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Alles ist möglich: Spannender Wahlmarathon mit offenem Ausgang

BUNDESRAT In diesem Jahr entscheiden die Wähler über die künftige Zusammensetzung von sieben Landesparlamenten - und über die Kräfteverhältnisse in der…

17.01.2011
2023-08-30T12:16:34.7200Z
4 Min

Sage noch einer, der Bürger werde nicht gefragt: In voraussichtlich sieben Bundesländern kann der Souverän im Jahr 2011 an der Wahlurne über die Zusammensetzung der Landesparlamente und damit über die künftigen Landesregierungen entscheiden - womit er zugleich auch in der Bundespolitik ein gewichtiges Wort mitsprechen wird: Schließlich wird bei den Wahlen in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin über zusammen 27 der insgesamt 69 Bundesratsstimmen entschieden. Welche Bedeutung dem Kräfteverhältnis in der Länderkammer zukommt, lässt sich derzeit am Tauziehen um die Hartz-IV-Reform betrachten: Die geplante Neuregelung landete nur deshalb im Vermittlungsausschuss, weil dem schwarz-gelben Lager im vergangenen Dezember eine Stimme im Bundesrat zu dessen erforderlicher Zustimmung fehlte.

Es geht also um viel bei den anstehenden Urnengängen. Schon im September vergangenen Jahres hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag etwa die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur "Befragung der Bürger (...) über Stuttgart 21 und viele andere Projekte" ausgerufen. Und natürlich werden auch die Karten in der Bundespolitik neu gemischt, wenn über mehr als ein Drittel aller Stimmen im Bundesrat neu entschieden wird. Die entscheidende Frage dabei ist, ob ein Lager in der Länderkammer die absolute Mehrheit von 35 Stimmen erringen kann, ohne die es die für viele Bundesgesetze erforderliche Zustimmung des Bundesrates nicht gibt.

Derzeit verfügt Schwarz-Gelb in der Länderkammer über 34 Stimmen: Jeweils sechs Stimmen stellen Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen, fünf Stimmen steuert Hessen bei und jeweils vier Stimmen haben Sachsen und Schleswig-Holstein; hinzu kommen die drei Stimmen Hamburgs, das seit dem Bruch der ersten schwarz-grünen Koalition auf Länderebene von einer CDU-Alleinregierung geführt wird.

Demgegenüber kommen die rot-grün regierten Länder Nordrhein-Westfalen (sechs Stimmen) und Bremen (drei Stimmen) zusammen mit den rot-rot geführten Ländern Berlin und Brandenburg und der SPD-Alleinregierung von Rheinland-Pfalz (jeweils vier Stimmen) auf 21 Stimmen. Auf den "neutralen" Block der großen Koalitionen in Sachsen-Anhalt, Thüringen (je vier Stimmen) und Mecklenburg-Vorpommern sowie des schwarz-gelb-grünen Bündnisses im Saarland (je drei Stimmen) entfallen 14 Stimmen. Diese Koalitionen, an denen jeweils Parteien der Bundestagsmehrheit und der Bundestagsopposition beteiligt sind, enthalten sich bei strittigen Fragen im Bundesrat der Stimme, was sich wie ein "Nein" auswirkt.

Rein rechnerisch können also sowohl Union und FDP auf der einen Seite als auch die im Bund auf den Oppositionsbänken sitzenden Parteien andererseits bei entsprechenden Wahlerfolgen 2011 die Mehrheit im Bundesrat erringen. Gelingt es der CDU beim Auftakt des Wahlmarathons am 20. Februar im Hamburg, entgegen den derzeitigen Umfragen allein oder mit der FDP in dem Stadtstaat an der Regierung zu bleiben, könnten Union und Liberale schon einen Monat später im Bundesrat die 35-Stimmen-Grenze überspringen, sofern sie nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 20. März die vier bislang "neutralen" Magdeburger Stimmen für sich verbuchen können. Ob eine solche Mehrheit in der Länderkammer dann aber wirklich zum Tragen käme, würde sich erst eine Woche danach erweisen, wenn in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt wird.

Dieser 27. März dürfte 2011 der spannendste Wahltermin werden, schon weil sich in Baden-Württemberg die Grünen Hoffnungen machen, zusammen mit der SPD die derzeitige CDU/FDP-Regierung abzulösen und dabei erstmals einen Ministerpräsidenten zu stellen. Für Schwarz-Gelb verloren, weil "neutralisiert", wären die sechs Stuttgarter Bundesratsstimmen übrigens auch, wenn im "Ländle" CDU und Grüne koalieren sollten. Sollten Christ- und Freidemokraten indes ihre Südwest-Bastion halten und zugleich in Rheinland-Pfalz die SPD-Regierung ablösen, würde das für eine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat auch ohne die Stimmen Hamburgs und Sachsen-Anhalts gerade so ausreichen.

Für eine rot-rot-grüne Mehrheit in der Länderkammer würde dagegen auch dann noch eine Stimme fehlen, wenn es sowohl in Hamburg und Mainz als auch in Stuttgart etwa zu rot-grünen und zudem in Magdeburg zu einer rot-roten Regierung kommen sollte. Danach müssten zunächst noch am 22. Mai die drei Bundesratsstimmen des rot-grün regierten Bremen verteidigt werden, um schließlich bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September die 35-Stimmen-Marke in der Länderkammer knacken zu können - wozu die große Koalition in Schwerin von Rot-Rot abgelöst werden müsste. Nur zwei Wochen nach dem Urnengang im Nordosten wäre diese mögliche rot-rot-grüne Bundesratsmehrheit von 37 Stimmen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September zu verteidigen.

Neben einer schwarz-gelben oder rot-rot-grünen Bundesratsmehrheit ist auch nicht auszuschließen, dass am Ende des Jahres keine Seite auf 35 Stimmen in der Länderkammer kommt. So könnte auch das "neutrale" Lager anwachsen, je nachdem, welche Koalition wo zustande kommt. Offen ist beispielsweise, ob die SPD bei entsprechenden Wahlergebnissen in eine Grünen- beziehungsweise Linken-geführte Koalition - etwa in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern - eintreten würde. Sicher sagen lässt sich zu Beginn des Wahljahres nur: Es wird spannend. Helmut Stoltenberg