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Paradoxer Effekt

WAHLRECHT Bis Juli muss eine Neuregelung getroffen werden

17.01.2011
2023-08-30T12:16:34.7200Z
2 Min

Kann es das geben, dass bei einer Bundestagswahl eine Partei aufgrund eines Zweitstimmengewinns weniger Mandate erhält? Oder dass ein Zweitstimmenverlust zu einem Mandatsgewinn führt? Ja, das kann es geben - darf es aber nicht, zumindest künftig nicht mehr. So hatte das Bundesverfassungsgericht 2008 entschieden und den Gesetzgeber verpflichtet, bis Mitte 2011 "eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen".

Hintergrund sind Regelungen bei der Mandatszuteilung, aus denen sich der paradoxe Effekt des "negativen Stimmgewichts" ergibt. Der Effekt tritt im Zusammenhang mit Überhangmandaten auf, die Parteien erhalten, wenn sie in einem Land mehr Direktmandate erringen, als ihnen laut Zweitstimmenergebnis zusteht. Dabei ist es möglich, dass eine Partei, die in einem Land Überhangmandate errungen hat, bei der bundesweiten Verteilung der Listenmandate in einem anderen Land einen zusätzlichen Sitz gewinnt, der ihr nach dem dortigen Zweitstimmenergebnis nicht zustände: Weniger Zweitstimmen im Land X bescheren ein zusätzliches Mandat im Land Y.

Ein Grünen-Vorstoß, noch vor der letzten Bundestagswahl eine Neuregelung zu verabschieden, hatte 2009 keine Mehrheit gefunden. Danach sollte die Anrechnung der Direktmandate auf Bundes- statt wie bislang auf Länderebene erfolgen, womit Überhangmandate "in der Regel nicht mehr" entstünden.

Einen Ausgleich für Überhangmandate fordert der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Aus der Union sei "zu hören, dass sie eine ,Landeslösung' favorisiert", schrieb er jüngst in einem Zeitungsbeitrag: "Die bisherigen Listenverbindungen sollen aufgelöst und die Länder als getrennte Wahlgebiete behandelt werden". Zwar würde so das negative Stimmgewicht beseitigt, doch bliebe "das Anwachsen der Überhangmandate unangetastet - und mit ihnen sämtliche Risiken und Nebenwirkungen", montierte Oppermann und warb für Ausgleichsmandate als "probates Mittel gegen die durch Überhänge entstehende Unwucht in der Proportionalität". Für jedes Überhangmandat solle ein Ausgleichsmandat gewährt und entsprechend den Zweitstimmen auf die übrigen Parteien verteilt werden. Einem "Anwachsen des Bundestages" könne durch eine "maßvolle" Reduzierung der Zahl der Wahlkreise bei der Bundestagswahl 2017 begegnet werden. "Eine solche Lösung mit Ausgleichsmandaten wäre auch für die kleineren Parteien überaus interessant, weil von Überhangmandaten bisher einseitig nur die großen Parteien profitieren", argumentierte Oppermann. Wie auch immer die Neuregelung am Ende aussehen wird - bis 30. Juni muss sie gefunden sein: Die Uhr tickt.