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»Das zweite deutsche Wirtschaftswunder«

WiRTSCHAFT Oppositionsfraktionen teilen den Optimismus der Koalition nicht

24.01.2011
2023-08-30T12:16:36.7200Z
4 Min

Kaum saufen die Pferde wieder, wie der frühere Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) zu einer florierenden Wirtschaft gesagt hätte, da streiten Koalition und Opposition schon um die Urheberschaft. Die Verantwortung von Union und FDP für das starke Wirtschaftswachstum von 2010, das sich in diesem Jahr etwas schwächer fortsetzen soll, reklamierte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle in einer Regierungserklärung am vergangenen Donnerstag im Bundestag für das eigene Lager: "In Deutschland regiert die Zuversicht. In Deutschland regiert das Wachstum. In Deutschland regiert der Fortschritt. In Deutschland regiert Schwarz-Gelb."

Mit seinen kernigen Sätzen stieß Brüderle auf heftigen Widerspruch bei den Rednern der Opposition. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier meinte, der Aufschwung sei nicht das Verdienst von Schwarz-Gelb. Die FDP habe allenfalls für Wachstum bei der Wähler-Enttäuschung gesorgt. Dies zeige sich auch daran, dass Wachstumsrate der Wirtschaft und FDP-Umfragewerte sich "irgendwo zwischen drei und vier Prozent treffen".

Grundsätzliche Zweifel

Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen äußerten grundsätzliche Zweifel an den Aufschwungthesen. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi räumte ein, dass es zwar für einige wenige wie für die Deutsche Bank und für Spekulanten einen Aufschwung gegeben habe, aber nicht für Arbeitnehmer, Rentner oder Empfänger von Hartz IV. Die Geldvermögen seien allerdings um vier Prozent gewachsen. "Wozu brauchen wir die vielen Millionäre?", fragte Gysi.

Die Grünen-Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae verwies auf den gesamtstaatlichen Schuldenstand, der auf über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gewachsen sei. Die Regierung habe kein überzeugendes Rezept zur Senkung des Schuldenstands. "Wie wollen Sie da wieder raus?", fragte Andreae, die auch Antworten der Regierung auf die Frage, woher die immer knapper werdenden Rohstoffe herkommen sollten, vermisste. Nur 50 Prozent des Schrotts würden wiederverwertet. Das sei keine Kreislaufwirtschaft.

Keine Kurzgeschichte

Lob und Preis kam dagegen aus dem Regierungslager. Brüderle stellte fest: "Der Aufschwung ist keine Kurzgeschichte. Der Aufschwung ist ein Fortsetzungsroman." Die Arbeitslosigkeit werde bei drei Millionen liegen. Zu rot-grünen Regierungszeiten habe sie bei fünf Millionen gelegen. Vollbeschäftigung sei in aller Munde. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe Georg Nüßlein, sprach von einem "zweiten deutschen Wirtschaftswunder", und der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, freute sich: "Die deutsche Wirtschaft wächst und wächst."

Zu den Problemen um die Euro-Währung stellte Brüderle fest, deutsche Staatsräson seien stabiles Geld und ein stabiles Europa. "Wenn das Geld schlecht wird, wird alles schlecht", warnte Brüderle, und Hermann Otto Solms (FDP) ergänzte, ein Staat, der seine Verbindlichkeiten innerhalb von zehn Jahren nicht bedienen könne, werde um eine Umschuldung unter Beteiligung der Gläubiger nicht umhinkommen. Pfeiffer wies darauf hin, es handele sich nicht um Probleme des Euro, sondern es gebe ein Verschuldungsproblem. Der Euro habe zur Stabilisierung in der Krise beigetragen: "Sonst wäre uns der Laden in den letzten zwei Jahren um die Ohren geflogen."

Die Bundesregierung geht in diesem Jahr von einem Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent aus. Im vergangenen Jahr sei ein Wachstum von 3,6 Prozent erreicht worden, nachdem die Wirtschaft im Jahr 2009 noch um 4,7 Prozent geschrumpft sei, heißt es in dem von der Bundesregierung als Unterrichtung (17/4450) vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht 2011, der Grundlage der Debatte war und zur weiteren Beratung an die ausschüsse überwiesen wurde. "Die deutsche Wirtschaft wächst dabei spürbar stärker als der Durchschnitt der Eurozone", heißt es in dem Bericht.

Beschäftigung auf Rekordniveau

Die Beschäftigung habe im vergangenen Jahr mit 40,5 Millionen Personen ein Rekordniveau erreicht und liege auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze seien fast ausschließlich sozialversicherungspflichtig. Die realen privaten Einkommen seien in den vergangenen Jahren so stark gewachsen wie seit 2001 nicht mehr. In diesem Jahr erwartet die Regierung eine Steigerung um 1,6 Prozent. Dazu würden die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sowie der moderate Preisanstieg beitragen.

Risiken für den Aufschwung werden in der weltwirtschaftlichen Entwicklung gesehen. Die deutsche Volkswirtschaft werde aufgrund ihrer Offenheit und ihrer internationalen Verflechtungen weiterhin stark von der Entwicklung der Weltwirtschaft beeinflusst. "Es ist zu erwarten, dass das weltwirtschaftliche Wachstum in diesem Jahr etwas an Fahrt verlieren wird", heißt es dazu in dem Bericht. Protektionistische Maßnahmen einzelner Staaten könnten den weltweiten Aufschwung bremsen. "In den Vereinigten Staaten und Japan steht eine notwendige Konsolidierung des privaten und öffentlichen Sektors an. Dies gilt in noch ausgeprägterem Maße auch für einige europäische Länder", mahnt der Bericht.

Fiskalische Überlastung

Zur Steuerpolitik heiß es, die Wahrnehmung von Aufgaben durch den Staat dürfe "nicht zur dauerhaften fiskalischen Überlastung führen". Der gesamtstaatliche Schuldenstand dürfte im Jahr 2010 insbesondere aufgrund der Hilfsmaßnahmen für Kreditinstitute auf 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen sein. "Eine derart hohe Schuldenstandsquote ist mittelfristig nicht hinnehmbar. Die erforderlichen Zinszahlungen, die bei Zinssteigerungen nochmals beträchtlich ansteigen würden, schränken die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates ein", wird gewarnt, andererseits aber auch festgestellt, dass die Bundesregierung die "notwendige wachstumsorientierte Konsolidierung der öffentlichen Finanzen" auf den Weg gebracht habe.

Mit dieser "konsequenten Konsolidierungsstrategie" erschließe die Regierung Spielräume für steuerliche Entlastungen. Untere und mittlere Einkommen sollten so rasch wie möglich steuerlich entlastet werden. Einen genauen Zeitpunkt nennt der Bericht nicht. Es heißt allgemein, die Entlastungen sollten "möglichst noch in dieser Legislaturperiode" erfolgen.