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Rütli-Schwur und Bankgeheimnis

Schweiz Volker Reinhardt legt Grundzüge der Geschichte des oft unverstandenen Nachbar vor

14.02.2011
2023-08-30T12:16:37.7200Z
3 Min

So klein das Land der Banken, Kuhglocken und 4000er Berge auch sein mag und so fern es sich von internationalen Gebilden wie UN, EU oder Nato hält - es kann im Ausland jederzeit für Aufregung sorgen. Klar, es geht um die Schweiz. Mit der erfolgreichen "Ausschaffungsinitative" gegen kriminelle Ausländer und dem Minarettverbot per Plebiszit hat das Land der direkten Demokratie zuletzt wieder für viel Furore gesorgt. "Schweizer Sonderheiten" können hierzulande stets schlagzeilenträchtig sein, so wie das Bankgeheimnis, gegen das Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) schon mal die Kavallerie in Marsch setzen wollte - und damit wütende Gegenreaktionen gegen deutsche "Grobiane" provozierte.

Eigenössische Befindlichkeiten

Solche gegenseitigen Polemiken kann man ohne Einblicke in die aus der Geschichte herrührenden Schweizer Befindlichkeiten nicht verstehen. Es ist deshalb verdienstvoll, dass der Historiker Volker Reinhardt eine "Kleine Geschichte der Schweiz" vorgelegt hat, in der uns der an der Universität Fribourg lehrende Norddeutsche und Wahlschweizer das "Phänomen Schweiz" näherbringt. Ein Land, das unterschiedliche Sprachnationen zusammenhält, wirtschaftlich sehr erfolgreich ist, mit viel Perfektion, Tüchtigkeit oder auch Biedersinn und Engstirnigkeit, wie man es gerade sehen will.

Am Anfang aber steht immer noch der Tyrannenmord. Auch wenn der Autor Wilhelm Tells Apfelschuss samt Rütli-Schwur der Urkantone "unwiderruflich ins Reich der Legenden" verweist - die Fundierung eines wirkungsmächtigen Schweizer Nationalbewusssteins durch Schillers "Wilhelm Tell" ist unbestritten.

Reinhardt stellt heraus, dass gegen alle nationale Geschichtsschreibung von "der Schweiz" bis zum 17. Jahrhundert nicht gesprochen werden kann. Die seit dem Anti-Habsburg-Bund der Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden 1291 sich stetig vergrößernde Eidgenossenschaft war Jahrhunderte lang ein lockeres Netz von Bündnisverpflichtungen. Ihre Mitglieder hielten die örtlichen Autonomierechte hoch - selbst nach dem Verlassen des Heiligen Römischen Reiches 1648 führten manche Städte bis ins 18. Jahrhundert hinein ihre einst vom deutsch-römischen Kaiser garantierten "Freiheiten" an.

Napoleonische Besetzung

Staatsrechtlich wurde die Schweiz erst 1848 mit der Verfassung gegründet, sieht man von den Versuchen einer "Helvetischen Repubik" in der Napoleon-Zeit ab. Zuvor lodern Anfang des 16. Jahrhunderts durch Zwinglis Reformation, den Calvinismus und katholischen Konservatismus Religionsstreitigkeiten auf. Sie verlaufen aber im europäischen Vergleich relativ glimpflich. Bis zur Napoleon-Ära bleibt das Schweizer Terrain politisch hoch zersplittert, ein Land abgestufter Privilegien und ständischer Oligarchien, die sich Veränderungen hartnäckig verweigern. Erst die Besetzung durch das revolutionäre Frankreich 1798 bringt einen zeitweisen Zentralstaat mit formaler innerer Rechtsgleichheit.

Spätes Frauenwahlrecht

1874 kommt die Revision der Bundesverfassung, die die politische Führung stärker als in jedem anderen europäischen Land der Kontrolle durch Plebiszite unterstellt. Reinhardt streift das Thema Frauenrechte nur: Erst 1971 schafft ein Plebiszit ein Frauenwahlrecht im Bund, im Kanton Appenzell Innerrhoden etwa kommt dies erst 1990 durch Beschluss des Bundesgerichts zustande. 1984 wurde dann die erste Frau vom Parlament in die Regiereung gewählt. Sehr kurz behandelt der Autor auch das 20. Jahrhundert, obwohl die erst sehr spät thematisierte Kooperation der Schweiz mit dem NS-Regime und der Dauerbrenner Bankgeheimnis zugunsten von Steuerbetrügern eine ausführlichere Betrachtung Wert gewesen wäre. Gleichwohl ist Reinhardts Buch unverzichtbar, will man den oft unverstandenen Nachbarn im Süden verstehen lernen.

Volker Reinhardt:

Kleine Geschichte der Schweiz.

Verlag C.H.Beck, München 2011; 176 S., 16,95 €