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Die Kür nach der Pflicht

GESELLSCHAFT Deutschland verabschiedet sich von Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden

28.03.2011
2023-08-30T12:16:40.7200Z
4 Min

Zum Auftakt der Debatte schien beinahe ein wenig Wehmut aufzukommen: "Die Aussetzung der Wehrpflicht heute ist kein Freudenakt", betonte Thomas de Maizière (CDU) am vergangenen Donnerstag im Plenum des Bundestages. "Es ist eine notwendige, aber mich nicht fröhlich stimmende Entscheidung", gestand der Verteidigungsminister ein. Doch die Wehmut hielt nicht lange vor. Nach einer weitgehend geschäftsmäßigen und emotionslosen Aussprache setzte der Bundestag die allgemeine Wehrpflicht 55 Jahre nach ihrer Einführung zum 1. Juli dieses Jahres aus. Lediglich in einem Spannungs- oder im Verteidigungsfall will Deutschland seine jungen Männer noch zum Dienst an der Waffe verpflichten. Mit der Wehrpflicht endet zugleich der zivile Ersatzdienst.

Für das entsprechende Wehrrechtsänderungsgesetz (17/4821) stimmten gemäß der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses die Fraktionen CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung votierten die SPD und Die Linke.

Freiwillige

Mit dem Gesetz wird zugleich ein freiwilliger Wehrdienst von sechs bis 23 Monaten geschaffen, der Männer und Frauen offensteht. Bis zu 15.000 Freiwillige sollen in Zukunft in den Streitkräften dienen. Vor allem aus ihren Reihen, so hofft die Regierung, soll die Bundeswehr den Nachwuchs an Zeit- und Berufssoldaten für eine deutlich kleinere Armee rekrutieren. Die Aussetzung der Wehrpflicht ist Teil der angestrebten Reform, mit der die Bundeswehr von derzeit rund 255.000 Soldaten auf bis zu 185.000 verkleinert werden soll.

Noch ist unklar, ob es der Bundeswehr gelingen wird, die gewünschte Zahl an Freiwilligen rekrutieren zu können. Dies räumte auch de Maizière vor dem Bundestag ein. Zugleich kündigte er an, dass der Freiwilligendienst entsprechend attraktiv gestaltet werden soll. Dazu gehöre die Anhebung des Wehrsoldes und die Zahlung einer Verpflichtungsprämie. Allerdings wolle er die jungen Männer und Frauen nicht allein mit finanziellen Anreizen werben. "Wer ausschließlich wegen des Geldes zur Bundeswehr kommt, ist vielleicht genau der oder die, die wir nicht haben wollen", stellte der Minister klar. Der freiwillige Wehrdienst solle "ein ehrenvoller Dienst an unserem Land" sein, "auf den der Soldat stolz ist, auf den unser Land stolz ist", argumente de Maizière.

Die Oppositionsfraktionen positionierten sich höchst unterschiedlich zur Aussetzung der Wehrplicht. Die SPD begrüßte zwar die Aussetzung der Wehrpflicht und die Schaffung eines freiwilligen Wehrdienstes ausdrücklich, lehnten das Gesetz jedoch ab, da die Rahmenbedingungen für die anstehende Streitkräftereform nach den Worten des SPD-Abgeordneten Hans-Peter Bartels "noch völlig unklar" seien. Weder die zukünftige Struktur der Bundeswehr sei geklärt, noch die konkreten Aufgaben der Freiwilligen, noch das Attraktivitätsprogramm, um diese zu werben. Ungeklärt sei zudem die Finanzierung der Bundeswehr. Eine Reform nach Kassenlage dürfe es aber nicht geben, mahnte Bartels.

Fast wortgleich klang die Kritik aus den Reihen der Grünen. Auch deren Parlamentarierin Agnes Malczak ließ kaum ein gutes Haar an dem "unausgegorenen Gesetz", das einer Baustelle gleiche, "auf der nichts an Ort und Stelle ist". Ihre Fraktion stimmte dem Gesetz jedoch trotzdem zu. Weil, wie Malczak argumentierte, die Wehrpflicht "sicherheitspolitisch schon lange nicht begründbar" sei. Sie machte jedoch deutlich, dass ihre Fraktion die Wehrpflicht lieber ganz abgeschafft hätte.

Eine völlige Abschaffung, sprich eine Streichung der Wehrpflicht aus dem Grundgesetz, forderte erneut auch wieder die Linksfraktion. Der Abgeordnete Paul Schäfer erkannte in der Aussetzung der Wehrpflicht zwar "durchaus einen Grund zur Freude". Doch dieser Schritt sei "nur halbherzig und inkonsequent", wenn die sicherheitspolitische Begründung für den Pflichtdienst an der Waffe entfallen sei, wie die Regierung selbst sagt.

Die Vertreter der Koalition hingegen verteidigten den Gesetzentwurf der Regierung. Allerdings räumte auch der Unions-Abgeordnete Ingo Gädechens ein, dass sich seine Fraktion nur schweren Herzens von der Wehrpflicht verabschiede. Er bescheinigte ebenso wie sein Kollge Rainer Erdel von der FDP-Fraktion, dass der Verteidigungsminister ein klares Konzept zur Umsetzung der Streitkräftereform vorgelegt habe.

Ersatz für Zivildienst

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli endet zudem für Kriegsdienstverweigerer die Pflicht, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten. Dieser wird nun analog zum freiwilligen Wehrdienst durch einen Bundesfreiwilligendienst ersetzt. Den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/4803) verabschiedete der Bundestag ebenfalls am vergangenen Donnerstag gemäß der Beschlussempfehlung des Familienausschusses (17/5249) mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen das Votum der SPD, der Linken und der Grünen.

In Zukunft sollen bis zu 35.000 Frauen und Männer aus allen Altersgrupppen einen sechs- bis 18-monatigen gemeinwohlorientierten Dienst im sozialen, ökologischen und kulturellen Sektor oder im Bereich der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes leisten können.

Doppelstruktur

Bei der Opposition stieß der Gesetzentwurf auf heftige Gegenwehr. Sönke Rix (SPD), Harald Koch (Linke) und Kai Gehring (Grüne) bemängelten unisono, dass mit dem Bundesfreiwilligendienst eine überflüssige Doppelstruktur zu den bereits bestehenden Freiwilligendiensten der Bundesländer aufgebaut werde. Der CDU-Abgeordnete Markus Grübel wies dies als "kleinkarriert und wenig konstruktiv" zurück. Die Regierung ermögliche durch den neuen Dienst das "freiwillige Engagement in einer ganz großen Breite in Deutschland". Zugleich sprach er sich aber dafür aus, die unterschiedlichen Dienste "langfristig" zusammenzuführen. Aktuell scheitere dies noch an verfassungsrechtlichen Gründen.

Auch die Kritik der Opposition, dass ein Kidergeldbezug während des Bundesfreiwilligendienstes nicht möglich ist, wurde von der Koalition aufgegriffen. Das Problem sei mit dem Gesetz nicht zu lösen gewesen, die Koalition berate aber bereits über eine Lösung durch die Steuergesetzgebung, versprachen Grübel und der FDP-Abgeordnete Florian Bernschneider.