EU-Juristen prüfen

Jetzt sind die Experten an der Reihe. Die Juristen der Kommission werden den Text genau unter die Lupe nehmen. Sollte Orbans Opus tatsächlich gegen EU-Recht verstoßen, kann die Kommission beim Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Der Lissabon-Vertrag gibt ihr noch schärfere "Waffen" an die Hand. Nach Artikel 7 kann sie den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs bewegen, eine "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der EU-Grundwerte durch einen Mitgliedsstaat zu konstatieren. Das hätte Auflagen zur Folge, die bei Nichteinhaltung zu einem Stimmrechtsentzug führen könnten.

So weit wird es nicht kommen. Orban wird sich seine EU-Präsidentschaft nicht gefährden. Der 47-Jährige ist ambitioniert. "Das war kein guter Start", meinte der Fidesz-Vorsitzende, aber jetzt beginne Phase II. Die führt ihn in der kommenden Woche ins Europaparlament. In Straßburg wird er seinen Arbeitsplan für die nächsten sechs Monate präsentieren. Das dürfte kein Vergnügen werden. Denn Sozialisten wie Liberale kündigten an, es werde zum "Showdown" kommen. Sozialisten-Chef Martin Schulz hat bereits Sanktionen gefordert, sollte Ungarn gegen die Prinzipien der EU und die Charta der Grundrechte verstoßen. Da kann der Ungar nur auf die Vertreter der eigenen Parteienfamilie hoffen. Die EVP stellt ein Drittel der Abgeordneten.